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Harry Dresden, Konsultant des Chicago PD und professioneller Zauberer, hat endlich wieder einen Fall auf dem Tisch, der ihm hilft, die Miete zu zahlen. Doch dann wird er Verdächtiger in einem grausamen Mordfall. Um ihn zu lösen, muss er Magie einsetzen; aber das könnte ihn das Leben kosten.

Harry ist gerade dabei zu entscheiden, welchen Roman er als nächstes während der Öffnungszeiten seines Büros lesen soll, als wider Erwarten ein neuer Auftrag reinkommt. Da er erneut mit seiner Miete in Rückstand ist und er in der vergangenen Woche nur einen Job hatte, der nicht viel eingebracht hat, hinterfragt er den Vorschuss von 500 Dollar nicht. Monica Sells bittet ihn, ihren verschwundenen Ehemann zu finden, der sich in letzter Zeit mit Magie beschäftigt hat. Allerdings wartet auch das Chicago Police Department auf seinen Input in Bezug auf einen Doppelmord, der offensichtlich paranormale Verbindungen aufweist. Und dann gibt es da noch das Problem mit dem Weißen Rat der Zauberer, der nur auf einen Fehler Harrys wartet.

Das Rollenspiel The Dresden Files, das auf der Romanreihe basiert, haben wir bereits besprochen. Doch was kann der erste Roman, der bereits im Jahr 2000 erschienen ist?

Story

Die Story in Storm Front scheint zunächst sehr fragmentiert zu sein. Der Fall des vermissten Ehemanns, der rätselhafte Doppelmord und eine neue Droge, die Chicago überschwemmt und das dritte Auge öffnen soll; all diese Handlungsstränge scheinen zunächst nichts miteinander zu tun zu haben. Erst langsam verweben die Stränge sich zu einem kohärenten Ganzen und ergänzen sich gegenseitig.

Harry, der als Erzähler in der ersten Person fungiert, bietet den Leser*innen hin und wieder Informationen zur Welt und zu seiner eigenen Geschichte an; allerdings handelt es sich dabei um solch kleine Wissensbrocken, dass sie oft mehr Fragen aufwerfen als beantworten. Man erfährt somit zwar bis zur letzten Seite, warum Harry von Morgan, einem Wächter des Weißen Rates, beschattet wird, aber nicht, warum der Protagonist ein Jagdmal trägt und von wem er gejagt wird. Die zunehmende Spannung lässt allerdings großzügig darüber hinwegsehen. Etwa nach dem ersten Drittel beziehungsweise der Hälfte scheint Harry unter Problemen und Komplikationen geradezu begraben zu werden. Anstatt das Buch genervt zur Seite zu legen, weil absolut nichts für Harry funktioniert, habe ich regelrecht an den Seiten geklebt und konnte nicht aufhören zu lesen.

Harry Dresden erfüllt die gängigsten Klischees eines zynischen Privatdetektivs aus einem Film Noir. Dies mag nicht allen Lesenden gefallen. Verglichen mit Fetch aus Der letzte Held von Sunder City gelingt Butcher in Storm Front jedoch der Spagat zwischen sympathischem Zynismus und unbedingter Treue zu den wenigen Menschen, die zu Harry stehen. Zudem ist es sehr erfrischend, einen Protagonisten zu sehen, der auch einmal einen schwachen Magen hat, wenn er mit grausamen Morden konfrontiert wird.

Lediglich die Frauenfiguren sind in den letzten 21 Jahren nicht gut gealtert. Sicher, Lieutenant Murphy wird als toughe Frau dargestellt, die professionell ist und auf sich selbst aufpassen kann; dennoch ist sie durchweg auf Harrys Hilfe angewiesen und nicht viel mehr als der Lestrade zu Harrys Holmes. Außerdem sind alle Frauen wunderschön und drei von fünf scheinen nur als sexualisierte Objekte zu bestehen.

Schreibstil

Storm Front lässt sich flüssig lesen. Harry, als Erzähler aus der ersten Person, erzählt sehr umgangssprachlich und humorvoll; „hell’s bells“ wird ziemlich sicher Eingang in meinen Wortschatz finden.

Die Handlung spielt in Chicago, wo Harry, seines Wissens nach, der einzige Zauberer ist. Gemäß den Regeln der Urban Fantasy leben paranormale Kreaturen neben den Menschen, ohne dass diese sich dessen bewusst sind. Dass eine Vampirin einen Escort Service führt, ist nur denen bekannt, die mit der paranormalen Welt vertraut sind. Somit erinnert die Welt sehr an das London von Alex Verus.

Zur deutschen Übersetzung kann ich leider nichts sagen, da ich mich entschlossen habe, den Roman auf Englisch zu lesen.

Der Autor und die Dresden Files

Jim Butcher ist 1971 in Independence geboren und studierte Englische Literatur. Nach seinem Abschluss war er zunächst als Englischlehrer tätig und schrieb nebenbei an Storm Front dem Auftakt der Dresden Files. 2006 wurde Storm Front schließlich auch unter dem Titel Sturmnacht in Deutschland verlegt.

Mittlerweile umfassen die Dresden Files 15 Romane und zahlreiche Kurzgeschichten. 2007 erschien eine Serie, die lose auf den Dresden Files basierte und sich lediglich die Welt und einige Charaktere zu eigen machte. Nach einer Staffel mit 12 Folgen wurde sie nicht um eine weitere Staffel erneuert. Deutlich bekannter und beliebter ist das Rollenspiel auf FATE-Basis The Dresden Files, das sich weiterhin großer Beliebtheit erfreut.

Erscheinungsbild

Das Cover greift die durch Harry Dresden aufgerufene Assoziation mit Film Noir auf und zeigt einen Mann in dunklem Mantel vor dem düsteren Hintergrund einer nächtlichen Stadt. Dass es sich bei Storm Front nicht um den typischen Krimi handelt, wird spätestens beim Blick auf den Stab in der Hand des Mannes klar, der mit leuchtenden Glyphen die Verbindung zur Magie deutlich macht.

Der Satz im E-Book ist tadellos, bis auf den Text, der sich auf Schildern oder Zetteln befinden soll; dieser ist im Vergleich zum restlichen Text deutlich kleiner und schwieriger zu lesen.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Roc
  • Autor: Jim Butcher
  • Erscheinungsdatum: April 2000
  • Sprache: Englisch
  • Format: E-Book
  • Seitenanzahl: 332 Seiten
  • ISBN: 978-0451457813
  • Preis: 7,99 EUR (Print) + 3,99 EUR (E-Book)
  • Bezugsquelle Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit

Storm Front ist ein gutes Beispiel dafür, dass man auch ältere Bücher neu entdecken kann. Ich habe mich durchweg unterhalten gefühlt und habe Harry Dresden sehr gern gewonnen. Es ist lange her, dass ich von einem Buch so gefesselt war und ich bin ein bisschen enttäuscht gewesen, als es schon zu Ende war. Die Handlungsstränge, die zunächst beliebig erscheinen, werden schließlich wunderbar zusammengeführt und gipfeln in einem befriedigenden Finale, das dennoch die Konsequenzen aus Harrys Entscheidungen weiterführt. Ich bin sehr gespannt, wie sich das auf den zweiten Teil auswirken wird.

Die Frauenfiguren sind nicht gut gealtert, aber ich habe die leise Hoffnung, dass sich das über den Verlauf der 15-bändigen Serie ändert. Insbesondere von Murphy möchte ich mehr lesen.

Mit „nur“ 332 Seiten hat der Roman genug Platz, sich zu entfalten, aber nicht so viel, dass es zwischendurch langweilig wird. Es gibt kaum Pausen zum Durchatmen, weder für die Leser*innen noch für Harry.

Wer wie ich auf den nächsten Band der Alex Verus Reihe wartet und mehr in dieser Richtung lesen möchte, dem kann ich Storm Front und Harry Dresden nur ans Herz legen.

  • Toller Spannungsbogen
  • Sympathischer Protagonist
  • Handlungsstränge, die klug zusammengeführt werden
 

  • Veraltete Frauenfiguren
  • Film-Noir-Klischees

 

Artikelbilder: © Roc, Depositphotos | dleindecdp
Layout und Satz: Verena Bac
Lektorat: Christin Grigowski
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

8 Kommentare

  1. Hallo Vanessa, vielen Dank für die schöne Rezension. Habe sie gerne gelesen. Ich fand das Buch auch sehr lesenswert – was natürlich viel mit dem namensgebenden Sympathieträgerund „Loser“ Harry Dresden zu tun hat. :-)
    Ich habe damals zeitgleich das Rollenspiel World of Darkness gespielt (WoD) gespielt. Das passte wunderbar zusammen und ich entnahm den Harry Dresden Geschichten einige Inspirationen für eigene Abenteuer in der Rollenspielrunde. Das Harry Dresden Rollenspiel habe ich dann auch nicht getestet, weil WoD ein schon bereits sehr gutes Regelwerk bietet und man sich ja sowieso niemals sklavisch an alle Hintergründe zu Rollenspielwelten halten sollte. :-)

    • Hallo Flo,
      schön, dass du Spaß mit der Rezension hattest 🙂
      World of Darkness sagt mir leider nichts, aber das heißt ja nicht, dass man es sich nicht auch mal anschauen kann. Ich bin inzwischen auch am zweiten Band der Dresden Files und sehr gespannt, wie sich das Ganze noch entwickelt.

  2. Es sind inzwischen 17 Romane. 2020 kamen im Juli „Peace Talks“ und im September „Battle Ground“ raus. Butcher braucht ein paar Bände um sich so richtig einzugrooven. Der Schreibstil wird besser und die Figuren kriegen deutlich mehr Tiefe.

    Und Dresden Files lebt von Film Noir Klischees ;-) …

    • Hallo Martin,
      danke für deine Anmerkung, dann kann ich direkt noch 2 Bände zu meiner Leseliste hinzufügen. Ich bin sehr gespannt, was er sich da noch so alles ausgedacht hat 🙂

  3. Für Rollenspieler kann ich Dresden Files Accelerated sehr empfehlen! Das ist schön regelleicht und kompakt und trifft die Stimmung der Bücher zu hundert Prozent.

    Ansonsten muss ich Vanessa da zustimmen, was die Frauenfiguren angeht. Die sind schon teils sehr zweidimensional, auch wenn einige als mächtige Gegenspielerinnen durchaus was drauf haben. Aber sie sind entweder extrem gefährlich und hässlich (Mavra, die Vampirzauberin) oder extrem gefährlich und sexy (alle Vampire und Feen).

    Dresden Files macht aber vielleicht gerade wegen der eingängigen Klischee jede Menge Spaß!

    • Hallo Sebastian,
      das RPG schaue ich mir gerne an, ich bin sicher, dafür kann ich ein paar Leute im Freundeskreis begeistern 🙂
      Bei den Frauenfiguren hoffe ich wirklich noch auf eine Entwicklung über die Folgebände hinweg. Ich werde definitiv weiterlesen, es macht schon sehr Spaß.

      • Also bei Murphy ist das auf jeden Fall so. Sie wird nicht nur eine richtig gute Freundin, sondern in manchen Punkten sogar eher eine Mentorin für Harry.
        Das Dresdenverse wird mit jedem Band komplexer, größer und epischer. Da hast du dich auf was eingelassen. ;)
        Um Spoiler zu vermeiden, würde ich dann allerdings erstmal die Romane bis „Changes“ lesen, und dann erst mit dem Rollenspiel loslegen. Sonst hat man einige WTF-Momente.

  4. Die Frauenfiguren und besonders Murphy werden in der Tat komplexer. Und was die Fixierung auf die Optik betrifft, sollte man nicht vergessen, dass wir die Beschreibungen durch den Filter des Erzählers Harry bekommen,und der ist nunmal ein ziemlicher Chauvinist (oder „von der alten Schule“, wenn man es freundlicher formulieren möchte). Butcher versteht es sehr gut, die Perspektive der jeweiligen erzählenden Personen einzusetzen, was auch in späteren Kurzgeschichten deutlich wird, wo das mal wechselt.

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