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Spätestens seit Stardew Valley erleben Farming Sims eine Renaissance und schießen allerorten aus dem Boden. Travellers Rest von Isolated Games versucht mit dem Brauen und Keltern verschiedener Alkoholika sowie dem Betrieb einer Taverne einen neueren Ansatz. Wir haben uns den Early Access genauer angesehen.

Travellers Rest ist – wie Kenner der Indie-Games-Szene wissen – nicht die erste Simulation, die den Betrieb einer Taverne als Fixpunkt fürs Gameplay verwendet. Als Life/Farming Sim, in der man eine einzige Figur steuert, ist der Ansatz allerdings recht unverbraucht. Dennoch ist offensichtlich, dass die Entwickler*innen von Isolated Games auf den Zug aufspringen, den Stardew Valley ins Rollen gebracht hat. Das fängt bei der Pixelgrafik an, geht beim Menüdesign weiter und macht auch vor Mechaniken nicht immer Halt. Nichtsdestotrotz ist Travellers Rest ein völlig eigenes Spiel, selbst wenn sich an allen Ecken und Enden zeigt, dass es sich im wirklich frühen Early-Access-Stadium befindet.

Travellers Rest kommt im bekannten und charmanten Pixellook daher.
Travellers Rest kommt im bekannten und charmanten Pixellook daher.

Grundlegend stimmig, aber mit Lücken

Zu Beginn erstellen wir unseren Charakter. Viel auszuwählen gibt es allerdings nicht, lediglich Geschlecht und Äußerlichkeiten lassen sich bestimmen, außerdem muss man den/die Wirt*in benennen und seiner Taverne einen Namen geben. Anschließend wird man ohne Story oder Intro direkt ins Geschehen geworfen, das durch einen schönen, aber repetitiven Soundtrack untermalt wird. Eine Rahmenhandlung fehlt völlig, sowohl für die Hauptfigur als auch für die Welt, die uns umgibt. Spätestens hier fällt auf, dass sich das Spiel im Early Access befindet, und der Fokus der Entwickler*innen derzeit noch völlig auf den Gameplay-Mechaniken zu liegen scheint.

Die Charaktererstellung ist ziemlich simpel gehalten.
Die Charaktererstellung ist ziemlich simpel gehalten.

Ein enges Korsett

Das heißt jedoch nicht, dass Spielende allein gelassen werden, denn das Tutorial nimmt einen bereitwillig an die Hand und erklärt Neuwirt*innen in den üblichen Schritten die Spielfunktionen. Etwas schade: Selbst wenn man das Tutorial deaktiviert, wird dem Freiheitsdrang eingefleischter Sandboxfans ein gewisser Riegel vorgeschoben. Die Spielfunktionen werden Tavernenwirt*innen zwar charmant durch Quests nähergebracht, erweisen sich aber leider als unumgänglich für den Fortschritt im Spielverlauf. Hier wäre eine Option hilfreich, die uns einfach ohne Aufgabenrahmen ins Spiel starten lässt.

Zu Beginn ist unsere Taverne ziemlich leer…
Zu Beginn ist unsere Taverne ziemlich leer…

Die Stube sauber halten

Am Anfang stehen wir vor der Aufgabe, aus unserer chaotischen Taverne eine gastliche Stube zu machen. Dazu räumen wir erst einmal Möbel auf, bevor wir unsere erste Schicht beginnen. Während die ersten Gäste die Taverne besuchen, merken wir schnell, dass das Leben als Gastwirt alles andere als gemütlich und beschaulich wird. Wir rennen unseren Gästen hinterher, wischen Dreck vom Boden auf und benutzte Tische wieder sauber, bedienen an der Theke unsere Kund*innen. Potentiell können unzufriedene Besucher*innen sogar Streit anfangen und müssen mit dem Besen vertrieben werden, wenn man sie nicht schnell genug beruhigt. Sobald es dunkel wird, muss zusätzlich noch für Beleuchtung gesorgt und bei Kälte die Taverne mit dem Kamin beheizt werden.

… was sich aber rasch ändert.
… was sich aber rasch ändert.

Wie Stardew Valley?

Während unser Warenangebot in der ersten Schicht nur aus Porridge besteht und wir hier wenig falsch machen können, wird das Tavernenleben Schritt für Schritt komplizierter. Die ersten Fässer Bier sind schnell erworben und nach und nach kommt eigene Ausrüstung zum Kochen und Brauen hinzu, die wir aus den obligatorischen Quests erhalten. Zum Aufstocken unserer Vorräte können wir die Taverne jederzeit schließen und neu eröffnen. Das ist gut so, denn Gerätschaften, neues Mobiliar, um mehr Gäste aufzunehmen, und Fässer zum Lagern von Alkohol stellen wir am Anfang vor allem selbst her, wofür wir mit Axt und Spitzhacke den umliegenden Ressourcen auf den Pelz rücken. Klingt nach Stardew Valley, nimmt aber deutlich weniger Platz in unserem Alltag ein als beim Dauerbrenner.

Wie in vielen Genrekollegen müssen wir Ressourcen selbst sammeln.
Wie in vielen Genrekollegen müssen wir Ressourcen selbst sammeln.

Das Rad nicht neu erfinden

Was wir sonst brauchen und nicht selbst herstellen können, bestellen wir per Katalog für das Geld, das unsere Tavernenschichten erwirtschaften. Für jede handwerkliche Tätigkeit erhalten wir – ähnlich wie bei Graveyard Keeper – verschiedenfarbige Erfahrungspunkte, die wir in die verschiedenen Technologiebäume investieren können, was uns weitere Optionen eröffnet. Pils, Bock und Wein brauen und keltern wir selbst. Dafür müssen wir verschiedene Hopfen und fruchtige Zutaten kombinieren, die wir selbst anbauen. Das Anbausystem ist hierbei dankenswerterweise erneut bedeutend einfacher als beim erfolgreichen Genrekollegen Stardew Valley. Travellers Rest erfindet das Rad nicht neu – muss es aber auch nicht, denn es setzt einen anderen Fokus.

Der Technologiebaum erinnert an Graveyard Keeper.
Der Technologiebaum erinnert an Graveyard Keeper.

Offensichtlich Early Access

Das ist alles furchtbar spaßig, aber leider fallen hier auch schnell die Grenzen des Spiels auf. Warum und weshalb Biere bei der Kombination verschiedener Zutaten nun teurer oder weniger teuer werden, ist – bis auf den Einkaufspreis der einzelnen Ingredienzien – undurchsichtig und oft auch inkonsequent. Hier ist Quantität größer als Qualität. Das Spiel wird dabei schnell zum Selbstzweck, denn ob ich jetzt dunkles Ale oder Porter verkaufe macht keinen gewaltigen Unterschied. Der Alterungskeller, mit dem man das Spiel tatsächlich um eine Mechanik erweitert, ist leider ungünstig weit hinten im Spielverlauf versteckt. Dass es keinerlei Ortschaften zu erkunden gibt und man mit seinen Gästen oder anderen NSC keine Worte wechseln kann, kommt erschwerend dazu. Hier stößt das Spiel noch an seine Early-Access-Grenzen.

Zu Beginn spannend, aber leider schnell oberflächlich: Das Brauen und Keltern.
Zu Beginn spannend, aber leider schnell oberflächlich: Das Brauen und Keltern.

Die harten Fakten:

  • Entwicklerstudio: Isolated Games
  • Publisher: Isolated Games
  • Plattform: PC
  • Sprache: Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Polnisch, Portugiesisch, brasilianisches Portugiesisch, Türkisch, Japanisch, Koreanisch, Vereinfachtes Chinesisch, Traditionelles Chinesisch, Russisch, Italienisch
  • Mindestanforderungen: Windows 7 SP1+, SSE 2 instruction set support, 8 GB RAM, Graphikkarte mit shader model 4.0+, DirectX 10, 600 MB Festplattenspeicher
  • Genre: Farming/Life Sim
  • Releasedatum: Seit dem 28. Juli 2020 im Early Access
  • Spielstunden: Derzeit ca. 15+, mit Potential auf deutlich mehr
  • Spieler*innen-Anzahl: Einzelspieler
  • Altersfreigabe: Keine
  • Preis: 13,99 EUR
  • Bezugsquelle: Steam, GOG

 

Fazit

Als Entwickler ein Spiel in den Early Access zu geben, bringt immer Risiken mit sich. Im Endeffekt präsentiert man den Kritiker*innen ein unfertiges Produkt, was die Bewertung für beide Seiten schwer macht. Das zeigt sich auch bei Travellers Rest. Selbst wenn das Spiel unglaubliches Potential hat, recht günstig ist und grundlegend vieles richtig macht, kommt man nicht umhin, die großen Lücken zu entdecken, die sich bei genauerem Hinsehen offenbaren.

Die mangelnde Interaktion mit der Spielwelt, der meist unkreative Brauvorgang und der Umfang allgemein machen dem Spiel derzeit zu schaffen. Dennoch ist Travellers Rest, gerade wenn man es im Angebot erhält, für alle Stardew-Valley-Fans, die nach neuen Gefilden suchen, ein kleiner Geheimtipp. Denn seinen Schwächen zum Trotz macht es überraschend viel Spaß, Gäste in der eigenen Taverne zu bewirten.

  • Unglaubliches Potential
  • Stimmiges Gesamtbild
  • Grundlegend spaßige Features
 

  • Wenig tatsächlicher Content
  • Mechaniken oft inkonsequent

 

Titelbilder: © Isolated Games
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Susanne Stark
Screenshots: Stephan Köhli
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

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