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Großbritannien in Jonathan Strange & Mr. Norell hat eine magische Vergangenheit, die lediglich noch in Legenden und Sagen weiterlebt. Magie wird nicht mehr praktiziert, sondern nur noch von Gentlemen theoretisch erforscht. Zumindest bis Mr. Norell auf den Plan tritt und Großbritanniens Ansichten über Magie auf den Kopf stellt.

Die Gilde der Magier von York verbringt ihre Abende so, wie man diese als Gentleman Ende des 19. Jahrhunderts verbringt: mit theoretischen Diskussionen über Magie. Man möchte sich schließlich nicht mit den Scharlatanen auf eine Stufe stellen, die hart arbeitenden Leuten mit billigen Tricks das Geld aus der Tasche ziehen. Bis Mr. Norell genötigt wird, unter Beweis zu stellen, dass er wirklich Zauber wirken kann und damit der Magie zu Aufmerksamkeit verhilft.

Handlung & Charaktere

Daraufhin begibt sich Mr. Norell nach London, um seine magischen Fähigkeiten im Krieg gegen Napoleon einsetzen zu dürfen. Dazu muss er aber zunächst so weit in den entsprechenden Kreisen aufsteigen, bis er sich bei den entsprechenden Stellen vorstellen kann. Insbesondere die Herren Lascelles und Drawright helfen ihm hierbei. Selbstverständlich ziehen sie ihre Vorteile daraus, mit dem vermeintlich einzigen praktizierenden Magier Großbritanniens bekannt zu sein.

Schließlich nimmt Mr. Norell den jungen Jonathan Strange, der sich als magisches Naturtalent entpuppt, als seinen Lehrling an. Ihr Ziel, Großbritannien zu alter Größe zurückzuführen, führt sie auch ins Elfenkönigreich. Doch vor diesen Wesen sollte man sich vorsehen: Sie sind keine Menschen, und sie haben wenig für diese übrig. Schließlich kommt es jedoch zum Bruch zwischen den beiden, und Strange stellt sich gegen seinen ehemaligen Lehrer.

Die Charaktere sind glaubhaft geschildert und niemals rein gut oder böse. Clarke hat es geschafft, in Jonathan Strange & Mr. Norell ein Ensemble an moralisch grauen, jedoch niemals farblosen Charakteren zu versammeln, das seinesgleichen sucht. Es sind diese Charaktere, die die Handlung mit ihren Motivationen und Ambitionen vorantreiben. Action sucht man vergebens.

Schreibstil

Clarke schreibt mit einer beißenden Ironie, die ich so selten in der Phantastik gelesen habe. Ihre Beschreibungen der Gesellschaft erinnern an Jane Austen, was aber nicht bedeutet, dass man der Geschichte schwer folgen kann. Im Gegenteil: Jonathan Strange & Mr. Norell liest sich von vorne bis hinten wie die scharfzüngigen Beobachtungen eines Mitglieds der höheren Gesellschaft, das nichts Besseres zu tun hat, als das Leben der beiden Magier unter die Lupe zu nehmen.

Die Fußnoten, die sich in jedem der 70 Kapitel finden, erinnern mich in ihrem Unterhaltungswert an die Bartimäus-Reihe von Jonathan Stroud; dabei tragen sie auch zum Worldbuilding bei. Wer diese überblättert, ist selbst schuld.

Allgemeines zum Buch

Susanna Clarke ist Britin und wurde 1959 in Nottingham geboren. Abgesehen von Jonathan Strange & Mr. Norell, was mehrfach ausgezeichnet wurde, hat sie einen weiteren Roman und mehrere Kurzgeschichten veröffentlicht.

Eine auf dem Roman basierende Miniserie wurde 2015 von der BBC produziert und begeistert von Kritikern aufgenommen.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Heyne Verlag
  • Autorin: Susanna Clarke
  • Erscheinungsdatum: Dezember 2020
  • Sprache: Deutsch (Aus dem Englischen übersetzt von Anette Grube und Rebekka Göpfert)
  • Format: Taschenbuch
  • Seitenanzahl: 1.056 Seiten
  • ISBN: 978-3-453-42474-6
  • Preis: 19,99 EUR (Print) + 15,99 EUR (E-Book)
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon (Deutsch + Englisch), idealo

 

Fazit

Wem es nach etwas weniger Action und mehr Charakterentwicklung gelüstet, wird an Jonathan Strange & Mr. Norell seine helle Freude haben. Der Plot ist durchdacht und baut sich allmählich, wenn auch etwas langsam, auf. Die beiden Hauptfiguren wachsen einem ans Herz, und man findet sich oft in einem Zwiespalt zwischen deren Handlungen und dem eigenen moralischen Verständnis. Gewürzt mit einer gehörigen Prise Ironie und dem schwarzen Humor der Briten handelt es sich um einen sehr unterhaltsamen Roman. Mit seinen über 1.000 Seiten ist er allerdings auch ein ordentlicher Schinken, auf den man sich einlassen muss.

Lasst euch gerne darauf ein und folgt Mr. Norell und Jonathan Strange durch ihre Bemühungen. Es wird sich lohnen.

 

Artikelbilder: © Heyne Verlag
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Ricardo Davids

1 Kommentar

  1. Eines der besten Bücher mindestens seit der Jahrtausendwende, wie ich finde.
    Insbesondere auch die Darstellung der Andersweltlichen sucht ihresgleichen, ebenso wie die Geschichte mit ihren Wendungen insgesamt – von missglückter Nekromantie über einen wirklich guten Fluch bis hin zur verrückten Katzenlady strotzt das Buch vor Geistreichheit und ist auch literarisch wirklich ein Genuss.

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