Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten

Nach Essen ist vor Nürnberg. Ende Januar gibt es dort alljährlich alles, was Kinderherzen höher schlagen lässt, aber auch einige deutsche und internationale Aussteller von Brettspielen für uns Große. Was erwartet uns also an Neuheiten, die wir auf der Spielwarenmesse Nürnberg schon mal bestaunen durften?

Vom 29. Januar bis 02. Februar 2020 öffnete in der schönen Frankenstadt Nürnberg die alljährliche Spielwarenmesse mal wieder ihre Pforten. Die 71. Auflage lockte 63.500 Aussteller und Fachbesucher aus 136 Ländern an. Damit ist die Besucherzahl leicht zurückgegangen (ca. 5 %), was wohl auf die Sorge um das Coronavirus zurückzuführen sein dürfte. Neben Hallen voller Puppen, Feuerwerkskörper, Kostüme, Modelleisenbahnen, Drohnen, Riesen-Roboter und -Schleich-Dinos oder auch schlichter Plastikbälle und natürlich Brettspiele, wurden dieses Jahr zu drei Trends diverse Veranstaltungen und Fachdiskussionen abgehalten. Diese wurden „Toys for future“, „Digital goes Physical“ und „Be you!“ benannt und stehen somit für nachhaltigeres, digital-analog-hybridhaftes und individualisiertes Spielzeug und Spielerlebnis.

Es folgt eine Betrachtung der Spieletrends – hier geht es direkt zu den Neuheiten.

Umwelt, Analogisierung und ich

Lassen sich diese Trends auch fürs Thema Brettspiel ausmachen? Die Branche boomt jedenfalls weiterhin – auch in Deutschland konnte 2019 ein Umsatzplus von 8 % ausgemacht werden, in vielen Ländern wächst der Markt zweistellig und das trotz der großen digitalen Konkurrenz. Nachhaltige Themen oder gar Umsetzungen wirkten allerdings für den Messebesucher zwischen all den Plastikbällen und elektrischen Autos eher wie eine Randerscheinung, die noch nicht wirklich im Hobby angekommen zu sein scheint. Zurück zu mehr Holz statt Plastik? Ein paar gute Ansätze konnten wir in Essen bereits ausfindig machen und hoffen, da kommt künftig noch einiges mehr. Aber immerhin handelt es sich bei Brettspielen ja eher um Sammel- als um Wegwerfobjektive und die meisten werden verkauft oder gespendet und entsprechend recycled.

Wie das Digitale in die Brettspielwelt Einzug erhält haben wir vor gut einem Jahr schon einmal beleuchtet. Die Rückgewandtheit findet sich natürlich vor allem im Bereich von so etwas wie Nintendo Labo, also Papp-Basteleien für die Switch, bei denen man sich eigene Controller und Zubehör, also etwa Angeln, Lenkräder oder Roboteranzüge, für bestimmte Spiele baut. Fürs Brettspiel sehen wir sicherlich mehr und mehr analoge Umsetzungen von durchschlagenden digitalen Titeln, wie dem sehr erfolgreichen Dark Souls. Viele kooperative Dungeon-Crawler werden durch eine App unterstützt; dabei handelt es sich aber eher um Hybride oder digitale Ergänzungen des Physischen und nicht andersherum.

„Be you!“ lässt sich wohl am besten mit dem nicht nur aus nachhaltigen Gründen zweifelhaften Einzug der Loot-Box in die physikalische Welt erklären. Wer noch nichts von den L.O.L.-Surprise-Puppen gehört hat, sei gepriesen. Hier bekommen die Kleinen nämlich eine Puppe mit einer Vielzahl an Accessoires, die alle randomisiert zusammengestellt wurden. Integrationstechnisch positiv ist sicherlich, dass auch Haar- und Hautfarbe zufällig sind, aber Suchtgefahr, Doppelkäufe, Müllproduktion … alle das sind Themen, die bislang eher Trading-Card-Gamer beschäftigt haben.

Asmodee hat 2018 versucht, das Konzept als Unique Games weiterzuspinnen und mit dem eher gefloppten Entdeckerspiel Discover und dem immer noch aktuellen Keyforge, gerade in vierter Erweiterung, ebenfalls zufällig zusammengestellte und damit komplett einzigartige Spiele zu generieren. Aber drückt Zufall tatsächlich meine Persönlichkeit in ähnlicher Weise aus, wie ein Avatar, den ich in einem Computerspiel nach meinem Ebenbild oder anderen Vorstellungen designen kann?

Man darf gespannt sein, was diese und andere Trends uns in der Zukunft noch bringen werden, aber schauen wir jetzt, was wir dieses Jahr in Nürnberg beobachtet haben.

There’s no Escape from the Escape Room Boom

Reale Escape Rooms sprießen nicht nur weltweit wie Burgerbuden aus dem Boden, sie sind als Brettspielkategorie mit ihren artverwandten Krimi- und Detektiv-Spielen nicht mehr wegzudenken. Und wer annahm, dass der Markt irgendwann gesättigt sein könnte, hat vermutlich sowohl die Schnelllebigkeit der meist nur einmal für 60-90 Minuten spielbaren Szenarien als auch die Innovationsfreude der Autoren unterschätzt.

Neue Exits, Sherlocks, Deckscapes, Adventure Games und Escape Tales warten auf Fans, die von den erfolgreichen Serien nicht genug kriegen können. Von den kreativen Köpfen Inka und Markus Brand wird auch ein Exit Adventskalender erscheinen, der uns mit 24 Rätseln erfreut. Der Huch!-Verlag kündigt in zwei Teilen mit je fünf Abenteuern die Psychiatrie des Schreckens an – hier ergeben fünf Handlungsstränge aus fünf unterschiedlichen Perspektiven ein Gesamtbild. Die Macher der Reihe Escape Room – Das Spiel von Noris bescheren uns Nightmare – Das Horror Abenteuer, in dem man gemeinsam gegen den Killer spielt. Es mutet vom Layout ein wenig wie Betrayal at House on the Hill an, enthält aber auch noch Schlafmasken.

Nachdem T.I.M.E Stories uns mit dem letzten Teil der „weißen Reihe“ mit dem Titel Madame leider ein maximal unbefriedigendes und schlicht schlecht designtes Ende beschert hat, versuchen sie mit den eigenständigen Titeln der „blauen Reihe“ jetzt einen Neuanfang. Ob das mit den Titeln Hadal-Project und in Nürnberg neu vorgestellt Damien gelingen wird, können wir nur hoffen – die Neuerungen am System klingen recht vielversprechend, aber die ersten Rezensionen sind leider sehr verhalten.

Mystery House von Schmidt-Spiele wagt einen innovativen Ansatz, indem das ganze Spielbrett aus einer Art Türenlabyrinth besteht, die man je nach Szenario anordnet. Man interagiert nach einem Zahlen-Buchstaben-Code dann beispielhaft mit einem auf eine dieser Türen aufgedruckten Spiegel und gibt dessen Code in die App ein – war man erfolgreich, darf man die Tür entfernen und so von außen weiter in das Haus hineinsehen.

Kosmos geht einen eher klassischen Weg mit dem kooperativen Crime Stories aus der Feder von Bestseller-Autor Veit Etzold, offenbar inklusive Anleitungshilfen zum Schreiben von Krimis für dann sicher noch viel mehr Escape-Rooms von neuen Autoren.

Bekanntes und Bewährtes

Ebenfalls etwas düster kommt die King of Tokyo Dark Edition von iello daher – fast ausschließlich in schattenhaftem schwarz gehalten, mit eleganten black frosted Würfeln macht es optisch einiges her und wurde auch ein wenig überarbeitet. Huch! stellt ein Roll and Write zum sehr guten Dice Placement-Spiel Rajas of the Ganges vor. CMON springt auf Steve Jackson Games‘ Erfolgszug Munchkin auf und stellt das lang angekündigte Munchkin Dungeon vor. Wer den ein oder anderen Artikel von mir gelesen hat, weiß, dass Munchkin für mich klar unter die Regel „Spiele keine Spiele, die mit M anfangen“ fällt, aber Eric M. Lang, der uns Erfolgstitel wie Rising Sun beschert hat, hat mir auf der SPIEL 2018 hoch und heilig versprochen, dass der Titel nicht nur viele Brettspiel-Insider-Witze enthält, sondern tatsächlich ein interessantes Spiel mit etwas Tiefe.

Für das A Song of Ice and Fire Tabletop sind für Q1 einige Grund- und Erweiterungssets zu bestaunen gewesen – ebenso wie ein paar sehr schicke Miniaturen für Eric M. Langs kommenden Kickstarter Ankh – Gods of Egypt. Und zu Die Legenden von Andor von Michael Menzel, gibt es eine von ihm niedlich illustrierte Junior-Variante, die allerdings Inka und Markus Brand entwickelt haben.

Komplexes und Kurioses

Eggert Spiele wagt sich an die Universität – bei Alma Mater muss man nicht nur Professoren, sondern auch Studenten für sich gewinnen und man bezahlt dabei alles mit Büchern, die mehr oder weniger wertvoll werden, je nachdem wie erkenntnisreich gerade die eigenen publizierten Abhandlungen daher kommen. Kosmos zeigt mit My City ein neues Legacy-Spiel bei dem in 24 kurzen Episoden aus Polyominos (Tetris-Formen) eine Stadt gebaut wird – Rainer Knizias erster Ausflug in die Legacy-Welt. Ebenfalls einen guten Eindruck mach Khôra – Rise of an Empire, das für iello ein erstaunlich komplexes Stadt-Verwaltungsspiel zu sein scheint.

Mit City of the Great Machine wagt sich der hierzulande recht unbekannte russische Verlag Crow Games mal an ein eigenes Großprojekt für den internationalen Markt. Die Krähen haben den Russen Erfolgstitel wie Scythe oder Tainted Grail (welches auf Deutsch von Pegasus vorgestellt wurde) lokalisiert. Im April wollen sie ihr One vs. Many Steampunk-Abenteuer bei Kickstarter launchen.

Dice upon a time wurde Mitte 2019 bereits bei Kickstarter finanziert und ist bald auch im Handel erhältlich. Ein familientaugliches niedliches Spiel, bei dem man in Grimms Märchenwelten durch das geschickte Platzieren von Würfeln, tlw. auch aufeinander, den Anderen den Weg versperrt. Wolfgang Warsch, der spätestens mit dem Kennerspiel des Jahres 2018, nämlich den Quacksalbern von Quedlinburg, seinen festen Platz unter den ganz großen Spieleentwicklern eingenommen hat, kommt mal wieder kreativ daher mit Perfect Match von Schmidt Spiele. Hier muss man auf einem verdeckten Halbkreis seinem eigenen Team einen relativen Wert einstellen, also zum Beispiel auf einer „Einkommensleiste“ bei 30 % vielleicht einen Fabrikarbeiter. Kommt das Team nah genug heran, gibt es Punkte – das andere Team kann aber durch „höher oder tiefer“ sagen ebenfalls Punkte kassieren, wenn es richtig liegt.

Neben all den vorher genannten Escaperoom- und Gruselspielen hat mir ein Spiel die schlimmsten Albträume beschert: Give Granny a Kiss. Ein Wett- oder besser Wegrennspiel, bei dem ich allein schon aufgrund des Artworks nicht nachvollziehen kann, wie man es in die Kategorie Familienspiel einordnen konnte.

 

Artikelbild: Spielwarenmesse Nürnberg, Fotografien: Daniel Hoffmann

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein