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Jonathan Hickman hat den spannendsten X-Men-Neustart seit Grant Morrison hingelegt. Bevor mit X-Men #1 die neue Heftreihe erscheinen wird, wurden die letzten Ausgaben von House of X & Powers of X veröffentlicht. Wir haben uns die beiden Comics angeguckt und sagen euch, ob das Top-Niveau gehalten werden kann.

Falls ihr bisher noch nichts von House of X & Powers of X gehört habt, dann solltet ihr euch schnell die Rezension von Band #1 und #2 anschauen. Hier wird definiert, was die X-Men zumindest in den nächsten Jahren ausmachen wird. Das Event ist der Start für alle Reihen, die danach folgen werden. Und Jonathan Hickman hat einiges am Status quo geändert. Auch Leser, die bisher nicht so überzeugt von seiner komplexen und vielschichtigen Erzählweise waren, müssen anerkennen, dass er hier exzellentes World-Building betreibt, das Raum für viele neue Geschichten liefert. Die Geschichten der X-Men waren bisher immer recht ähnlich. Mit der Gründung ihres eigenen Staates und dem Involvieren sämtlicher Schurken wird ein Setting vorbereitet, das auch uns sehr angesprochen hat. Doch noch sind einige Fragen offen: Auf was läuft das Setting 1000 Jahre in der Zukunft hinaus? Wie wird der Staat der Mutanten regiert? Und was ist das Schicksal von Sabretooth, der im ersten Band in Gewahrsam genommen wurde?

Was bisher geschah

Die Geschichte der Mutanten ist gefüllt mit Verfolgung und dem Kampf ums Überleben. Doch nun wagen sie nach Genosha und Utopia einen weiteren Versuch, sich auf einer Insel selbstständig zu machen. Diesmal soll es ein eigener Staat auf der mutierten Insel Krakoa werden. Als Gegenleistung für die Anerkennung bieten die Mutanten den Menschen Heilmittel, die das Leben verlängern, psychische Krankheiten heilen oder als Universal-Antibiotikum fungieren. Im Staat sind alle Mutanten willkommen – selbst Schurken wie Apocalypse oder Exodus. Gleichzeitig hat sich mit Orchis ein Wissenschaftlerkollektiv gegründet, das gegen diese neue Bedrohung vorgehen will. Bei einer Mission, bei der für den neuen Staat Daten geklaut wurden, wurde Sabretooth von den Fantastic Four gefangen genommen, da er mehrere Wachen tödlich verletzt hat.

Als ganz großes Retcon wurde aus Moira MacTaggert, der bekannten Mutantenforscherin, nun selbst eine Mutantin. Ihre Fähigkeit ist die der Reinkarnation. Dieses ist ihr zehntes Leben. Sie kann sich an sämtliche neun Leben zuvor erinnern. Nach ihrem ersten Leben, das von dem der meisten Menschen nicht zu unterscheiden ist, nutzt sie die nächsten Leben für Forschung und Wissenschaft. Doch ab ihrem vierten Leben muss sie erkennen, dass es immer wieder zu einem Konflikt zwischen Mutanten und Maschinen kommt. So schließt sie sich in ihrem neunten Leben Apocalypse an und beginnt mit ihm zusammen einen großen Krieg, der fast einhundert Jahre andauert. Am Ende entdeckt sie die Ursprungsdateien von Nimrod, dem Super-Sentinel, der für die Auslöschung der Mutanten verantwortlich ist. Sie lässt sich von Wolverine töten, damit sie im nun beginnenden zehnten Leben endlich den Sieg der Mutanten herbeiführen kann, die bisher in jeder Reinkarnation versagt haben.

House of X & Powers of X #3

Unter Cyclops Kommando beginnt die erste große Aktion gegen die Organisation Orchis, die ein Zusammenschluss von S.H.I.E.L.D., A.I.M., Hydra und anderen ist. Die Mutanten haben entdeckt, dass im Weltall eine Mother Mold gebaut wird, die laut den Informationen von Moira zu der Entwicklung eines Nimrod führen kann. Bevor sie in Betrieb genommen wird, muss diese riesige Maschine vernichtet werden. Doch die Mission läuft nicht ideal und plötzlich müssen Opfer gebracht werden.

Spoiler

Das komplette Einsatzteam stirbt, inklusive Cyclops, Wolverine und Nightcrawler. Obwohl sie den Mother Mold vernichten können, ist dies nicht nur für den Leser ein Schock. Doch daraufhin zeigt sich, dass die neue Mutantennation mit einer weiteren Geheimwaffe aufwarten kann: Wiedergeburt. Durch die Kombination der Kräfte von Goldballs, Tempus, Hope, Elexir und Proteus können verstorbene Mutanten zurückgeholt werden. Und das wird in diesem Band ausdrücklich demonstriert. Der Tod war in den X-Men-Comics noch nie etwas sehr dauerhaftes und die meisten Mutanten sind mindestens einmal zurückgekehrt. Diese Drastik ist aber selbst hier überraschend. Dadurch, dass der Tod endgültig jegliche Konsequenz verliert, fragt man sich, was Hickman noch vorhaben könnte. Durch den Prozess der Wiederbelebung ergeben sich aber auch zahlreiche Plot-Ideen, die in Zwischentafeln bereits aufgeführt werden: Was passiert beispielsweise, wenn ein Mutant im fremden Körper zurückkommt? Gleichzeitig muss man sich auch fragen, ob eine Wiedergeburt von Wolverine nicht viel zu viel Adamantium benötigt. Ob man den Comic mag, hängt massiv davon ab, ob einem dieser Twist gefällt oder nicht.

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An Drastik kaum zu überbieten

Nachdem sich im ersten Band Xavier Magneto angenähert hat, im zweiten Band Moira MacTaggert nachträglich zu einem Mutanten gemacht wird (was unter anderem die Geschichte um den Legacy Virus in ein völlig neues Licht stellt), wird im dritten Band wieder mit der Erwartungshaltung des Lesers gespielt. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen sind drastisch, aber auch originell. Wer bisher schon den Eindruck hat, dass das Franchise komplett auf den Kopf gedreht wird, wird auch mit diesem Band nicht glücklich werden. Man kommt aber nicht umher, die Konsequenz, mit der neue Geschichten erzählt werden, zu bewundern. Die Zukunft der Mutanten wird anders als ihre Vergangenheit.

Stilistisch bleibt der Band auf höchstem Niveau. Licht- und Unschärfefilter werden sinnvoll eingesetzt und unterstützen wie die gesamte künstlerische Gestaltung die Handlung. Dazu kommen die bereits bekannten Texttafeln und Übersichtsseiten, welche bestimmte Teile des Settings genauer beleuchten. So ist jetzt auch das Alphabet komplett abgedruckt. Wie immer macht es Spaß, sich mit diesem Band zu beschäftigen.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich den Twist am Ende mag oder ihn als Ohrfeige für den Spannungsaufbau am Anfang empfinde. Aber mit den anderen beiden Bänden zuvor ging es mir ähnlich. Man kann sagen, Hickman bleibt sich treu und hört nicht auf, neue Fakten einzuführen. Das ist originell, drastisch, aber auch konsequent, wenn man etwas Neues erzählen möchte. Der Spannungsaufbau ist gut und der Schock beim Lesen führt dazu, dass der Band nicht aus der Hand gelegt wird. Von daher kann ich nicht anders, als diesem Comic wieder die Höchstwertung zu verpassen.

Die harten Fakten

  • Autor: Jonathan Hickman
  • Zeichner: Pepe Larraz, R. B. Silva
  • Seitenanzahl: 132
  • Preis: 15,99 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Panini-Comics, Amazon, idealo

 

House of X & Powers of X #4

Der Inselstaat Krakoa wird von einem Konzil von zwölf Mutanten regiert. Im Laufe des Bandes wird langsam offenbart, welche Mitglieder dieses Konzil hat. Mit dabei sind einige sehr fragwürdige Gestalten. Ihr erstes Treffen beinhaltet die Gerichtsverhandlung über Sabretooth. Im ersten Band hatte er ein paar Menschen getötet, um an Informationen zu kommen. Welche Bedeutung diese Mission für den Aufbau der Nation hat, wurde leider nicht wirklich geklärt. Die Gerichtsverhandlung selbst ist weniger spannend, als sie sein könnte. Doch am Ende stehen die ersten drei Gesetze des Mutantenstaats.

Im zweiten großen Handlungsstrang geht es um das Jahr x³, das 1000 Jahre nach dem Erscheinen der X-Men spielt. Hier wollen die Post-Humanen (Homo novissima) in der Phalanx aufgehen. Die Phalanx ist eine außerirdische Spezies von Maschinenmenschen, die fremde Welten assimiliert. Wie schon zu erwarten war, wird diese Welt als das sechste Leben von Moira offenbart. Das Ende erklärt dann, warum sie in ihrem siebten, achten und neunten Leben so radikal handelte. Letztendlich fehlt hier aber die große Überraschung und das Ergebnis dieser Storyline hätte auch schon früher offenbart werden können. Die Tragweite dieser Handlung ist aber noch nicht abzusehen.

Da wäre mehr drin gewesen

Die Figuren sehen wieder einmal wunderbar aus. Zeichnerisch sind alle vier Bände auf einem ähnlich hohen Niveau und ich würde mich nur wiederholen, wenn ich noch mehr darüber sage. Die Charaktere sind auch sehr interessant herausgearbeitet und jedes Mitglied im Konzil von Krakoa hat seine Daseinsberechtigung. Auch erzählerisch gibt es hier wenig auszusetzen. Also wieder eine klare Höchstwertung?

Leider nein, denn verglichen mit den vorherigen Bänden fehlt mir hier die Originalität. Die Überraschung, dass der große Feind der Mutanten nicht die Menschen oder die Maschinen sind, sondern der Homo novissima, fühlte sich weniger genial an, als sie sein könnte. Dass die Menschheit ohnehin aussterben wird, egal welche Spezies der nächste Schritt sein wird, mag ähnlich radikal sein, wie bisherige Änderungen am X-Men-Kosmos. Doch entsteht hieraus nicht direkt eine Handlung für die aktuellen Comics, da das, was aus der Menschheit entstehen könnte, aktuell noch keine Relevanz hat.

Dazu sind mir die Handlungen diverser Figuren nicht wirklich klar. Warum diese harte Strafe für Sabretooth, wenn er nicht vor der Mission auf das korrekte Vorgehen hingewiesen wurde? Warum sitzt Mystique im Konzil, die mit Sabretooth zusammen auf derselben Mission war und vermutlich ähnlich gehandelt hätte und dazu noch Forderungen stellt, mit denen Moira nicht einverstanden ist? Auch die Handlung des Bibliothekars in der Zukunft wirkt unlogisch und hat sich mir nicht ganz erschlossen. Die persönlichen Zweifel wirken hier nicht glaubhaft.

Wenn man so will, ist dieser Band ein leicht deprimierendes Ende für das ganze Event. Aber als Start für eine neue Reihe funktioniert es. Denn nun wissen die Mutanten, dass sie bisher immer verloren haben, egal was Moira in ihren bisherigen Leben ausprobiert hat. Das Potential für großartige Geschichten ist da. Das Fundament wurde gelegt. Ich denke, dass gerade für den übergeordneten Handlungsfaden mehr möglich gewesen wäre und man den größten Twist in den letzten Band hätte legen können. Doch vielleicht ist mir die Tragweite dieser Offenbarung auch noch nicht ganz klar. Das Interesse an der kommenden X-Men-Heft-Reihe wurde dennoch geweckt.

Die harten Fakten

  • Autor: Jonathan Hickman
  • Zeichner: Pepe Larraz, R. B. Silva
  • Seitenanzahl: 116
  • Preis: 14 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Panini-Comics, Amazon, idealo

 

Artikelbild: © Panini Comics, Bearbeitung: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Saskia Harendt

Diese Produkte wurden kostenlos zur Verfügung gestellt.

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