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Mit Dominion erhielt das Deck-Building-Prinzip Einkehr in die Spielewelt und hat seitdem einige namhafte Vertreter hervorgebracht. Mit Terrors of London versucht sich nun ein weiterer Teilnehmer, mit dieser Mechanik auf dem Markt zu etablieren. Wir haben ihn uns genauer angeschaut.

Das Spielmaterial von Terrors of London
Das Spielmaterial von Terrors of London

Sein Kartendeck verbessern, indem man neue und stärkere Karten kauft und weniger gute bzw. störende loswird – das Grundprinzip bei Deckbau-Spielen ist stets das gleiche und Terrors of London, das hier in der englischen Version getestet wurde, macht da keine Ausnahme. Es hat aber einige Besonderheiten zu bieten, mit denen die Macher versucht haben, sich von den anderen Spielen mit dieser Mechanik abzuheben.

Angesiedelt ist das Spiel im viktorianischen London, das von übernatürlichen Monstern heimgesucht wird. Die Spieler übernehmen die Rollen von dämonischen Overlords, um in einem Duell Eins gegen Eins den Besten, Größten und Stärksten von ihnen zu ermitteln. Denn was schon bei Highlander galt, gilt auch bei Terrors of London: Es kann nur einen (Overlord) geben.

Ausgelegt ist dieser Deckbuilder auf nur zwei Spieler. Es gibt aber abweichende Regeln, mit denen das Grundspiel auch zu viert spielbar ist. Dann allerdings kämpft nicht jeder gegen jeden, sondern es treten zwei Zweierteams gegeneinander an. Getestet wurde hier nur die Zwei-Spieler-Variante.

Spielablauf

Zu Beginn entscheidet sich jeder Spieler für einen von vier Overlords, die einer der Fraktionen Untote, Bestien, Sterbliche und Geister angehören, und nimmt sich das dazugehörige Spielmaterial, was in diesem Fall recht überschaubar ist. Jeder Overlord hat vier individuelle Einflusskarten, von denen ein Spieler zwei mit in die Partie nimmt und die sich von den Einflusskarten seines Gegenspielers unterscheiden. Zur Vervollständigung seines Startdecks erhält jeder noch fünf Kultisten, die Geld einbringen, und drei Fanatiker, die dem Spieler Macht verschaffen, und die wiederum bei beiden Spielern gleich sind.

Bevor jeder sein Startdeck mischt, platziert er auf der Tafel seines Overlords, der selbst auch eine individuelle Fähigkeit besitzt, einen Marker bei dem maximalen Wert an Lebenspunkten. Dieser ist bei drei von vier Overlords unterschiedlich. So startet Azazael mit 50 Lebenspunkten, während sich Lilith und Fenris mit 45 begnügen müssen und Methuselah sogar nur 40 hat.

Zuletzt werden noch die acht Akolythen- sowie alle übrigen Karten separat gemischt und je ein eigener Stapel aus ihnen gebildet. Letztere, die Monster und Reliquien enthalten, stellen den Markt dar, und von ihnen werden zu Spielbeginn fünf offen ausgelegt, was im Spiel als Straße bezeichnet wird.

Nun zieht der Startspieler vier und sein Gegenüber fünf Karten auf die Hand und schon kann das Duell beginnen. Vier Karten zieht der Startspieler nur dieses eine Mal. Im weiteren Verlauf darf auch er zum Ende jeder Runde grundsätzlich fünf Karten von seinem Nachziehstapel nehmen.

 Jeder Overlord hat vier Einflusskarten zur Auswahl.
Jeder Overlord hat vier Einflusskarten zur Auswahl.

Wer an der Reihe ist, durchläuft in seinem Zug drei Phasen, wobei das eigentliche Spiel nur in der ersten Phase stattfindet, denn das ist die Aktionsphase. Hier nutzen die Spieler Aktionen, um Karten auszuspielen oder neue von der Straße zu kaufen, Horden aus ihren Untergebenen zu bilden, Reliquien oder die Fähigkeit ihres Overlords einzusetzen und schlussendlich auch, um ihrem Gegenüber Schaden zuzufügen. Denn wenn die Lebenspunkte des gegnerischen Overlords auf null fallen, hat man das Spiel gewonnen.

In der zweiten Phase, der Aufräumphase, werden die gespielten Karten geräumt und auf den Ablagestapel gelegt, und in der letzten Phase, der Nachziehphase, werden nur noch neue Karten auf die Hand gezogen. Sind nicht mehr genügend Karten im Nachziehstapel vorhanden, werden zunächst alle verbliebenen auf die Hand genommen, ehe der Ablagestapel gemischt und mit den restlichen Karten vom dann neuen Nachziehstapel die Kartenhand aufgefüllt wird. Diese beiden Phasen sind in wenigen Momenten erledigt.

In der Aktionsphase stehen jedem Spieler die schon oben in Kürze zusammengefassten Möglichkeiten zur Verfügung. Es gibt keine festgelegte Reihenfolge, in der man seine Aktionen ausführen muss. Auch sind die Aktionen nicht limitiert. So kann man zum Beispiel auch mehrere Käufe tätigen, wenn das eigene Budget es zulässt.

Wie bei Deckbuildern üblich sind auf den meisten Karten Ressourcen abgebildet, hier insbesondere ein Wert für Münzen, Macht oder Erholung. Mit der Summe aus allen Münzen kann man sich neue Karten von der Straße kaufen, wobei sofort nachdem man eine gekauft hat, eine neue Karte aufgedeckt wird. Man kann auch einen Akolythen kaufen, der immer zwei Münzen kostet und künftig immer zwei Münzen als Einkommen bringt. Mit der Summe aus allen Machtpunkten fügt man dem Gegner Schaden in entsprechender Höhe zu und mit der Summe aus allen Erholungspunkten regeneriert man seine Lebenspunkte.

Das gilt natürlich immer nur so lange, bis die Werte durch andere Karten modifiziert oder beeinflusst werden. So kann zum Beispiel eine Karte mit einem Rüstungssymbol Schaden abwehren, oder manche Karten erlauben das Umwandeln von Machtpunkten in Münzen und umgekehrt. Im Übrigen bestimmen die Kartentexte, was mit den jeweiligen Karten möglich bzw. erlaubt ist.

Mit diesen Karten hat man vier Münzen, verursacht drei Schadenspunkte und kann weitere Fähigkeiten nutzen.
Mit diesen Karten hat man vier Münzen, verursacht drei Schadenspunkte und kann weitere Fähigkeiten nutzen.

Die Fülle an Fallkonstellationen ist auch bei Terrors of London enorm. Es gibt aber eine Besonderheit, die dies noch einmal erhöht, und das ist das bereits angedeutete Bilden von Horden. Denn wie jeder Overlord, gehört auch jedes Monster einer der Fraktionen Untote, Bestien, Sterbliche und Geister an. Die Monster haben neben ihrer eigentlichen Fähigkeit noch eine oder zwei Hordenfähigkeiten, auf die man nur zurückgreifen kann, wenn sie Teil einer Horde sind.

Jede Fraktion hat genau zwei Fraktionen, mit denen sie gut harmoniert und eine, mit der sie gar nichts anfangen kann. So mögen zum Beispiel die Monster aus der Fraktion der Bestien solche der Fraktionen Sterbliche und Untote, können aber keine Horden mit Geistern bilden. Erkennbar ist das sowohl an den Fraktionssymbolen auf den Karten als auch an Doppelpfeilen in den unteren beiden Ecken. Spielt man Monster zweier Fraktionen aus und bildet mit ihnen eine Horde, erhält man zusätzlich (nur) eine der  Hordenfähigkeiten der beteiligten Monster. Erweitert man die Horde um ein weiteres Monster, darf man auf eine weitere, allerdings andere Hordenfähigkeit zurückgreifen. Gerade durch das Bilden von Horden können sich wilde Kombinationen ergeben, die dem Spiel das gewisse Etwas verleihen, wodurch es sich von anderen Deckbuildern unterscheidet.

Die Fraktionen haben aber auch noch an einer anderen Stelle eine nicht unwesentliche Bedeutung. Denn die Einflusskarten der jeweiligen Overlords haben zwar eine grundsätzliche Fähigkeit, aber sie besitzen noch eine zusätzliche Fähigkeit, die erst aktiviert werden kann, wenn ein Monster ausgespielt wurde, das derselben Fraktion wie der Overlord angehört.

Die Texte und Symbole auf allen Karten sind zumindest in der englischen Version selbsterklärend und sollten keine Zweifel aufkommen lassen, wie sie zu behandeln sind. Auf vielen steht aber auch nur ein Schlüsselwort in Großbuchstaben. Anfangs muss man im Regelheft nachschlagen, was das einzelne Schlüsselwort bedeutet, da es auch auf der ebenfalls erhältlichen Spielhilfe nicht detailliert erklärt wird. Doch schon nach kurzer Zeit hat man sich damit vertraut gemacht.

Solche Schlüsselwörter, die nachfolgend auf Englisch und Deutsch wiedergegeben werden, können zum Beispiel sein:

  • MUSTER/APPELL: Man erhält einen MUSTER-/APPELL-Marker und kann in der Nachziehphase für jeden dieser Marker eine Karte mehr auf die Hand nehmen.
  • CLAIM/FORDERUNG: Gekaufte Karten mit diesem Schlüsselwort darf man oben auf seinen Nachziehstapel legen, anstatt sie, wie es die Regel ist, nach dem Kauf auf den Ablagestapel zu legen.
  • RAGE/WUT: Man erhält entweder zwei Macht- oder Erholungspunkte.
  • HAUNT/SPUK: Das Monster erhält einen HAUNT-/SPUK-Marker, der mit der HAUNT-Seite nach oben auf der Karte platziert wird. Eine solche Karte wird in der Aufräumphase nicht abgeräumt, sondern der Marker wird auf die DISMISS-Seite gedreht. In seiner nächsten Runde steht dem Spieler dieses Monster von Beginn an zur Verfügung.

Der overlordsche Schlagabtausch geht so lange Runde um Runde weiter, bis die Lebenspunkte eines Overlords auf null sinken.

Beide Spieler haben schon zwei Reliquien gekauft.
Beide Spieler haben schon zwei Reliquien gekauft.

Ausstattung

Das Spielmaterial von Terrors of London ist überschaubar und besteht hauptsächlich aus den 108 Karten mit Monstern, Reliquien, Akolythen und Einfluss. Daneben gibt es noch die vier Tafeln für die Overlords, die allerdings anders als man erwarten könnte, nicht aus fester Pappe sind, sondern nur etwas dicker als die normalen Karten. Zudem gibt es Lebens-, MUSTER/APPELL- und HAUNT-/SPUK-Marker. Zwei Spielhilfen runden das Spielmaterial ab, das in einer Schachtel in Form eines Buches mit Magnetverschluss Platz findet.

Als schaurig schön kann man die Karten sowie die Overlord-Tafeln bezeichnen, die optisch echte Hingucker sind. Das Artwork bringt die Atmosphäre des finsteren viktorianischen Londons hervorragend auf den Tisch und trägt seinen Teil zum Spielspaß ohne Abrede bei.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Kolossal Games, Matagot
  • Autor: Brad Pye
  • Erscheinungsjahr: 2019
  • Sprache: Deutsch/Englisch/Französisch
  • Spieldauer: 20 bis 40 Minuten
  • Spieleranzahl: 2 4
  • Alter: 14+
  • Preis: 21,00 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, idealo

 

Bonus/Downloadcontent

Für Terrors of London existieren bereits die beiden Erweiterungen The Reptile Tomb und Servants of the Black Gate, die vornehmlich neue Overlords mit sich bringen, die einen TERROR-Marker-Mechanismus nutzen bzw. Handlanger anstelle von Einflusskarten verwenden. Zudem gibt es neue Karten mit Monstern, Reliquien, etc., was insgesamt auch ein Spiel mit bis zu vier Spielern möglich macht, die dann auch gegeneinander antreten können. Bislang gibt es nur die erstgenannte Erweiterung auf Deutsch, jedoch existieren für beide Erweiterungen deutsche Regeln.

Diese können neben den deutschen Regeln für das Grundspiel auf der Homepage von Kolossal Games heruntergeladen werden. Dort findet man auch die englischen Regeln, nach denen man bereits das Grundspiel zu viert in zwei Teams zu je zwei Spielern spielen kann.

Ebenfalls erhältlich ist eine eigens für dieses Spiel entwickelte Matte, die einen Bereich für den Markt, die Straße und die Akolythen offeriert.

Fazit

Terrors of London erfindet das Wesen eines Deckbuilders nicht neu. Es fügt ihm aber in seiner Ausgestaltung einige interessante Elemente hinzu, die funktionieren und deshalb auch überzeugen können. Dazu gehört in erster Linie das Bilden von Horden. Es erhöht die Kombinationsmöglichkeiten während der eigenen Aktionsphase und erlaubt, auch mit vermeintlich schwachen Karten einiges zu bewirken. Nicht selten eröffnen sich einem während des Bildens von Horden ganz andere Optionen, die man anfangs gar nicht auf dem Schirm hatte, sodass man während seines Zuges noch wunderbar auf eine andere Strategie umschwenken kann.

Auch dass es vier verschiedene Overlords gibt, die mit jeweils vier verschiedenen Einflusskarten daherkommen, ist ein Pluspunkt, denn es steigert die Variabilität. Jedes Spiel verläuft ein wenig anders, weil man eher darauf bedacht ist, Monster derselben Fraktion wie sein Overlord zu erwerben, um die Einflusskarten auch nutzen zu können. Was wir nur nicht ganz nachvollziehen konnten war, dass Azazael 50 Lebenspunkte hat und damit zum Beispiel 10 mehr als Methuselah. Das ist nicht wenig und es ist auch nicht so, dass die Fähigkeit von Methuselah (Ziehe eine Karte, dann wirf eine ab) immens besser wäre als die Opfer-Fähigkeit Azazaels, mit der dieser Overlord eine Handkarte dauerhaft aus dem Spiel entfernen und sich so schwacher Karten entledigen kann.

Egal in welcher Konstellation, sich mit seinem Gegenüber zu duellieren macht Spaß und ist kurzweilig. Reliquien des Gegners können mit Karten mit dem Schlagwort DESTROY/ZERSTÖRE beseitigt werden, und auch an vielen anderen Stellen hat man gute und teils fiese Möglichkeiten, seinen gegnerischen Overlord zu ärgern. Was die Spieldauer angeht, kommt man mit den vom Verlag angegebenen 20 bis 40 Minuten gut hin, wobei sie sich eher am hinteren Ende dieser Angabe einpendelt. Die Dauer ist jedenfalls überschaubar, sodass einer Revanche oftmals nicht viel im Wege steht.

Für einen Preis um 20,00 EUR erhält man einen wirklich guten Deckbuilder, der seinem Wesen nach auf bekannte Mechaniken zurückgreift, ihm mit einigen zusätzlichen Elementen aber noch einmal ordentlich aufpeppt.

Artikelbild: © Matagot, © Kolossal Games
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Saskia Harendt
Fotografien: David Saller
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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