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Riesen sind ein traditioneller Bestandteil der Phantastik. Gewaltige, ruchlose und weltbewegende Kreaturen, eine Begegnung mit einem Riesen lässt niemanden kalt. Zwischen brutaler Naturgewalt, erhabenem Alten und wilder Kreatur, lassen sich viele Stereotype in einem Riesen sehen. Mehr zu diesen Wesen erfährst du in Bigby presents: Glory of the Giants.

Mit dem neuen Werk Bigby presents: Glory of the Giants führt uns Wizards of the Coast in die Welt der Riesen ein. In dem opulent gestaltetemn Band folgen wir dem Zauberer Bigby (ja, dem mit der Hand) und erfahren so manches über das Volk der Riesen. Woher kommen sie? Warum leben sie heute zurückgezogen in Eis und Gebirge? Wie ist ihr das Verhältnis unter den einzelnen Riesenvölkern und -kulturen? Und wie kann man Riesen in ein längeres Rollenspiel einbinden, ohne dass zu viele Stereotype aufkommen?

Riesen haben so viel mehr zu bieten als den Archetyp des tumben großen Vielfraßes, der einfach nur lebt, um zu konsumieren. Dieser stereotype Hügelriese macht zwar auch Spaß und ist eine tolle Herausforderung für niedrigstufige Gruppen von Held*innen, aber viel schöner ist es, diesen fantastischen Antagonisten etwas mehr Hintergrund und Leben einzuhauchen. Für all diejenigen, die sich dafür interessieren, ist dieser Band wie gemacht.

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Diancastras Saga

Das Buch beginnt mit einer Schilderung der Ursprünge der Riesen in den Welten von Dungeons & Dragons. Diancastra, Tochter des Allvaters Annam, Schöpfergott aller Riesen, erzählt mit Zauberer Bigby, dem Lehrling des berühmten Mordenkainen, von der Geschichte der Riesen. Von den Söhnen Annams, den Götterbrüdern Stronmaus, Memnor, Surtur, Thrym, Skoraeus und Grolantor, und wie diese ihrerseits zu Vätern der diversen Riesenethnien wurden. Vom Fall der Riesen und ihrem aktuellen Stand in der Welt. Schlussendlich wird das Ordning erläutert, das rigide Kastensystem, in welchem die Sturmriesen unverrückbar an der Spitze und die Hügelriesen ebenso fest am unteren Ende der Hierarchie stehen. Man gewinnt einen Eindruck, wie unterschiedliche Arten von Riesen sich gegenseitig betrachten. Abgesehen von den klassischen Mitgliedern der Riesenfamilie erzählt das Buch auch von den anderen langen Kerls der Fantasy: Trolle, Oger, Zyklopen, Ettins, Goliaths und Firbolgs werden erwähnt. Schließlich geht die Einleitung auf die unterschiedlichen Besonderheiten der verschiedenen Settings der Welten von Dungeons & Dragons ein – zwischen den Riesen in den Welten der Forgotten Realms, Greyhawk, Dragonlance und Eberron gibt es dann doch mehr als nur kosmetische Unterschiede.

Neue Charakteroptionen

Das wohl für viele Spieler*innen interessanteste Kapitel enthält leider lediglich eine sehr überschaubare Anzahl an neuen Optionen zum Bau eines frischen Charakters. Auf neun Seiten finden sich als Möglichkeiten eine neue Subklasse für Barbar*innen, zwei auf Riesen fokussierte Hintergründe (Giant Foundling und Rune Carver), mehrere Ideen für Charaktere mit Beziehungen zu Riesen und immerhin acht neue Feats zum Ausbau des Charakters.

Die neue Subklasse für Barbar*innen nennt sich Pfad des Riesen. Ähnlich anderen Pfaden werden Barbar*innen mit dieser Subklasse in ihrem Rage größer und ähneln Riesen. Zusätzlich zur gesteigerten Größe können diese Held*innen dann auch in ihrem Rage-Zustand elementare Kräfte anzapfen. Bei einer insgesamt etwas eingeschränkten Auswahl an Features spricht diese Klasse wohl nur absolute Riesenfreund*innen an.

Der Giant Foundling ist zwar kein Riese, wuchs aber zwischen diesen auf. Daher hat der Charakter ihre Sprache und Etliches ihrer Kultur und Weltsicht übernommen. Der Rune Carver hingegen hat sich ganz der Erforschung und Anwendung der alten auf Runen basierenden Magie der Riesen gewidmet. Auch dieser Charakter hat ihre Sprache erlernt und kann auf ein Objekt seiner Wahl eine gewisse Anzahl Sprüche des ersten Grades in Form einer Rune anbringen

Abgesehen von der gerade erwähnten Gabe des Runenschnitzens sind die weiteren Feats sehr auf den Nutzen im Kampf und Attributssteigerungen fokussiert. Das ganze Kapitel ist leider etwas enttäuschend, da entweder kurzgefasst oder zu stark auf den Kampf konzentriert. Schade, hier wäre durchaus mehr möglich gewesen.

Riesen im Spiel

Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit dem intrinsischen Blick auf die innerriesische Gesellschaft. Durch die strenge Einteilung in das Kastensystem des „Ordning“ werden die unterschiedlichen Gruppen der großen Familie der Riesen immer in eine starre Hierarchie gezwängt – der heruntergekommenste Feuerriese wird immer noch voller Hochmut auf seine noch ärmeren Vettern bei den Hügelriesen herabblicken.

Wenn zwei Titanen streiten, gibt es keine Zuschauer.
Wenn zwei Titanen streiten, gibt es keine Zuschauer.

Aber was macht es aus, ein Feuerriese (oder ein Riese mit einem anderen zugeordneten Element) zu sein? Was bedeutet es, größer als ein Standardmensch zu sein? Riesen sind nicht nur einfach große Menschen, sondern haben durch ihre Geschichte, Kulturen und Erlebnisse eine ganz eigene, für Außenstehende unmenschlich wirkende Weltsicht auf ihre Umwelt. Durch ihre immense Stärke stolz und arrogant, neigen sie zwar dazu, Probleme auf eine gewalttätige Art und Weise zu lösen. Das muss allerdings nicht sein. Riesen sind wesentlich diverser und interessanter spielbar, und dieses Kapitel versucht, den Giganten im Spiel ein wenig mehr Nuancen und Facetten zu geben. Dazu muss es nicht einmal ein reklusiver Wolkenriese oder ein zurückgezogen lebender Steinriese sein, um eine ungewohnte Seite an diesen gewaltigen Gestalten zeigen zu können. Auch ein üblicherweise frontaler agierender Feuer- oder Frostriese kann sich dazu entscheiden, zuerst zu reden (Sklaven für die Minen sammeln sich auch schlecht, wenn sie tot sind).

Die diversen Mitglieder der großen Familie der Riesen erhalten Ideen für Hintergründe in dieser strengen Hierarchie unter den Giganten – aber auch Hinweise darauf, wie ein Riese fühlen und agieren könnte, der gegen diese vorgegebene Ordnung verstößt und mit seinen Traditionen bricht. Ebenso werden die unterschiedlichen Götter/Ahnen der Riesen vorgestellt, und welche Riten und Überlieferungen es zu den jeweiligen Überirdischen gibt. Dieses Kapitel ist sowohl für Spielleiter*innen als auch Spieler*innen sehr spannend zu lesen. Besonders interessant sind die Optionen, wenn ein Riese statt den klassischen Ahnengöttern beginnt, Dämonen anzubeten oder einem Kult des elementaren Bösen (wie dem bösen Wasser, oder der bösen Luft…) beizutreten.

Wenn sich Riesen der Verehrung des absolut Bösen zuwenden, hat man ein Problem. Ein Großes.
Wenn sich Riesen der Verehrung des absolut Bösen zuwenden, hat man ein Problem. Ein Großes.

Wie bereits erwähnt, wird in diesem Kapitel besonderer Wert auf das Innenleben der Riesen gelegt. Sei es sozialer, religiöser oder weltanschaulicher Natur. Das Kapitel ist ausführlich, beinhaltet aber keine regeltechnischen Neuerungen.

Abenteuer mit Riesen

Dieses Kapitel enthält eine Unmenge an thematisch sortierten Tabellen mit möglichen Begegnungen, die den Held*innen widerfahren können. Zunächst werden die klassischen Riesenethnien abgehandelt, dazu kommen ergänzend ebenfalls gigantische Kreaturen wie Dinosaurier, Elementare, Konstrukte, aber auch Spezialfälle wie potenzielle Begegnungen in einer Nekropolis oder einer Megafauna-Umgebung. Es ist hier zwar schön, dass die Begegnungstabellen nicht nur Riesen umfassen, Spieler*innen, die mit Tabellen nichts anfangen können, finden hier aber wenig Interessantes für sich.

Der Rest des Kapitels enthält Ideen, wie Riesen Abenteuer und Kampagnen beeinflussen können. In welchem Verhältnis stehen Riesen zu den Abenteuer*innen? Handelt es sich bei den Riesen um das klassische „Monster der Woche“? Müssen die Held*innen eine Siedlung voller Riesen infiltrieren? Spielt das Abenteuer in einer von Riesen beherrschten Welt, in der Riesen und Drachen erst untereinander ausmachen müssen, wer die dominante Megafauna dieser Existenzebene darstellt? Werden die Charaktere gar von einem freundlichen Riesen angeheuert, weil nur sie als „Winzlinge“ eine spezielle Aufgabe erfüllen können? Haben die letzten Riesen dieser Welt in ihren verborgenen Rückzugsorten eine wichtige Zauberformel bewahrt, die das Weltenende aufhalten kann? Und von welcher Art sind diese letzten Riesen – Eremiten, Krieger, Seher? Man sieht, auch im Detail lässt sich hier vieles erkunden.

Das Kapitel liefert eine umfangreiche Ideenschatzkiste für viele Stunden Spielspaß mit gigantischen Potenzialen. Allein dafür ist es schon lesenswert.

Riesige Enklaven

Die Rückzugsorte von Riesen wurden bereits im letzten Kapitel angesprochen. In diesem Abschnitt zeigt sich die unglaubliche Vielfalt der Kultur und Vorlieben der Riesen, was ihre Heimstätten und Kultorte angeht. Je nach individuellem Geschmack können hier ganze Täler erforscht, Höhlen erkundet und Steinkreise entdeckt werden. Wälder, Dungeons, Runenkreise, Observatorien, Türme und ganze Halbebenen sind Thema dieses Kapitels. Das wohl kreativste Setting hier dürfte ein Observatorium sein, welches zwischen zwei Bergspitzen schwebt – an seinem Platz befestigt durch einen beständigen Lichtbogen aus Blitzen.

Riesen sind eine Naturgewalt. Manchmal wortwörtlich
Riesen sind eine Naturgewalt. Manchmal wortwörtlich

Die hier vorgestellten Begegnungsstätten sind kreativ und divers ausgearbeitet. Man kann sich natürlich bei der ein oder anderen Karte noch mehr Details wünschen, aber der Umfang und die Kreativität, die hier eingeflossen sind, kann man durchaus wohlwollend beurteilen. Für Riesen und Held*innen jeden Geschmacks sollte sich hier etwas Spezielles finden lassen. Somit ist dieser Teil des Buches keineswegs nur Leser*innen empfohlen, die einen Riesen in ihr Spiel einbauen wollen, sondern generell jeder*m Rollenspieler*in, welche*r eine Idee für ein Abenteuer braucht.

Riesige Schätze

Die Taschen eines Riesen können gefährlich sein
Die Taschen eines Riesen können gefährlich sein

Besonders spannend für Spielleiter*innen wie Spieler*innen dürfte das Kapitel über die Schätze der Riesen sein. Sei es, dass sie von ihnen im Kampf gewonnen, in einer alten Grabkammer gefunden oder für eine heroische Tat verliehen werden, jede*r Spieler*in freut sich über neue Ausrüstung (und wenn sie noch so groß ist).

Das Kapitel stellt die Frage „Was kann man eigentlich in den Taschen eines Riesen finden“ und beantwortet diese praktischerweise gleich. Sortiert nach den unterschiedlichen Riesenethnien, werden unterschiedliche Schätze und andere Ressourcen aufgelistet, welche ein besiegter Riese bei sich tragen kann. Ob diese Schätze jedoch von jedem Winzling getragen und benutzt werden können (oder ein Ring maximal als Diadem oder als Halsring getragen werden kann), ist dem*der Spielleiter*in überlassen.

Bei den Artefakten liegt der Fokus auf Waffen und Rüstungen. Es gibt aber auch so manche kreativeren Schätze wie Pigmente, mit denen man magische Runen auf seine Mitstreiter*innen malen kann, oder kleine Dinosaurierstatuetten, mit denen man freundliche urzeitliche Riesenechsen beschwören kann.

Bestiarium

Peace was never an Option

Das letzte überaus umfangreiche Kapitel ist eine unglaublich dichte Fundgrube an Kampfwerten für Begegnungen mit Riesen, aber nicht nur diesen. Neben den klassischen Riesenarten finden sich hier auch Todesriesen (nicht zu verwechseln mit untoten Riesen), Dinosaurier (schließlich sind diese ja auch riesig), Elementare, dämonische Entitäten, Firbolgs, Fleischkolosse, Fomorier (gefallene Riesen, welche in unterirdische Bereiche verbannt wurden), Riesengänse und -zecken, Trolle (und die wirklich widerlichen Dinge, die entstehen, wenn sich mehrere Trolle beim Regenerieren verbinden und ineinander weiter existieren), die Avatare der Riesengottheiten und etliches mehr.

Die Fülle an hier vorhandenen Kreaturen ist erstaunlich. Aufgrund der Natur der vorgestellten Wesen bewegt man sich eher im tödlichen Bereich der potenziellen Antagonisten, auch wenn Gegner wie die Riesengans oder der Riesenochse nur sehr frischen Held*innengruppen Probleme bereiten sollten. Aber auch mittelstarke Charaktere sollten hier passende Gegner finden.

Das Buch schließt mit einer kurzen Übersicht über die vorgestellten Kreaturen, sortiert nach dem Herausforderungsgrad und ihrem Kreaturentyp. Schlussendlich finden sich zwei Seiten mit Skizzen zu den verschiedenen Riesen und einer Tabelle mit Plotideen für Abenteuer mit Riesen.

Erscheinungsbild

Das Buch ist durchgehend hochwertig gestaltet. Wer bisherige Publikationen zu Dungeons & Dragons aus diesem Verlag kennt, wird hier keine Überraschung erleben. Die Bindung ist ebenfalls tadellos. Es sind genügend Illustrationen vorhanden, um sich ein schönes Bild zu den vorgestellten Riesen machen zu können.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Wizards of the Coast
  • Autor*in(nen): Project Lead: James Wyatt
  • Erscheinungsjahr: 2023
  • Sprache: Englisch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 192
  • ISBN: 978-0-7869-6898-5
  • Preis: 55,95 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo, DriveThruRPG (Roll 20 VTT)

 

Fazit

Bigby presents: Glory of the Giants ist eine vollgefüllte Ideenschatzkiste mit Potenzial für stundenlangen Spielspaß mit deiner Dungeons & Dragons–Runde. Die namensgebenden Riesen werden in ihrer vielfältigen Pracht gezeigt und man erhält etliche Ideen, diese interessanten Kreaturen auf spannende Weise darzustellen.

Der einzige gewichtige negative Kritikpunkt ist die Tatsache, dass das Kapitel für neue Optionen zur Charaktererschaffung etwas kurz geraten ist. Spieler*innen, die sich hier mehr als eine einzige neue Subklasse erhofft hätten, werden hier wohl enttäuscht sein.

Alles in allem ist der Band eine lohnenswerte Anschaffung für alle Dungeons & Dragons Spielleiter*innen. Reine Spieler*innen werden hier nicht so viel Interessantes finden, wenn sie nicht ihre Bibliothek aus Prinzip vervollständigen möchten. Wer jedoch seine Spieler*innen mit dem ein oder anderen spannenden neuen Konzept überraschen möchte, greift hier sicher nicht verkehrt zu.

 

  • Umfangreiche und diverse Ideen für Begegnungen, Kreaturen und Schätze
  • Ein tieferer Einblick in die Geschichte und Denkweise der Riesen
  • Nicht nur auf Riesen beschränkt
 

  • Wenig neue Regeln zur Charaktererstellung, für reine Spieler*innen daher nicht so interessant

 

Artikelbilder: © Wizards of the Coast
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Nina Horbelt

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