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Asmodee ist durch seine vielen Zukäufe zum Branchenriesen angewachsen. Teilzeithelden besuchte für euch die Niederlassung in Essen und schaute sich die Gesichter hinter diesem großen Namen an. Dabei ging es auch um aktuelle Trendthemen wie Digitalisierung und Unique Games und die Messeneuheiten für Oktober.

Asmodeus ist der Name eines mächtigen Dämonen der jüdischen Mythologie, der einem unter anderem in D&Ds Forgotten Realms oder in der Urban-Fantasy-Serie Supernatural begegnet. Er wird vor allem mit Begierde in Verbindung gebracht. Vielleicht rührt es daher, dass der 1995 von zwei Rollenspielern – die den Namen ihrem früheren Rollenspiel In Nomine entlehnt haben – in Frankreich gegründete Spieleverlag Asmodee seit dem Zusammenschluss mit Days of Wonder 2014 regelmäßig dadurch Schlagzeilen macht, dass er mal wieder einen großen Mitbewerber aufgekauft hat. Viele fürchten hinter dieser Strategie des mittlerweile weltweit größten Spieleverlages eine weitere Kommerzialisierung der Brettspielindustrie und damit eine Bedrohung für die Kreativität und Freiheit der Spieleentwicklung. Aber stimmt das wirklich?

Um diesen und anderen Fragen auf den Grund zu gehen, haben wir Asmodee in Essen besucht, um herauszufinden, wie der Spieleverlag eigentlich funktioniert und wer die Menschen hinter dem großen Namen sind. Mit der Geschäftsführerin Carol Rapp, dem Lokalisationsleiter Sebastian Rapp und dem Kommunikationschef Robin de Cleur haben wir uns deshalb über das Kaufen und Gekauftwerden unterhalten, darüber, was man beim Lokalisieren eines Brettspiels beachten muss, aber natürlich auch über Trends wie Legacy-Games, Digitalisierung, die Unique Games Keyforge und Discover und was uns im Oktober auf der Spielemesse in Essen erwartet.

Im Gespräch mit Robin de Cleur, Carol und Sebastian Rapp

Teilzeithelden: Erklärt uns doch mal zu Anfang, wie ist Asmodee Deutschland aufgebaut?

Carol: Wir haben zwei Standorte mit jeweils knapp 30 Mitarbeitern. In Essen haben wir fast alles kaufmännische, und in Waldüren, wo früher der Heidelberger Spieleverlag war, ist vorrangig die Logistik zu Hause, aber auch ein Teil der Lokalisation, nämlich der Part, der sich um unsere amerikanischen Schwestern kümmert: Fantasy Flight, Z-Man und Plaid Hat. Hier in Essen sitzt der andere Teil der Lokalisation, der alles macht, was über unsere französischen Studios reinkommt, über das belgische und polnische Studio, aber auch über alle Partnerverlage.

Asmodee selbst produziert ja gar nicht so viel – wir kaufen Spiele ein und vertreiben sie.

Teilzeithelden: Arbeiten mit etwas, mit dem andere ihre Freizeit verbringen – wie viel wird denn gespielt in der Arbeitszeit?

Sebastian: Zu wenig.

Robin: Wir spielen manchmal Sachen an. Was ich zumindest sehr oft mache: Ich nehme Spiele mit nach Hause. Wir haben hier alles greifbar oder auch mal einen Prototyp und können dann zu Hause etwas tiefer einsteigen.

Sebastian: Man bleibt manchmal ein wenig länger und spielt mit den Kollegen den Prototypen, wenn man noch etwas zeigen möchte.

„Bei Asmodee sind bis in die höchsten operativen Führungsebenen alles Spieler.“ 

Teilzeithelden: Anders als andere Verlage taucht Asmodee ja nicht nur auf der Spieleschachtel auf, sondern auch in der Presse, weil ihr mal wieder einen anderen Verlag aufgekauft habt.

Robin: Ich würde sagen, wir nehmen Verlage in die Familie auf. Denn die gesamte Asmodee Group ist recht eng. Wenn ein Z-Man, FFG, Days of Wonder oder relativ neu Purple Brain dazu kommen, dann werden die nicht einverleibt. Sie bleiben bestehen, wie sie waren, sind kreativ unabhängig, entwickeln komplett autonom, präsentieren uns die Spiele und müssen uns überzeugen. Und dann helfen wir ihnen dabei, diese Spiele in Deutschland und auf den internationalen Märkten zu präsentieren. Das ist im Grunde das, was Asmodee auszeichnet: Wir bündeln Knowhow, um das Beste zu erreichen, ohne einzuschränken, was kleine Studios ausmacht. Denn Spiele wie T.I.M.E. Stories oder Pandemic Legacy hätte es bei einem anderen Verlag so vermutlich gar nicht gegeben.

Asmodee-Gruppe, eine Übersicht

Teilzeithelden: Trotzdem haben viele Spieler Angst vor der Krake, vor Vereinheitlichung als Bedrohung der kreativen Vielfalt.

Robin: Irgendwo verstehe ich, dass die Leute das so empfinden, da Asmodee viel zu sich holt, Studios kauft, Exklusiv-Partnerschaften eingeht. Gleichzeitig ist es mir ein Herzensanliegen, zu erklären, ja, es ist jetzt bei Asmodee, aber für den Spieler hat es eigentlich nur Vorteile. Wir können nicht nur qualitative Ansprüche vereinheitlichen, sondern die kreative Vielfalt besser gewährleisten. Jedes Studio ist kreativ autonom, es bekommt aber bessere Zugänge zu Märkten in anderen Ländern.

Teilzeithelden: Hinter der Group stehen ja auch Finanzinvestoren.

Sebastian: Das stimmt natürlich, dem halte ich aber etwas anderes entgegen: Bei Asmodee sind bis in die höchsten operativen Führungsebenen alles Spieler. Das kenne ich so aus keinem anderen Verlag. Asmodee wurde von Spielern gegründet, und das merkt man auch jetzt noch. Ich habe History of the World gespielt mit dem Head of Europe und dem Chef von Asmodee UK, da spielt wirklich jeder. Und das ist es, was uns anders macht. Woanders ist es viel businessorientierter, und bei uns fliegen Herrschaften aus England und Frankreich mal eben privat am Wochenende nach Italien, um Magic zu spielen.

Teilzeithelden: Jetzt aktuell dreht sich der Spieß um, und es gibt Verhandlungen mit dem Ziel, dass der Eigentümer von Asmodee wechseln soll, von Eurazeo zu PAI Partners. Was heißt das für euch und die Spieler?

Robin: Im Endeffekt wird sich nichts ändern. Für die Spieler nicht, und auch für uns als Mitarbeiter hat das eigentlich keine Bewandtnis. PAI Partners ist ein Investor, der vielleicht noch besser zu uns passt, weil er in diesem Consumer Market bereits aktiv ist.

Wir in Deutschland haben das gelesen, und das war’s auch.

Carol: Auf Managementebene lernt man den ein oder anderen Investor vielleicht einmal kennen, aber die wollen einfach nur wissen, dass die Schienen in die richtige Richtung führen. Natürlich wollen sie irgendwann ihr Investment gewinnbringend zurückgeführt sehen, das ist klar. Im Grunde ist das ja nichts anderes als ein großer Kredit.

Klar, ich kriege dann das ein oder andere gesagt. Unsere Ziele ändern sich vielleicht. Wir werden weiterhin wachsen. Wie wir das tun werden, dafür ist mein Chef zuständig, der in Frankreich sitzt. Aber wir haben eine Vision: Wir wollen der größte Vollanbieter für Spiele werden.

Ich habe bereits einen Eigentümerwechsel mitgemacht, Ende 2013. Und ganz im Ernst, ich habe als Mitarbeiter nichts davon mitbekommen, außer einer E-Mail: Jetzt gehören wir Eurazeo. Was hieß das für mich? Nichts, ich habe mein Tagesgeschäft weitergemacht.

„Außer Englisch gibt es kaum eine Landessprache mehr her, ein Spiel nur für den eigenen Markt zu realisieren.“

Teilzeithelden: Kommen wir zu diesem Tagesgeschäft. Wie entscheidet ihr, welche Spiele ihr lokalisieren wollt?

Sebastian: Zunächst entscheidet der Verlag, ob er ein Spiel machen möchte. Dann wird es der Gruppe vorgestellt. Dann schauen wir, ob uns das Spiel überzeugt und geben auch Feedback an die Verlage. Wenn dann aus den Ländern eine geschlossene Response käme, dass niemand es wirklich sieht, dann ist das ja konstruktive Kritik. Aber so was haben wir eigentlich auch noch nicht gehabt. Wenn wir das Spiel gut finden und es auf dem deutschen Markt sehen, gehen wir in die Lokalisation.

Teilzeithelden: Was ist der Vorteil für eure Partner, mit Asmodee zusammenzuarbeiten?

Sebastian: Wir können natürlich nicht jedes Spiel von jedem Studio umsetzen, aber in der Regel erleichtert es den Weg für die Studios ungemein. So wird das Spiel oft direkt in 8–9 Sprachen angeboten, und man muss nicht durch die Welt tingeln und Partner suchen, um sein Spiel überhaupt realisieren zu können. Denn außer Englisch gibt es kaum eine Landessprache mehr her, ein Spiel nur für den eigenen Markt zu realisieren. Das war ja früher in Deutschland ganz anders. Als ich bei Kosmos angefangen habe, haben wir noch 50.000 Stück von einem großen Spiel gemacht. Dafür kann ich einen Illustrator bezahlen. Für 5.000 rechnet sich das nicht, wenn ich nicht weiß, dass ich auch international weitere Märkte erschließen kann.

Teilzeithelden: Also die Lokalisierung sorgt erst mal dafür, dass sich das Spiel überhaupt finanziert?

Sebastian: Ein Stück weit schon. Ich brauche eine Menge von 10.000, sonst fressen mich die Kosten allein für Illustrationen auf. Ob ich die allein auf dem deutschen Markt erziele oder auf fünf Märkten mit je 2.000 – das ist fast egal. Trotz Lokalisierung und Sprachwechselkosten. Aber bei Komponenten, Karten und Figuren fällt die Menge für die Produktionskosten schon stark ins Gewicht.

Angespielt wird viel, aber im Büroalltag bleibt oft nicht genug Zeit.
Angespielt wird viel, aber im Büroalltag bleibt oft nicht genug Zeit.

Teilzeithelden: Lokalisation ist ja nicht nur reine Textübersetzung – was ist es denn noch?

Sebastian: Wenn wir ein Spiel lokalisieren, dann beschäftigen wir uns inhaltlich sehr mit dem Spiel und übersetzen es nicht einfach eins zu eins, sondern schauen, wo wir steuernd eingreifen können, um es für den deutschen Markt passend zu machen. Dabei versuchen wir, so nah wie möglich an der Vorlage zu bleiben, aber auch soweit wie nötig davon wegzugehen, ohne den Charakter zu ändern oder in die Regeln einzugreifen.

Wir machen uns das Spiel nicht zu eigen – es bleibt das Spiel des Partners, Regeln und Layout werden nicht angefasst. Das führt manchmal zu besonderen Herausforderungen. Denn Deutsch ist zwar eine sehr präzise Sprache, aber um das zu erreichen, erfordert sie eben auch mehr Zeichen als das Englische.

Robin: T.I.M.E. Stories ist ein hervorragendes Beispiel, wo diese Zusammenarbeit mit den Studios viel enger ist. Da hat Sebastian von Anfang an viel Feedback an den Verlag gegeben.

Sebastian: Am Anfang dachten die vielleicht: „Jetzt kommt da so ein neunmalkluger Deutscher und will uns erklären, was wir hier in Frankreich nicht so gut gemacht haben.“ Nachdem wir inzwischen vier Jahre zusammenarbeiten, erhalten wir das Material auch oft schon vorher und können Anmerkungen und Verbesserungen vorschlagen, noch bevor die französische und englische Fassung in den Markt gehen. Der Austausch ist da sehr intensiv, was man den späteren Spielen auch anmerkt.

Teilzeithelden: Wie viel Zeit steckt in der Lokalisation eines Spiels?

Sebastian: Es gibt natürlich Titel, bei denen man die Übersetzung an einem Nachmittag schafft. Insbesondere, wenn eine neue Version von Dobble kommt. Die sind Ruck-Zuck gemacht. An Herr der Träume Stuffed Fables arbeiten wir jetzt bereits ziemlich lange. Eine T.I.M.E. Stories-Erweiterung dauert ca. vier Wochen. Wir nehmen uns die Zeit, die nötig ist, um unserem Qualitätsanspruch zu entsprechen.

Teilzeithelden: Was war ein besonders schönes Projekt für dich?

Sebastian: Ich muss immer mehr managen, aber T.I.M.E. Stories mache ich weiter. Das ist mir ein Herzensprojekt. Pandemic Legacy Season 2 war auch ein Leidenschaftsprojekt.

Teilzeithelden: Wie ist das, wenn man als leidenschaftlicher Spieler ein Spiel wie Pandemic Legacy Season 2 übersetzen muss, es aber gerne selbst spielen würde?

Sebastian: Bei Pandemic war es nicht möglich. Es gab einfach noch keinen spielbaren Prototypen. Gerade durch die Verzögerungen beim Übergang von Z-Man zu Asmodee. Ich habe es dann im Nachgang mit meiner Frau noch zu zweit spielen können, und bei gravierenden Entscheidungen habe ich mich dann eben zurückgehalten.

Bei T.I.M.E. Stories haben wir mittlerweile genügend Zeit, um es vorher einmal durchzuspielen und uns erst dann an die Übersetzung zu begeben. Beim neuen Szenario Bruderschaft der Küste bin ich sogar gespannt drauf, es noch mal mitzuspielen, weil es viele verschiedene Möglichkeiten gibt, da ranzugehen. Sogar noch mehr als bei den anderen.

Teilzeithelden: Jetzt haben wir viel über eure internen Prozesse geredet – wie seht ihr denn die Entwicklungen auf Seite des Handels?

Carol: Unser Ansatz ist, dass der Händler vor Ort konkurrenzfähig bleibt. Zum Beispiel durch Exklusivverkäufe wie bei Tyrannen des Unterreichs oder Events und Promos. Viele Händler haben meine Handynummer, nur wenn man redet, kann man Dinge beheben. Der Onlinehandel kann hingegen Spiele in Gegenden bringen, in denen einfach kein Brick-and-Mortar-Shop (mehr) existiert. Viele Flagship Stores haben hingegen eine riesige Community. Einer unserer Brand Ambassadors hat nicht einmal ein regelmäßiges Ladengeschäft, sondern er arbeitet nur auf Zuruf und kommuniziert seine unregelmäßigen Öffnungszeiten, der macht aber auch Riesen-Events. Wenn er zum X-Wing-Turnier einlädt, dann kommen gut und gerne 200 Leute.

Teilzeithelden: Wie viele Partner habt ihr da so?

Carol: Wir haben grob 100 Flagship-Stores, mehr oder minder aktiv im Eventbereich. Einige sind extrem im Vielspieler-Bereich unterwegs, einige sehr stark im Trading-/Living-Card-Game-Bereich. Wieder andere würde man im Fachhandel verorten, der auch Barbie-Puppen und Autos, aber dann eben auch Puzzles und Spiele anbietet, und diesen Bereich sehr intensiv pflegt. Wieder andere haben eher kleines Ladenlokal, aber dafür bewegliches Mobiliar. Der Roskothen in Duisburg ist jetzt auch nicht riesig, aber der macht da Events drin. Er hat alles auf Paletten mit Rollen drunter und wenn er ein Event macht: So, alles auf die Seite und Tische rein. Solche Ideen muss man haben. Deswegen setzen wir da auch keine Grenze: Was ist ein Flagship, was ist keiner. Die haben ein Konzept, und wenn deren Ideen zu unseren passen, dann sagen wir: Super.

Teilzeithelden: Wie werde ich mit meinem Spielefachgeschäft Asmodee-Partner?

Carol: Du meldest dich erst mal als Händler an und machst ein wenig Umsatz. Und dann kommen wir über den Dialog dahin, dass du sagst: Ich würde gerne Turniere oder Events machen, ich habe vielleicht schon ne gute Community. In dem Moment wird das für uns interessant, so dass wir sagen: Okay, lass uns mal darüber reden.

Teilzeithelden: Gibt’s von euch einen Event-Kalender für die Flagship-Stores?

Robin: Die Stores sind ja lokal und machen das über ihre eigenen Kalender. Roskothen aus Duisburg macht z. B. monatlich ein Event nicht im eigenen Laden, sondern extern. Da schauen immer so um die 50 Leute vorbei. Auch andere Läden, wie der Ultra Comix in Nürnberg, sind stark in eigenen Communities aktiv.

Größere Events, Turniere, Shop-Events oder Organized-play-Events findet man auf unserem Event-Kalender.

„Digitale Brettspiele sind meiner Meinung nach ein großer Zugewinn für analoge Brettspiele.“ 

Teilzeithelden: Was sind für euch die spannendsten Entwicklungen auf dem Spielemarkt?

Sebastian: Was sicherlich ein Meilenstein war, ist die Legacy-Entwicklung. Also generell das Storytelling-Element, dass ich wirklich eine Geschichte erzähle und nicht mehr einfach nur ein Brett auf den Tisch lege, ein paar Figuren rumschiebe und ein paar Rohstoffe austausche. Dadurch erhalte ich ein nachhaltigeres Empfinden. Ein paar Wochen später erinnere ich mich noch daran, dass dort wirklich etwas passiert ist. Da kann sicherlich noch einiges kommen.

Und das andere ist die App-Unterstützung, wie z. B. bei Villen des Wahnsinns. Dadurch ist viel atmosphärisches Storytelling möglich, erspart mir aber auch Spielverwaltung und vor allem den lästigen Spielleiter.

Robin: Ich sehe auch, dass Storytelling oder generell das Erlebnis Spiel, also nicht das Spiel als reines mechanisches Abhandeln, sondern dass das Spiel Emotionen auslöst – dass das immer mehr in den Fokus rücken wird. Emotionen über das reine Gewinnen oder gute Züge Machen hinaus. Ich glaube aber auch, dass es immer die andere Art von Spielen geben wird; ein gutes Ressourcen-Management- oder Worker-Placement-Spiel werde ich immer lieben.

Apps werden sicher noch viele neue Möglichkeiten auftun, so wie auch Augmented Reality oder die Online-Integration von T.I.M.E. Stories, was man ja auch fast zu den Legacy-Spielen zählen kann.

Teilzeithelden: Digitale Spiele und Brettspiele fügen sich immer mehr ein wenig zusammen. Days of Wonder war da schon recht groß. Kannibalisiert sich das nicht?

Robin: Digitale Brettspiele sind meiner Meinung nach ein großer Zugewinn für analoge Brettspiele. Man kann sich ein Spiel wie Splendor einfach mal ansehen und eben allein spielen.

Unsere Erfahrung ist, dass Apps eine andere Reichweite erzielen, um unser Hobby Brettspiele in einer noch breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Durch Spiele wie Fallout ist es möglich, einfach mal andere Menschen zu erreichen. Und was man ganz klar sagen muss: Eine App ist schön, aber natürlich bei weitem nicht so gesellig wie ein Brettspiel. Es kannibalisiert sich nicht – es macht Lust auf mehr.

Sebastian: Days of Wonder hat mit Small World festgestellt, wie gut sich ein Release der App ab Tag eins ausgewirkt hat, und Zug um Zug ist gerade in den USA eigentlich erst durch die App so erfolgreich geworden.

Robin: Als ich ganz frisch bei Asmodee war, hatte ich das große Glück, dass gerade die Zug um Zug-Weltmeisterschaft in Paris stattfand, zu der ich den deutschen Teilnehmer begleiten durfte. Und alle Teilnehmer haben berichtet, dass sie die App nutzen, um zu trainieren.

Sebastian: Die Brettspielebranche hat auch aktuell immer noch 7 % Wachstum. Und die Prognosen von vor 20 Jahren, dass es nur noch digitale Spiele geben wird – das hat sich ja zum Glück so was von nicht bewahrheitet.

Robin: Was dann natürlich gut zu gesamtgesellschaftlichen Trends passt wie Achtsamkeit, Entschleunigung und Kooperation.

Man kann aber auch einiges von der Computerspielbranche lernen. Teaser und Trailervideos sind ein Thema, wo wir definitiv mehr machen möchten.

Comanauts

Teilzeithelden: Gutes Thema, was macht ihr denn gerade so? Neben den Unique Games, was bringt Asmodee so richtig Neuartiges mit auf die Spiel 2018?

Robin: Wir haben da zwei weitere Spiele, die auch einzigartig sind, weil sie einen ganz anderen Weg einschlagen. Das ist einmal Holding On: Das bewegte Leben des Billy Kerr von Hub Games. Und auch Nyctophobia – Angst vor der Dunkelheit; ein Spiel, welches von Blinden spielbar sein wird. Fühl dich durch ein Labyrinth hindurch.

Carol: So haben wir auch dieses Jahr Innovationen und Themen, die nicht jeder hat. Comanauts, welches in Deutschland erst 2019 erscheint, und Holding on gehen in eine ähnliche Richtung. Beide Male liegt jemand im Koma, und beide Male will man die Geschichte des Lebens dieses Menschen ergründen. Während Comanauts jedoch im Endeffekt ein Abenteuerbuchspiel (wie Herr der Träume) ist, wird Holding On eher ein Worker-Placement-Spiel, in dem man die Situation im Krankenhaus darstellt und spielt, um Billy Kerr nicht weiter ins Koma sinken zu lassen, wobei immer mal wieder aufwacht und etwas erzählt. Und nur, wenn sich das Bild seiner gesamten Geschichte geformt hat, wacht er auch auf.

Unheimlich sensibel und superschön umgesetzt. Alle Leute, auf der GenCon oder auf der UK Games Expo waren erst skeptisch wegen des Themas. Aber das Spiel ist super, und das kriegen wir auch als Feedback. Ernste Themen erhalten Einzug ins Brettspiel.

Teilzeithelden: Was erwartet uns sonst noch?

Sebastian: Was auf jeden Fall ein schönes Spiel werden wird ist Orbis von den Space Cowboys. Das geht in die Splendor-Richtung und hat mich sehr beeindruckt.

Was definitiv gut werden wird, ist Sun Moon von Pearl Games, das erste Spiel von Sebastién Dujardin seit Deus, weil Black Angel, das große SciFi-Spiel, auf Anfang nächsten Jahres verschoben wurde.

Shadows Amsterdam von Libellud ist ein Essen-Titel und ein tolles Spiel. Es wird gleichzeitig gespielt, es ist hektisch und semi-kooperativ, Team gegen Team. Eine Mischung zwischen Dixit, Mysterium und Codenames. Das bereitet sehr viel Spaß.

Robin: A Song of Ice & Fire, das Miniaturen-Spiel von CMON in der Welt von Westeros, wird natürlich auch ein großes Thema in Essen.

Ich ganz persönlich freue mich auf 7 Wonders Armada. 7 Wonders ist und bleibt mein persönliches Lieblingsspiel, und die Erweiterung ist toll.

Sebastian: Und ich freue mich auf Civilization New Dawn. Ich weiß, es gibt Leute, die sagen, es ist kein Civilization mehr. Aber ich finde, es spielt sich schnell und zackig. Vielleicht ist es weniger episch, aber bei mir stellt sich das klassische Civ-Gefühl ein, gerade durch den innovativen Tech-Tree. Ich habe immer die gleichen fünf Grund-Aktionen, die besser werden und die man durchcycled.

„Was immer du findest, wird anders sein, als was ich in meiner Schachtel finde.“

Carol: Discover und Keyforge werden natürlich zwei große Highlight-Areas werden. Denn die beiden sind unique, nicht nur, weil sie in diese Reihe fallen, sondern weil sie auch vom Spiel her absolut einzigartig sind. Ich freu mich da riesig drauf. Also das unique ist ja, dass kein Spiel ist, wie das andere. Kaufe ein Discover, und was immer du findest, wird anders sein, als was ich in meiner Schachtel finde.

Teilzeithelden: Was haben Unique Games für Vorteile?

Robin: Für mich liegt der größte Vorteil im Austausch zwischen Gruppen: Ich vergleiche das gerne mit einem Roman, in dem wir zwar die gleiche Geschichte lesen, aber in bestimmten Bereichen auch Unterschiede haben. Und wir können uns wundervoll stundenlang über diese Unterschiede unterhalten. Wir haben einen regen sozialen Austausch über ein Erlebnis, bei dem wir Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede feststellen, und können so einfach noch mehr aus dem Spiel herausziehen.

Teilzeithelden: Erhöht die Einzigartigkeit die Wiederspielbarkeit?

Carol: Die Geschichte von Discover entwickelt sich einmal durch das enthaltene Buch mit den 5 Szenarien – vier davon kooperativ, eins nicht mehr ganz so kooperativ. Aber die Insel ändert sich immer. Egal, wie du dein Gelände auslegst, es wird immer wieder anders sein.

Robin: Ich glaube, hier kann man den Autor zitieren. Er selbst hat jedes Szenario schon dutzende Male gespielt und immer noch Spaß dran, durch die schier unendliche Zahl der Optionen.

Carol: Wir hatten hier eine Beta-Copy aus der Print-on-demand-Factory. Wir haben es zweimal gespielt, und es waren völlig unterschiedliche Spiele, was natürlich an dem modularen Spielbrett lag, aber auch an den Mitspielern und daran, welche Karten, Items, ähnliche Dinge du findest, die dann auch wieder die Story ein bisschen beeinflussen. Das große Ziel des Spiels ist zwar das gleiche, aber es ist so modular, dass du es immer wieder spielen kannst.

Robin: Und auch sehr wichtig bei Discover: Es ist kein per se kooperatives Spiel. Denn eins der Ziele ist erst einmal: Überleben. Und wie der Ankündigungstext so schön sagt, das klappt gut zusammen, aber was machen wir, wenn uns Essen oder Trinken ausgeht? 

Carol: Es gibt irgendwann einen Punkt, wo man sich die Frage stellen kann, ob kooperativ noch so sinnvoll ist – nicht erst im letzten Szenario. Je nachdem kann es sinnvoll sein, einem Mitspieler zu offenbaren: Du bist so weit weggelaufen, bleib mal da hinten und schau mal, wie du alleine klar kommst. Ob das gut oder schlecht ist, wird die weitere Entwicklung der Geschichte zeigen, aber erstmal gibt es das Spannungsgefüge der Geschichte, dass es sich drehen kann von kooperativ auf konfrontativ.

Discover

Teilzeithelden: Also das unique ist, ich habe 4 Charaktere aus einem Pool von …

Robin: Einem wirklich großen Pool.

Carol: Es gibt fast nichts, was nicht in mehrfacher Ausfertigung vorhanden ist: Gelände-Tiles, Itemcards, Charaktere. Es gibt allein mehrere Storylines, d. h. wir werden nicht die gleiche Geschichte spielen.

Es gibt gewisse Ankerpunkte für die K. I., die andere Dinge bedingen; damit wird das Spielgefüge sinnvoll zusammengesetzt. Nichtsdestotrotz lassen die variablen Teile des Materials unglaublich viele verschiedene Set-ups zu, allein mit dem bisherigen Material.

Robin: Keyforge hat sogar 104 Quintilliarden mögliche Decks, also eine Zahl mit 33 Nullen.

Teilzeithelden: Okay, kommen wir zum anderen Unique Game. Ich kriege dieses Deck – ich darf mein Deck nicht modifizieren. Wie schafft man bei so etwas das Balancing?

Carol: Ich möchte da auf einen Kommentar von Richard Garfield verweisen: Wir haben übermächtige und unterpowerte Decks aus dem Algorithmus rausgenommen. Denn man kann ja sagen, es dürfen nur X Kreaturen drin sein, Y Artefakte und Z Action Cards und vor allem natürlich die Rares. Aus jedem Haus sind 12 Karten in einem Deck. Und der Algorithmus im Hintergrund baut das dann entsprechend eines Powerlevels zusammen.

Und es hängt einfach viel mehr vom Spieler ab. Ich habe in Amerika gegen den damaligen Weltranglisten-Sechsten in Legends of the Five Rings gespielt, und der hat mich platt gemacht – so schnell konnte ich gar nicht gucken. Ich hatte erst befürchtet, ich hätte ein schlechtes Deck, denn Steve hat mich in 20 Minuten weggeputzt.

Am nächsten Tag habe ich mit dem gleichen Deck gegen meinen Mann gespielt und wir haben uns lange hin- und hergebattled, bis einer von uns mal den dritten Key hatte.

Es hängt einfach sehr davon ab, was man aus diesen Karten lesen kann, wie man die Karten kombiniert. Und jeder liest die Karten und Verankerungen anders, und man lernt sein Deck kennen.

Teilzeithelden: Kommen wir zur Turnierszene – bringt man sein Deck mit oder gibt es „Drafting“?

Carol: Nach aktuellem Stand beides. Irgendwann ist dein Deck für dein Turnier um die Ecke vielleicht zu gut. Du gehst ja zum Turnier und der QR-Code deines Decks wird gescannt. Und alle Turnierergebnisse werden eingespielt. Turniersysteme bestehen aus mehreren Stufen. Wenn ich vielleicht zwanzigmal in der untersten Ebene gewonnen habe, ist es für diese vielleicht gesperrt, aber dann habe ich ja eben ein Deck, was mich für eine höhere Ebene qualifiziert. Wenn ich da auch wieder mehrfach als Sieger hervorgehe, komme ich damit immer weiter nach oben.

Teilzeithelden: Aber ein Kartenspiel ohne Deckbuilding?

Carol: Was es echt genial macht, ist die Einfachheit des Spiels. Klar, jede Karte muss man lesen, die hat einen Effekt. Aber die Regeln sind so unkompliziert: Nimm sechs Karten auf die Hand, entscheide dich für ein Haus und spiele so viele Karten wie du kannst und möchtest aus diesem Haus. Vielleicht sind das auch null, weil du nur deine Kreaturen und Artefakte vor dir aktivieren möchtest, bis zu sechs, weil deine ganze Hand zu dem Haus gehört. Das ist die einzige Limitierung, die es gibt.

Teilzeithelden: Discover und Keyforge kommen auf Deutsch und Englisch parallel – ist das jetzt das Zukunftsmodell?

Robin: Das wird sicherlich nicht immer funktionieren. Allerdings gibt es Spiele, bei denen wir als Group zusammenarbeiten, und das geht am besten, wenn wir sie auch gemeinschaftlich präsentieren. So ist Discover auch in einer engen Kooperation entstanden.

Carol: Wir sind natürlich bestrebt, vieles parallel rauszubringen. Je mehr Arbeit eine Übersetzung macht, desto langwieriger natürlich der Prozess. Aber bei großen Titeln werden wir das wohl öfter sehen.

Teilzeithelden: Vielen Dank für eure Zeit und die vielen Einblicke.

Fotografien: Daniel Hoffmann, Holger Christiansen
Das Interview wurde geführt von Holger Christiansen und Daniel Hoffmann.

 

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