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Vorlage für Cons sind meistens Fantasiewelten oder bestehende Fandoms. Doch auch historische Ereignisse bieten sich als vielversprechende Spielvorlage an. Im Folgenden werfen wir einen Blick auf eine mögliche Con mit dem Schwerpunkt auf Turnier und Ambiente mit Kampfoptionen: Die sogenannte Preußenfahrt im 14. Jahrhundert.

Eine Inspirationsquelle für Cons können historische Ereignisse sein, die sich als Vorlage und Ausgangspunkt für spannende Veranstaltungen anbieten. Aus diesem Grund haben wir vor einiger Zeit eine kleine Artikelreihe über verschiedene historische Ereignisse begonnen, die sich als Szenario anbieten. Dieser Artikel setzt die Reihe nun fort. Ich beschreibe dazu kurz den historischen Hintergrund und die beteiligten Parteien und Personen, die als Vorlage für eigene Charaktere und Fraktionen auf der Con dienen können. Außerdem gebe ich einen kurzen Überblick über mögliche Handlungsstränge und natürlich darüber, was für eine Art Con sich hier anbietet.

Das heutige Szenario, das wir uns passend zur Jahreszeit gemeinsam anschauen, ist die sogenannte Preußenfahrt. Hier zog es Adlige aus ganz Europa zur Kreuzfahrt gegen das heidnische Litauen ins Land des Deutschen Ritterordens nach Preußen. Doch weniger der Kampf an sich war die Motivation zur Reise, sondern vielmehr die zahlreichen Festivitäten und Gelage, mit denen die alljährlichen Besucher beglückt wurden.

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A. Der historische Hintergrund

Die Preußenfahrt war das Ergebnis von zwei ursprünglich unzusammenhängenden Ereignissen an unterschiedlichen Enden der Welt.

Wurzeln im Heiligen Land

Das erste waren die Kreuzzüge, bei denen vom 11. Jahrhundert bis zum 13. Jahrhundert christliche Adlige und Gemeine „das Kreuz auf sich nahmen“ und sich einem Heereszug anschlossen, dessen Ziel es war, die heiligen Stätten der Christenheit im Nahen Osten von den Muslim*innen, die diese kontrollierten, zurückzuerobern. Diese Versuche waren teilweise erfolgreich und führten unter anderem zur Gründung des christlichen Königreichs Jerusalem, teilweise scheiterten sie katastrophal und teilweise kamen sie vom Weg ab oder wurden zweckentfremdet, etwa im Falle des vierten Kreuzzuges, der 1204 in der Eroberung und Plünderung Konstantinopels gipfelte – die Hauptstadt eines Reiches, das nicht nur christlich war, sondern noch nicht einmal im Heiligen Land lag. Auf Dauer konnte sich die christliche Präsenz dort allerdings nicht halten, Ende des 13. Jahrhunderts fielen die letzten Kreuzfahrerfestungen endgültig. Das Ansehen, das eine Teilnahme an einem Kreuzzug Rittern einbrachte, blieb jedoch ungebrochen, ebenso wie die Glorifizierung des Kampfes gegen Ungläubige durch Teile der Christenheit.

Darstellung eines Deutschordensritters © gemeinfrei Codes Manesse, UB Heidelberg Public domain, via Wikimedia Commons
Darstellung eines Deutschordensritters © gemeinfrei Codes Manesse, UB Heidelberg Public domain, via Wikimedia Commons

Eine weitere Folge der Kreuzzüge war die Gründung des Deutschen Ritterordens. Ähnlich wie die Tempelritter und die Johanniter waren die Deutschritter ein geistlicher Orden, der mönchische Tugenden der Armut, der Keuschheit und des Gebets mit den ritterlichen Tugenden des Schutzes der Wehrlosen und aller Christ*innen verband. Anders als etwa die Templer konzentrierten sich die Deutschritter allerdings auch darauf, eigenständigen Landbesitz zu erwerben, den sie allein ohne Oberhoheit eines Lehnsherrn kontrollieren können.

Dieses Bestreben führte sie letztendlich nach Osteuropa, wo sich das zweite Ereignis abspielte, das für die Preußenfahrten von Bedeutung war.

Eroberungen in Osteuropa

Seit dem späten 10. Jahrhundert strebte Polen nach der Christianisierung und Unterwerfung Osteuropas und des Baltikums. Hindernis dieses Strebens waren unter anderem die Pruzzen, ein baltischer Volksstamm, der zwischen Weichsel und Memel lebte. Die Pruzzen leisteten den polnischen Unterwerfungsbestrebungen so entschieden Widerstand, dass Polen schließlich den Deutschen Orden um Hilfe bat und ihm im Gegenzug weitreichende Landrechte zusprach. Auf diese Weise kam ein ursprünglicher Kreuzfahrerorden vom Nahen Osten nach Osteuropa und wurde dort zu einem eigenständigen, souveränen Staat. Nachdem die Pruzzen besiegt und unterworfen waren, blieb als einziger nichtchristlicher Staat in der Region das Großfürstentum Litauen übrig.

Der andauernde Kampf gegen Litauen ließ beim Deutschen Orden einen großen Bedarf nach militärischen Kräften entstehen. Gleichzeitig fehlte es zahllosen Möchtegernkreuzfahrern in ganz Europa an der Möglichkeit, sich im Kampf gegen Ungläubige zu beweisen. Hinzu kam, dass die gut organisierten und schlagkräftigen muslimischen Reiche im Nahen Osten einen gefährlichen Gegner mit geringen Chancen auf ruhmreiche Heimkehr darstellten.

Die wesentlich schwächeren Litauer in Osteuropa stellten dahingegen den eindeutig attraktiveren Gegner dar. Eine kürzere Anreise, kühlere Temperaturen, eine vorhandene freundliche Infrastruktur und ein technologisch und militärisch unterlegener Gegner überzeugte viele Adlige, ihren Kreuzfahrerruhm abseits des Heiligen Landes zu suchen.

Dies sorgte dafür, dass sich bald alljährlich im Winter aus ganz Europa hohe wie niedrige Adlige in der Feldzugsaison nach Osteuropa aufmachten, um für Ansehen, Ehre und den Glauben in den Krieg zu ziehen – die sogenannte Preußenfahrt war entstanden.

Hauptsitz des Deutschen Ordens, die Marienburg im damaligen Königsberg © gemeinfrei via Wikimedia Commons
Hauptsitz des Deutschen Ordens, die Marienburg im damaligen Königsberg © gemeinfrei via Wikimedia Commons

Gefördert wurde dies durch eine geschickte Vermarktung des Deutschritterordens, der den Kreuzfahrt“touristen“ vor Ort einiges bot. Nach Ankunft gab es reihenweise Festivitäten und Turniere, um die Ritter zu unterhalten. Die Preußenfahrt wurde so nicht nur zu einem Kriegszug, sondern zu einem regelrechten Abenteuerurlaub, bei dem der europäische Adel in exotischer Landschaft feierte, die Kräfte maß und anschließend ein bisschen in den Kampf zog. Sogar Könige fanden sich im Baltikum ein, um teilzunehmen.

Als zusätzlichen Ansporn dufte man die Beute, die man machte, behalten. Als eine der höchsten Ehren wurde es betrachtet, durch herausragende Leistungen den Ritterschlag vom Hochmeister des Deutschritterordens oder durch einen anderen hochrangigen Funktionsträger zu erhalten.

Ein bisschen polemisch ausgedrückt kann man die Preußenfahrt also als die Großconsaison des Mittelalters betrachten.

B. Die Umsetzung als Con: Fraktionen und Plotideen

Ordensspiel und Hofhaltung

Grob kann man mögliche Charaktere in zwei bis drei Fraktionen einteilen. Einerseits Ordensritter, ihre Gefolge und Gesinde, und andererseits Preußenfahrer aus ganz Europa mittels Knappen, Dienern, Mägden, Knechten und sonstigem Anhang. Auch Künstler*innen, Hofnarren und sonstiges Personal der mittelalterlichen Unterhaltungsindustrie findet seinen Platz.

Ob man als Teilnehmer*in einen historisch verbürgten Charakter spielt, wie etwa den König von Böhmen, Johann den Blinden, oder sich einen eigenen ausdenkt, spielt bei der großen Zahl an Preußenfahrern keine Rolle. Mögliche Charaktere sind also Könige, Fürsten, Barone, Grafen, einfache Ritter und ihre Knappen. Auch nichtadlige Lanzenreiter und Waffenträger können gespielt werden. Frauen unter Waffen gab es hier zwar nicht, aber natürlich spricht nichts dagegen, als Frau einen männlichen Charakter zu spielen.

Grade das Gesinde kann voll im Intrigenspiel aufgehen, sei es, um den eigenen Status beim eigenen Herrn zu verbessern oder sich anderen Adligen anzudienen, die sozialen Aufstieg versprechen.

Bereits mit diesen Gruppen hat man die Voraussetzungen für eine vielversprechende Hofhaltungscon mit Turnieren, Gelagen und Gaukelei. Hinzu kommen potenzielle Konflikte und Imponiergehabe, wenn Ritter aus vieler Herren Länder zusammentreffen. Zwar war unter dem Zeichen des Kreuzes Frieden geboten, doch darf dies nur ein weiterer Ansporn sein, dem unliebsamen Nachbarn in sicherer Umgebung zu zeigen, dass man besser mit der Lanze ist als er.

Auch beim Kreuzzug sind nicht alle gleich, und dies ist die Gelegenheit, ganz Europa seinen Reichtum und sein Können zu zeigen.

Folglich bieten sich Kampfwettstreite aller möglichen Waffengattungen an. Bogenschießen, Armbrustschießen, Schwertkampf und ähnliche Kampfturniere können für Unterhaltung sorgen.

Auch Barden oder Dichter*innen können sich vor versammelter Ritterschaft messen, und für das niedere Volk gibt es Wettstreite im Seilziehen oder Ringewerfen. Auch Knappen können sich Ansehen erringen, um ihrem Ritterschlag näher zu kommen.

Je mehr man sein Ansehen durch Leistungen steigert, desto herausgehobener kann man beim Festmahl an der Tafel sitzen. Leistungen im Wettbewerb und im Kampf können so direkt auf der Con honoriert werden.

Neben dem, was der Orden seinen Gästen bietet, haben auch die Ordensleute selbst viel zu tun.

Wahlweise sind sie die Organisatoren des Ganzen. Sie bieten uns also jede Menge Rollen als Richter, Herolde, Wachen und schlicht als Gastgeber, denen man die Aufwartung macht. Zugleich hat jede*r  Deutschordensspieler*in die Daueraufgabe, auf Anzeichen von Streitigkeiten zu achten und diese möglichst früh zu schlichten. Denn nichts kann dir deine Pläne so schnell verhageln, als wenn sich deine eingeplanten Streiter gegenseitig an die Gurgel gehen.

Zugleich haben alle Deutschordensleute aber noch eine viel wichtigere Aufgabe. Der Deutsche Orden besteht als geistlicher Orden aus Rittern, die Keuschheit und Ehelosigkeit gelobt haben. Folglich ist die Menge an Nachwuchs, den Ordensritter in die Welt setzten, eher gering – zumindest an offiziell anerkannten Erbberechtigten. Folglich hat der Orden ein gewisses Nachwuchsproblem und ist darauf angewiesen, möglichst viele Söhne von Adligen zum Eintritt zu überreden.

Folglich hat jede*r Ordensspieler*in während der Con den Dauerplot, Knappen und Ritter von den Zielen des Ordens zu überzeugen und zum Eintritt zu überreden. Primärziel der Rekrutierungsmission sollten dabei zweit- oder drittgeborene Adlige sein, die mangels Erbansprüchen eine Perspektive im Leben brauchen. Doch auch Erstgeborene und reiche Hochadlige ohne Zukunftsprobleme kann man ins Visier nehmen. Dann geht es nicht um den Eintritt in den Orden, sondern um Spenden, sei es Geld oder Land.

Weitere Rollen und Fraktionen

Zusätzlich zu den Hauptakteuren können auch noch weitere Rollen oder Fraktionen bespielt werden. Als Ostseeanrainer stand der Deutsche Orden auch mit den Kaufleuten der Hanse in Kontakt, für die die Preußenfahrten eine lukrative Profitquelle waren. Schließlich mussten die Vorräte für die Gäste inklusive Luxusgüter herangeschafft werden, und irgendjemand musste die Kriegsbeute aufkaufen und für die Überlebenden der Kreuzfahrt zu Geld machen.

Doch alle Festivitäten beiseite, findet unsere Con immer noch in einem Konfliktszenario statt. Der feiernde Adel wird letztendlich ins Feld ziehen und sich auf schneebedeckten zugefrorenen Landschaften dem Feind stellen – sei es auf Plünderungszug im Land des Feindes oder bei der Verteidigung einer Festung im Land des Deutschordens. Denn auch die Litauer*innen sind trotz allem keine wehrlosen Opfer, auch sie führen Überfälle und Heereszüge durch.

Erste Schlacht von Tannenberg, größte Ritterschlacht des Mittelalters und Anfang vom Untergang des Deutschen Ordens. © Gemeinfrei, Berner Chronik des Diebold Schilling des Älteren Transferred from de.wikipedia to Commons
Erste Schlacht von Tannenberg, größte Ritterschlacht des Mittelalters und Anfang vom Untergang des Deutschen Ordens. © Gemeinfrei, Berner Chronik des Diebold Schilling des Älteren Transferred from de.wikipedia to Commons

Hier bieten sich zwei Möglichkeiten für die Orga an. Entweder man macht die litauischen Kämpfer*innen zu NSC, die sich mit den Kreuzfahrern Scharmützel liefern, bevor der Feldzug mit einer großen Schlacht endet. Oder man lässt die Litauer*innen ebenfalls von Spieler*innen spielen. Dann können sie als eigene Fraktion agieren, die Spion*innen schickt, um die Pläne der Kreuzfahrer herauszufinden, die ihre eigenen Aktionen vorbereitet und nach dem Sieg strebt. Mögliche Rollen reichen vom litauischen Großfürst selbst bis hin zu Adligen, Kriegern oder einfachem Volk, das sich, seine Angehörigen und seinen Besitz vor Plünderungen verteidigen will. Wer es als Litauer*in ganz weit treiben will, konvertiert vielleicht sogar zum Christentum und bringt die Kreuzfahrer damit in ein schönes moralisches Dilemma. Denn einerseits hat man sich auf seinen Abenteuerurlaub gefreut, andererseits soll es ja gegen Heid*innen gehen und nicht gegen Mitchrist*innen. Womit wir übrigens beim historischen Ende der Preußenfahrten wären. Litauen konvertierte letztendlich geschlossen zum christlichen Glauben und nahm dem Deutschen Orden damit jegliche Legitimität, was letztendlich zu nachlassender Unterstützung und dessen Untergang gegen eine polnisch-litauische Union in der Schlacht von Tannenberg führte.

Alternativ kann man als Orga die Con auch von der anderen Seite aufziehen und das bekriegte Litauen in den Fokus rücken. Die Spieler*innen wären dann die litauischen Krieger, die ihre Heimat verteidigen, und die NSC spielen die angreifenden Kreuzfahrer. Weitere Fraktion hierbei wäre das Königreich Polen, das zwischen beiden Fraktionen steht. Einerseits strebt es ebenfalls danach, das heidnische Litauen zu erobern, andererseits ist ihm der erstarkte Ordensstaat nach dem Sieg über die Pruzzen längst ein Dorn im Auge und ebenfalls Ziel von Eroberungswünschen geworden. Wer von beiden also Polen auf seine Seite ziehen kann, erringt einen gewaltigen Vorteil.
Historisch unterwarf Polen Litauen durch eine Hochzeit, wodurch der polnische König des vereinte Polen-Litauen als osteuropäische Großmacht regierte.

Möglichkeiten, auf Grundlage der Preußenfahrten eine spannende Con zu gestalten, gibt es also mehrere. Wir wünschen euch beim etwaigen Ausprobieren viel Spaß und freuen uns über Rückmeldungen, sei es zum kompletten Szenario, zu einer bloßen Inspiration für eine eigene Hintergrundwelt oder schlicht zu an die Preußenfahrten angelehnte Charaktere.

 

 

Artikelbilder: © Depositphotos | gopixa und svtdep, Rest wie angegeben
Layout und Satz: Verena Kröger
Lektorat: Rick Davids

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