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Ein verfallenes Wohnhaus scheint das Zuhause einer bösen Macht zu sein, die sich die junge Frau Aisha als Opfer ausgesucht hat. Konfrontiert mit dem übernatürlichen Schrecken und dem gleichzeitigen Fremdenhass ihrer Nachbarn, ist die Muslima in Infidel bald in einem verzweifelten Überlebenskampf gefangen.

Die Auseinandersetzung mit gesellschaftskritischen Themen ist heutzutage im Bereich von phantastischen Produktionen nicht ungewöhnlich. Beispiele der letzten Jahre sind die Betrachtung der Gleichberechtigung der Geschlechter oder die Rolle von Rassismus im Rollenspiel und Brettspielen.

Auch Graphic Novels sind ein beliebtes Medium zur Vermittlung gesellschaftlicher Kritik oder sozialer Kommentare. Zu den bekanntesten Vertretern in diesem Bereich gehören beispielsweise Die vollständige Maus von Art Spiegelmann (Verarbeitung des Holocaust) oder March von John Lewis (Bürgerrechtsbewegung). Im Zuge der Gleichberechtigung der Geschlechter etablieren sich immer mehr moderne Vorbilder in Comics, so wie Kamala Khan oder Jessica Jones.

Auch das Themenfeld Rassismus wird in Werken wie Bitter Root behandelt. Zu solchen gehört auch Infidel, wobei das verantwortliche Team nicht nur ein politisches Statement im Sinn hatte. Vielmehr sollte die Gesellschaftskritik über das Krebsgeschwür Rassismus in einer mitreißenden Horrorgeschichte verpackt werden. Wir prüfen, ob das gelungen ist.

Handlung & Charaktere

Die Handlung folgt der jungen Muslima Aisha, ihrem Freund Tom und dessen Tochter Kris. Gemeinsam streben sie ein Familienleben mit Toms Mutter an, die trotz größter Mühe Aisha nicht so herzlich willkommen heißen kann, wie Tom es gerne hätte. Gleichzeitig leidet die bekennende Muslima unter dem Argwohn und teilweise offenen Anfeindung der Nachbar*innen, von denen sie sich aber nicht unterkriegen lassen will. Der Grund hierfür offenbart sich im Laufe der Handlung und liefert auch die Basis für den Horror in Infidel.

Für Aisha beginnt dieser mit den Träumen, die sie seit dem Umzug in das Haus heimsuchen. Groteske und erschreckend real wirkende Gestalten in diesen sorgen dafür, dass Aisha zunehmend nervöser wird und fürchtet, verrückt zu werden. Schnell wirkt sich das auch auf ihren Alltag und das bereits fragile Zusammenleben in dem Haus aus. Schon bald stellt sich die Frage, ob das Gebäude die Heimstatt einer bösen Macht ist, die Fremdenangst und Hass schürt.

Infidel gelingt das Kunststück, die politischen Aussagen und die Horrorelemente harmonisch ineinander fließen zu lassen. Dabei wird die Botschaft nicht zu aufdringlich vermittelt. Denn grundsätzlich erzählt Infidel die Geschichte junger Protagonist*innen, die sich ihren Ängsten und einer übernatürlichen Gefahr stellen müssen. Die Gesellschaftskritik wertet die Handlung auf, ohne diese zu dominieren.

Generell muss man es dem Team um Autor Pornsak Pichetshote hoch anrechnen, dass es das Thema Rassismus sehr differenziert betrachtet. Es gibt keine klaren Feindbilder von bösartigen Fremdenfeindlichen. Vielmehr manifestiert sich der Rassismus vielfältig in normalen Personen, die durch eigene Erfahrungen, Einfluss von außen oder Stereotype voreingenommen sind. Selbst wenn man der rassistischen Sichtweise dieser Charaktere nicht zustimmen mag, gewinnt man einen Einblick in ihre Gründe dafür.

Gleichzeitig erkennen Leser*innen die Auswirkungen auf die Opfer, sei es durch Anfeindungen, Einschüchterung oder das pure Gefühl der Ablehnung. Die Macht, mit Worten zu verletzen und die Komplexität der durch Rassismus entstehenden Probleme werden in Infidel deutlich.

Das Horror-Setting verstärkt die beklemmende Atmosphäre. Die Träume von Aisha sorgen zunächst für subtilen Psycho-Horror, bis im Laufe der Handlung das Leben einiger Figuren in Gefahr gerät. In diesem Punkt offenbart sich der größte Schwachpunkt der Geschichte: die emotionale Bindung zu den Charakteren. Eine solche baut man lediglich zu Aisha und den ihr nahe stehenden Personen auf, während das Schicksal der Nebenfiguren wenig Bedeutung hat.

Zeichnungen & Kolorierung

Die visuelle Gestaltung von Infidel kann als wirkungsvoll bezeichnet werden. Zeichner Aaron Campbell legt den Fokus auf seine Charaktere, deren ausdrucksstarke Mimik und Gestik Eindruck hinterlassen. Campbell hat außerdem eine Menge an Fantasie beim Design der übernatürlichen Wesen, die wirklich widerwärtig geworden sind, bewiesen. Der skizzenartige Zeichenstil gibt der Graphic Novel ein leicht abgewracktes Flair, welches perfekt zu den Schauplätzen passt.

Die Kolorierung von  José Villarrubia fällt aufgrund ihrer trüben und eingeschränkten Farbpalette auf. In vielen Panels dominiert ein einziger Farbton und Akzente werden durch hellere oder dunklere Variationen gesetzt. Dadurch hinterlassen farbenfrohe Szenen mehr Eindruck, was speziell für Schockmomente oder intensive Augenblicke genutzt wird. Besonders das Ende der Handlung ist in dieser Hinsicht intensiv.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Splitter
  • Autor*in: Pornsak Pichetshote
  • Zeichner*innen: Aaron Campbell, José Villarrubia, Jeff Powell
  • Sprache: Deutsch
  • Seitenanzahl: 168
  • Preis: 24,00 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit

Infidel überzeugt als Horrorgeschichte, Gesellschaftskritik und als Kombination von beidem. Die erzählte Geschichte um eine von bösen Wesen und Rassismus heimgesuchte Familie besticht mit einer spannenden Atmosphäre und glaubwürdigen Charakteren. Die Sozialkritik wird harmonisch in die Handlung eingebettet, zeigt verschiedene Facetten des Rassismus‘ und deren Auswirkungen auf die Betroffenen. Dankenswerterweise packt Infidel nicht die Moralkeule aus, sondern respektiert die Komplexität dieses Problems unserer Zeit.

Die visuelle Gestaltung inszeniert die Horrorgeschichte stimmungsvoll durch scheußliche Kreaturen, düstere Szenen und effektive Kontraste. Tatsächlich bleibt Infidel die Bestnote lediglich verwehrt, weil abseits der Hauptcharaktere wenige interessante Figuren auftauchen. Die meisten Nebenakteur*innen sind oberflächlich gestaltet, wodurch ihr Schicksal Leser*innen kalt lassen wird. Dadurch gehen Infidel Schockmomente verloren, die deutlich wirkungsvoller gestaltet hätten werden können.

Dennoch kann ich diese Graphic Novel allen Freund*innen des Genres und am Thema Rassismus interessierten Personen empfehlen. Ergänzt wird die Handlung zudem um Interviews und Abschnitte, die den Entstehungsprozess und die Gesellschaftskritik näher beleuchten.

Artikelbild: © Splitter
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Lukas Heinen
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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