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Das Werfen von Feuerbällen wäre bei einem Grillabend sehr hilfreich. Aus diesem Grund macht sich Owen Johnson in Fire Power jedoch nicht auf die Suche nach dem Tempel der flammenden Faust. Der junge Mann sucht Antworten über seine Herkunft, die ihn zu einer für die Welt wichtigen Martial Art führen.

Wenngleich Robert Kirkman am bekanntesten für seine Zombie-Serie The Walking Dead ist, fanden in den letzten Monaten eine Vielzahl anderer Serien des US-Amerikaners ihren Weg auf den deutschen Markt. Neben der Superheldenreihe Invincible gehören dazu das Science-Fiction-Epos Oblivion Song oder die actionreiche Graphic Novel Die! Die! Die!.

Nachdem alle diese Reihen ihren Platz auf der Liste der besten Graphic Novels 2020 erkämpft hatten, ließ die Ankündigung einer neuen Serie aus Kirkmans Comicschmiede Skybound die Herzen höher schlagen. Fire Power ist laut Beschreibung eine Mischung aus Fantasy und Martial Arts. Dabei steht in der Graphic Novel nicht weniger als das Schicksal der Welt auf dem Spiel. Mit Chris Samnee steht Kirkman ein renommierter Zeichner zur Seite, der 2013 für seine Arbeit an The Rocketeer: The Cargo of Doom und Daredevil mit einem Eisner-Award ausgezeichnet wurde. Beste Voraussetzungen für einen neuen Hit?

Handlung & Charaktere

Der Weg durch das verschneite Gebirge verlangt von Owen Johnson den letzten Rest seiner Kräfte. Angetrieben von seiner Suche nach Antworten um seine Herkunft und die seiner Eltern, trotzt der junge Mann den Herausforderungen der Natur. Mit gewaltiger Anstrengung erreicht er die Stufen zum Tempel der flammenden Faust, wo er zunächst mürrisch vom Meister des Tempels abgewiesen wird.

Nachdem Owen sein Können unter Beweis gestellt hat, erhält er die Chance, bei den Shaolin zu bleiben und zu trainieren. Im Laufe seines Aufenthalts trifft er auf Neugier und Ablehnung der anderen Schüler*innen und Informationen über seine eigene Vergangenheit. Außerdem erfährt er, dass im Tempel die verloren gegangene Kunst des Kampfes mit Feuerbällen wiederbelebt werden soll. Die Technik der flammenden Faust wird laut Überzeugung der Shaolin nötig sein, um eine bevorstehende Bedrohung für die ganze Welt zu beseitigen.

Fire Power hat mich in vielerlei Hinsicht an den Film American Shaolin erinnert. Protagonist Owen Johnson gelingt durch seine Willenskraft und Talente eine Aufnahme im Tempel, wo er sich dem harten Training der Shaolin unterzieht. Sein Status als Fremder bereitet ihm dabei in vielerlei Hinsicht Probleme und er muss sich zunächst den Respekt der anderen Mitglieder des Tempels erarbeiten. Der Großteil der Handlung fokussiert sich auf die Ausbildung, bis die Graphic Novel mit einem actionreichen Showdown endet.

Der interessanteste Charakter der Graphic Novel ist Meister Lun, der Owen unter seine Fittiche nimmt. Das Oberhaupt des Tempels entspricht mit seinem lässigen Stil und losen Mundwerk ganz und gar nicht den stereotypischen Vorstellungen eines ehrwürdigen Shaolin-Meisters. Damit stiehlt er in jeder Szene die Aufmerksamkeit, was allerdings aufgrund der Blässe der anderen Figuren, selbst des Protagonisten, nicht schwer ist. Zwar wird um Owens Herkunft und seine Bedeutung in der Zukunft ein Mysterium aufgebaut, doch trägt das nur marginal zur Ausarbeitung des Hauptcharakters bei.

Robert Kirkman lässt sich den Großteil des Bandes Zeit, die Hintergründe um den Tempel und das Training zu etablieren. Zum Abschluss dieser Graphic Novel zieht das Erzähltempo merklich an. Stellenweise hinterlässt die Erzählweise dabei einen gehetzten Eindruck. Der deutlichste Bruch findet zum Ende statt, als plötzlich ein Zeitsprung erfolgt und man komplett im Ungewissen gelassen wird. Dies könnte man als spannenden Cliffhanger auffassen, doch für mich hat es das Leseerlebnis zu einem unbefriedigenden Abschluss geführt.

Mit ein wenig Recherche zu den US-amerikanischen Veröffentlichungen hat sich mir jedoch eine Erklärung eröffnet. Der erste Sammelband scheint nur die Vorgeschichte zu enthalten, während die tatsächliche Handlung in den Folgebänden erzählt wird. In diesem Kontext macht das Ende als Andeutung der weiteren Geschichte Sinn, wobei man ohne dieses Wissen verwirrt sein wird.

Zeichnungen & Kolorierung

Die künstlerische Gestaltung ist in einem ähnlichen Stil wie andere Veröffentlichungen von Skybound, beispielsweise Oblivion Song oder Die! Die! Die!, gehalten. Konkret bedeutet das eine dicke Lineart und einen Hang zur Überzeichnung der Charaktere in Nahaufnahmen. Objekte und Personen im Hintergrund werden detailärmer gestaltet und schaffen dadurch einen klaren Kontrast zu den Fokuspunkten der Szenen.

Das Talent von Chris Samnee kommt speziell in den Kampfszenen zum Ausdruck, in denen Bewegung und Action dynamisch inszeniert werden. Hierbei passiert es oftmals, dass die Momentaufnahmen in der Hitze eines Gefechts zu wächsern und statisch wirken; glücklicherweise ist das bei Fire Power kein einziges Mal der Fall. Speziell beim letzten Showdown passiert viel zur gleichen Zeit, ohne erschlagend zu wirken.

Die kräftigen Farben von Kolorist Matt Wilson tragen ihr Übriges dazu bei, der Graphic Novel den für Skybound häufig eingesetzten Cartoon-Stil zu verleihen. Wilson ist ein Meister der Kontraste, der es versteht, aus scheinbar ähnlichen Farbtönen eine unglaubliche Tiefe zu gestalten. Wer Interesse an den verwendeten Techniken hat, sollte sich dieses Video des YouTubers Color with Kurt ansehen. Darin erklärt er anhand eines der ersten Panels in Fire Power 1, mit welch genialen Kniffen Matt Wilson den Blick der Leser*innen lenkt.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Cross Cult
  • Autor*innen: Robert Kirkman
  • Zeichner*innen: Chris Samnee, Matt Wilson
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 160
  • Preis: 22,00 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit

Fire Power hat eine Menge Stärken, durch die es in einem Atemzug mit Oblivion Song oder Invincible genannt werden sollte. Die Handlung verspricht eine Geschichte voller Mysterien, übernatürlichen Begabungen, Action und finsteren Bösewichten. Mit Chris Samnee und Matt Wilson arbeiten zwei Schwergewichte der Industrie an der visuellen Umsetzung und kreieren eine wundervoll anzusehende Graphic Novel. Doch so wirklich wollte der Funke nicht auf mich überspringen.

Wenngleich man für lange Zeit den Protagonisten Owen Johnson bei seinem Training begleitet, entwickelt sich kein wirkliches Interesse an dem jungen Mann. Ebenso verhält es sich mit den meisten Nebencharakteren, die – abgesehen vom Meister des Tempels – farblos und oberflächlich wirken. Die Action setzt erst beim Endspurt der Graphic Novel ein, sodass man einen Großteil der Handlung mit blassen Charakteren zubringt.

Der wahre Knackpunkt ist für mich allerdings das Ende. In diesem findet plötzlich ein enormer Zeitsprung statt und Fire Power 1 endet mit einem Cliffhanger der negativen Sorte. Dieser Schritt hat mich komplett aus der Geschichte gerissen und verwirrt zurückgelassen. Nach Recherche zu den englischsprachigen Veröffentlichungen ist klar geworden, dass dieser Band nur die Vorgeschichte zur eigentlichen Hauptgeschichte enthält. Hierbei hätte ich es als besser empfunden, den ersten Sammelband vor dem Zeitsprung zu beenden und mit diesem den Nachfolger beginnen zu lassen.

Dennoch hat Fire Power meine Neugier geweckt. Die Hintergrundgeschichte verspricht eine Menge an Spannung und Kämpfen, in denen die Fäuste und einige Feuerbälle fliegen. Dann hoffentlich ohne solch einen miesen Cliffhanger.

  • Geschichte des Tempels der flammenden Faust schafft spannenden Hintergrund
  • Visuell kraftvolle und dynamische Zeichnungen sowie Kolorierung
 

  • Protagonist und viele Nebencharaktere sind oberflächlich gestaltet
  • Ende der Graphic Novel verwirrt und wirkt wie ein Bruch zum Rest der Handlung

 

Artikelbilder: © Cross Cult
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Jessica Albert
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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