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Ohne Warhammer hätte unser Autor Dirk Walbrühl das Pandemiejahr nicht überstanden, sagt er. Hier erzählt er, wie er sich in ein altes-neues Hobby stürzte, was er dabei gelernt hat – und zeigt die Fortschritte der ersten zwölf Monate in Bildern und sechs Lektionen. Eine Reise in die Vergangenheit und ein Ausblick.

Es ist August 2020, und die großen Dauerlockdowns in Deutschland liegen noch vor uns. So langsam dämmert mir, dass diese Pandemie wohl nicht bis Weihnachten vorüber sein wird. Das heißt auch für meine Hobbys glatte Nullrunden.

Beim Tischrollenspiel über Videochat ist für mich einfach die Luft raus. Auch allein Magic-Karten sortieren war schon deutlich unterhaltsamer. Was also tun?

Beim Spazierengehen ertappe ich mich dabei, wie ich immer häufiger Podcasts über meine alte große Hobbyliebe höre: Warhammer 40.000. Damals, vor rund 20 Jahren, hatte ich eine kurze, aber heiße Affäre mit dem düsteren Science-Fiction-Universum, eine kleine selbstbemalte Space-Marines-Sammlung und zu viele Romane über Häretiker, Verrat und die schwindenden Perspektiven einer Menschheit, bedrängt von allen Seiten. Um mich tiefer in dieses Universum zu begeben, fehlten mir damals Mitspielende, das nötige Kleingeld und am Ende einfach die Zeit.

Während ich also auf langen Spaziergängen versuche, die Pandemie ein wenig zu vergessen, höre ichAborder Prince zu, wie er mir in Details das Lore erklärt, das ich seit damals verpasst habe. VonAuspex Tactics lasse ich mir erklären, wie die brandneue 9. Edition des Spiels alles umwirft. Primaris Marines? Der Fall von Cadia? Mein Interesse ist geweckt.

Am Ende des Monats stehe ich in einem kleinen Spieleladen in Münster und lese mir neugierig die Rückseite einer großen Warhammer-Starterbox durch. Tobi, der im Laden arbeitet und mir stolz seine Vitrine voller untoter Necron-Maschinenkrieger zeigt, erklärt mir, dass er eine Warhammer-Gruppe aufbaut und sagt: „Kein schlechter Zeitpunkt eigentlich, denn während der Pandemie haben alle viel Zeit zum Malen und am Ende hübsche Armeen auf dem Spieltisch.“

Als ich daheim ankomme habe ich spontan eine Starterbox, Pinsel, Kleber und ein Einstiegs-Mal-Set gekauft und schwimme auf einer Welle aus Nostalgie.

Alle (Wieder-)Anfänge sind schön

Mein Starterset besteht aus heldenhaften Space Marines und finsteren Plague Marines der verseuchten Death Guard-Legion. Eigentlich will ich die guten Jungs behalten und die bösen auf Ebay verkaufen. Doch schon treffe ich auf die erste Herausforderung: Welcher Space Marine-Orden soll es überhaupt sein? Während ich mich fieberhaft durch Youtube-Videos zu Stärken und Schwächen klicke und mir Sonderregeln und Optionen anlese, wird mir immer klarer, welche Tragweite diese Entscheidung haben kann. Dann habe ich mich festgelegt, und wenn mir die Entscheidung später nicht gefällt, weiß ich ganz genau, dass ich nicht die Geduld aufbringen werde, wieder von neuem anzufangen. So eine 1500-Punkte-Armee (in dieser Armeegröße spielen die meisten wohl) enthält dutzende, gar hunderte Modelle.

Meine erste Miniatur seit 20 Jahren. Gebraucht habe ich vom Zusammenbau bis zum fertigen Zustand etwa vier Stunden dafür. Im Rückblick finde ich das heute sehr lustig.

Und während ich noch Optionen abwäge, habe ich plötzlich meinen ersten Plague Marine fertig gemalt. Hups!

Lektion 1: Weniger nachdenken, einfach loslegen. Heute kann ich im Rückblick sagen: Zu Beginn des Hobbys weißt du noch nicht, wo die Reise hingeht. Tu, was sich gut anfühlt und Spaß macht.

Von Ausprobieren zu Hobby: Ein Arbeitsplatz muss her

Nach und nach male ich beide Fraktionen der Starterbox an. Als Orden habe ich mittlerweile die Dark Angels gewählt, also Space Marines mit Roben-und-Ritter-Style (hauptsächlich, weil ich dabei viele Grün- und Erdtöne der Plague Marine-Figuren wiederverwenden kann).

Die nächste Herausforderung: Das Bemalen kostet viel Zeit. Meine Hände sind nach Jahren des Mausklickens und Videospielens doch nicht so zitterfrei wie gehofft. Jeder Strich erfordert Konzentration, und bin ich mal wieder verrutscht, brauche ich doppelt so lange, um meinen Fehler zu korrigieren.

Offenbar ist der Schritt zum festen Mal-Ort ein wichtiges Committment vom Ausprobierer zum Hobbyisten.

Ich bemerke dabei immer stärker, wie mir mein Bemal-Platz – ein Schreibtisch vor dem Fenster – die Bemal-Arbeit unnötig schwer macht. Ein Besuch bei Tobi hilft mir weiter mit Tipps vom alten Hasen: Tageslicht ist in Ordnung, aber während zu vieler Stunden des Tages einfach nicht hell genug. Besseres künstliches Licht muss her, am besten nicht blendend (also Birnen mit Butterbrotpapier abgeklebt) und vor allem von mehreren Seiten strahlend. Dann ist eine bessere Ordnung für die Farbdosen sein Tipp. Und ob ich schon einmal von einer Nass-Palette gehört hätte, damit die Farben länger frisch und feucht bleiben? Nein, aber zwei Tage später habe ich einen großen Satz Farben mehr und mein Dachgeschoss in ein ordentliches Hobbyzimmer verwandelt. Dabei funktioniere ich einen alten Holzplatten-Zuschnitt als Maltisch und eine Tageslicht-Leuchte als Beleuchtung um.

Ich bin begeistert: Es läuft viel besser!

Lektion 2: Durch den festen Bemalplatz kommt Sicherheit automatisch mit. Ein Ort im Haus motiviert zum regelmäßigen Malen. Allein diese Übung bringt Ruhe in die Hände und beschleunigt das Fertigstellen einer Figur.

Doch fehlt mir irgendwas. Na klar: Warhammer SPIELEN! Das ist schließlich die zweite Hälfte des Hobbys.

Loszocken: „Kennst du eigentlich Killteam?“

Seit dem Spontankauf sind zweieinhalb Monate vergangen, und trotzdem kann ich nur eine Handvoll Dark Angels und Plague Marines vorweisen. Mir wird klar: Bis zu 1500 Punkten fehlt noch sehr viel. Als ich das einem alten Freund klage, antwortet er entspannt: „Man muss ja nicht gleich mit einer großen Armee anfangen. Kennst du eigentlich Killteam?“ Kenne ich noch nicht, aber bald,einer Teilzeithelden-Rezension sei Dank.

Die Kurzfassung: Killteam ist eine Art Mini-Version von Warhammer 40.000. Statt Armeen mit Panzern und gewaltigen Helden führt man nur eine Handvoll Elitesoldat*innen aufs Spielfeld, die Kommandomissionen durchführen – quasi X-Com im Warhammer-Universum. Die Regeln sind leichter und zugänglicher, was auf dem Spielfeld passiert ist übersichtlicher. Statt 40k-Grundregelwerk, Armee-Codex und dutzender Erweiterungsbänden brauche ich nur das Killteam-Grundregelwerk – was auf einschlägigen Fan-Seiten aus Russland auch im Netz zu finden ist undin vielen Einsteiger-Videos Schritt für Schritt erklärt wird.

Ein paar Abende Lektüre und ein paarYoutube-Schlachtberichte später, habe ich die Regeln halbwegs drauf. Mein Freund und ich verabreden uns – mit allen Pandemie-Vorsichtsmaßnahmen – zu einem Treffen. Endlich die eigenen Miniaturen auf dem Spielfeld zu sehen, macht große Laune. Dazu sind die Killteam-Runden schnell gespielt – und das, obwohl ich unerfahren bin und er eingerostet ist. In einer alten Fabrik (ein Pappgelände aus der auf kompetitive Spiele ausgelegtenArena-Box) treffen meine Space Marines auf eine Schar von Dämonen der Chaosgötter. Es stehen meine fünf Modelle gegen elf, Elite gegen Masse – und ich merke nach 60 Minuten und einer brutalen Niederlage, dass ich noch viel zu lernen habe. Aber ich merke auch, wie sehr mir Würfeln, Figurenschieben und vor allem die Spannung einer solchen Kommando-Mission liegen.

Kurzum, Warhammer hat die Feuerprobe bestanden. Jetzt bin ich mir sicher, dass es mehr ist als nur eine Nostalgie-Phase. Die alte Hobbyliebe brennt wieder lichterloh, und ich fasse den Entschluss, voll ins Hobby einzusteigen; erstmal über Killteam und später dann 40k.

Lektion 3: Obwohl Warhammer mit dem Bemalen einen einzigartigen Hobby-Aspekt bietet, den man tagelang für sich selbst verfolgen kann, ist das nur die eine Hälfte. Bevor du groß in Warhammer 40k investierst, solltest du zumindest in Erfahrung bringen, ob dir auch das Spiel selbst zusagt.

Tiefer ins Hobby: Gemeinschaft motiviert

Es ist nun Winter, und der Dauerlockdown beginnt. Zu Weihnachten gönne ich mir eine Packung Elitetruppen (Terminatoren) für beide Fraktionen und richte mich auf lange Pinsel-Abende ein.

In dieser Phase sauge ich alle Youtube-Videos zum Thema Bemalen auf – ein Fehler, wie ich später verstehe. Profimaler erzählen mir durch den Bildschirm meines Computers, wie ich „perfekte Blends“ hinbekäme, wieso „Zenithal-Priming“ ein Muss sei und wieso Contrast-Farben, mit denen ich besonders gern arbeite, nur etwas für Kretins und blutige Anfänger seien. Natürlich lassen die professionell gemalten Modelle, die all diese Künstler stolz in die Kameras halten, meine Erstversuche schäbig und amateurhaft aussehen. Ich lerne wenig daraus, und meine Motivation rutscht auf einen vorläufigen Tiefpunkt. Erste Zweifel an meiner Hobby-Entscheidung kommen hoch, und ich male für eine Woche aus Frust keinen Pinselstrich.

Eine Miniatur solide bemalt und gut in Szene gesetzt. Darauf kann ich stolz sein. Und sie hat mich, Übung sei Dank, nur noch zwei Stunden Arbeit gekostet.

Was hilft ist die regionale Warhammer-Gruppe namensDicing Krakens, in deren Messenger-Chats ich nun aktiver mitlese. Das tut gut, denn hier tummeln sich keine elitären Youtube-Influencer, sondern ganz normale Spieler und Spielerinnen. Manche davon haben auch gerade erst angefangen, so wie ich. Regelmäßig tauschen wir nun Fotos unserer Werke aus, beantworten Fragen und geben uns einstiegsgerechte Tipps. Ab und zu prämiert Tobi eines der Fotos, indem er es für ein paar Tage zum neuen Gruppenbild erhebt. Als mir das zum ersten Mal mit einer Figur passiert, platze ich fast vor Stolz. So geht Hobby-Motivation!

Lektion 4: Lob motiviert und das erhält man nicht auf der „Youtube-Akademie“.Auch Teilzeithelden hat so einige Bemaltipps für Anfänger parat. Doch um die eigenen Figuren gut aussehen zu lassen ist mehr als nur eine solide Bemalung nötig.Mit einfachen Tricks und der richtigen Software (bei mirLightroom von Adobe) lassen sich deutlich bessere Bilder machen, die die eigene Arbeit zur Geltung bringen.

Hobbyexplosion: Kenne deine Grenzen

Tau sind das jüngste Volk der Warhammer-Galaxis und besitzen fortgeschrittene Technologie. Sie halten sich für die Guten und pochen auf das Höhere Wohl, doch im Endeffekt sind sie nur naive Weltraum-Kommunist*innen.

Die folgenden Monate Dauerlockdown vergehen für mich wie im Flug. Während Deutschland stillzustehen scheint und manchen Menschen hörbar der Geduldsfaden reißt, bin ich wohl nur halb so gestresst und genervt, wie ich sein könnte. Denn ein Teil von mir probiert sich in meinem neuen Lieblingshobby voll aus.

Dabei wird mir klar: Ich bin ein Vielmaler und habe immensen Spaß daran, häufig und intensiv die Pinsel zu schwingen – für mich und auch für andere. Als Dankeschön für die Killteam-Einführung bemale ich meinem Freund ein Tau-Team in Stadtkampf-Tarnmuster:

Necrons ersetzten ihre Körper durch metallene Skelette und eroberten einst in pseudo-ägyptischen Dynastien die ganze Galaxis. Dann legten sie sich in den langen Stasisschlaf der Plot-Bequemlichkeit. Nun erwachen sie wieder und holen sich das zurück, was einst ihnen gehörte.

Begeistert von den Bemal-Videos von an Einsteiger gerichtete Kanäle wieMidwinter Minis probiere ich mich an Necrons im Sandstein-Look aus und lege mir für die Leucht-Effekte sogar ein gebrauchtes Airbrush-Set zu. Dazu experimentiere ich mit Basis-Gestaltung. Da geht noch was!

Auf den Ebay-Geschmack gekommen lege ich mir gleich noch eine kleine Ork-Bande zu … die bald schon zu einer größeren Bande wird.

Habe ich schon die Tyraniden erwähnt, die ich zufällig als gebrauchtes Schnäppchen ergattert und dann neu bemalt habe?

Mein Plastikberg wächst und wächst, durch Spontankäufe, Ebay-Auktionen, Malaufträge von Freunden und auch3D-gedruckte Alternativmodelle. Mein Ziel einer einheitlichen Armee aus Space Marines (na gut, zugegeben: und einer zweiten aus Plague Marines) habe ich vor Begeisterung in alle Richtungen längst aus den Augen verloren.

Ich glaube, ich habe ein Problem …Lektion 5: Warhammer kann überwältigend sein. Jede Fraktion ist auf eigene Weise interessant. Und vor allem Ebay und Kleinanzeigen sorgen schnell für viel mehr Miniaturen-Zufluss, als man eigentlich wollte. Plötzlich hat man das, was Hobbyisten einen „Pile of Shame“ nennen, also einen Berg unbemalten Plastiks, der unbezwingbar wirken kann. Vielleicht lässt sich das gar nicht vermeiden. Du solltest dich dadurch nur nicht ganz von der Spur abbringen lassen. Vor allem nicht, wenn die Hobbybegeisterung das eigene Budget zu sehr schröpft.

Finde deinen Stil, finde deinen Flow

Meine Antwort auf mein ausuferndes Hobby ist: Disziplin.

Ich versuche, mindestens vier Abende die Woche für mehr als eine Stunde zu malen, vorauszuplanen und nacheinander meine Projekte abzuarbeiten. Dabei kommt mir entgegen, dass ich gern „Speedpainting“ betreibe, eine Art zu malen, die ich vor dem Pandemiejahr noch nicht kannte. Darunter versteht man, Miniaturen nicht bis ins letzte Detail anzupinseln, sondern in Zeit und Output zu denken, also Abkürzungen und Tricks zu nutzen, vor denen die Youtube-Elite die Nase rümpfen würde (etwa Kontrastfarben, Shades, schnelle Airbrush-Arbeiten, Augen nicht ausmalen etc.). Dazu gehört es auch, manche Schnitzer zuzulassen – denn in der Masse sehen alle bemalten Miniaturen auf dem Spieltisch beeindruckend aus, selbst wenn der eine Farbton nicht 100% perfekt ist. Das reicht mir.

Dazu habe ich durch die ganze Übung meinen eigenen Bemal-Stil gefunden. Ich mag knalligere Farben, deutliche Akzente und starke Kontraste, auch wenn dies Figuren dann etwas comichafter und weniger lebensecht aussehen lässt (was auch immer das bei Weltraum-Übermensch-Soldaten heißen mag). Mit meinem Stil gewinne ich sicher nirgendwo einen Bemal-Wettbewerb, doch das Ergebnis erinnert mich an eine zeitlose Warcraft-Comic-Grafik und spielt damit auf der Nostalgie-Geige. Anders gesagt: Es fühlt sich richtig und cool an, wenn ich meine fertigen Miniaturen ansehe. Und genau darum geht es– mir muss gefallen, was ich tue. Denn es ist mein Hobby.

Das gilt übrigens auch für die Regeln. Denn nur weil die letzte offizielle Starterbox und Regelerweiterung,Pariah Nexus, die ganze Spielbalance von Killteam vorerst in ein schwarzes Loch geschubst hat, lasse ich mir noch lange nicht die Hobbyfreude rauben. Mit einer Gruppe von Freund*innen spielen wir nun regelmäßig einmal pro Woche in meiner zum Hobbyraum umfunktionierten Garage – nur eben nach abweichenden Regeln, bis die nächste Edition erscheint.

Spiele zu dritt? Im Regelwerk nicht wirklich vorgesehen – na und?

Lektion 6: Schlechtes Balancing ist kein Problem. Wer hindert mich denn daran, schlechten offiziellen Regeln mit Hausregeln entgegenzuwirken oder gleich von Fans gemachte Voll-Modifikationen wieHeralds of Ruin oderKillteam XR zu spielen? Oder nur 500 Punkte Warhammer 40k aufzustellen? Oder narrative Missionen und Kampagnen zu entwerfen? Im Pandemiejahr habe ich vor allem auch gelernt, dass Warhammer das ist, was man selbst daraus macht.

Und das Pandemie-Ende bringt neue Gelegenheiten mit sich: Tobi hat einen Teil seines Spieleladens in einen Hobbybereich umgebaut und wartet schon mit seinen Necrons und fertigen Spieltischen auf Herausforder*innen. Meine Space Marines und Death Guard brennen schon darauf, sich das erste Mal auf großem Spielfeld zu beweisen.

Meiner glücklichen Warhammer-Hobby-Zukunft steht nichts mehr im Weg.

Artikelbilder: © Dirk Walbrühl
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Ricardo Davids, Maximilian Düngen
Fotografien: Dirk Walbrühl

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