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Die Cosplay-Szene ist international – sei es bei Wettbewerben, auf Social Media oder im Austausch auf Conventions weltweit. Aus diesem Grund ist Positivity in der Szene und nach Außen besonders wichtig. Doch wo liegen die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den einzelnen Ländern und warum legt die russische Cosplayerin Astarohime besonders viel Wert darauf?

Astarohime stammt aus Moskau, Russland und cosplayt seit über 13 Jahren. In dieser Zeit hat sie bei mehr als 50 nationalen und internationalen Wettbewerben ihr Können gezeigt und auch als geladener Gast auf den verschiedensten Conventions Panels gehalten sowie ihre Kostüme und ihr Handwerk zur Schau gestellt. Auf der Connichi 2019 nahm sie sich Zeit, um mit uns über ihre Detailverliebtheit zu sprechen und wir haben sie gefragt, weshalb es wichtig ist, Positivität in der Cosplay-Community zu verbreiten.

Dieses Interview wurde in englischer Sprache geführt und von uns übersetzt. Wer das Interview lieber im englischen Original lesen möchte, der kann zur nächsten Seite blättern.

You can find the English version of this interview on the next page.

Das Interview

Teilzeithelden: Danke, dass du dir die Zeit nimmst, mit uns zu sprechen! Stell dich doch bitte einmal vor.

Astarohime: Ich heiße Astarohime, bin eine Cosplayerin aus Moskau, Russland und cosplaye jetzt über 13 Jahre. Angefangen habe ich, als ich auf der High School war – das war ehrlich gesagt ungeplant. Ich bin durch Zufall darauf gestoßen und als ich mein erstes Cosplay fertig hatte, war es ein großer Erfolg. Daher beschloss ich, es öfter zu machen und besser zu werden! 

Teilzeithelden: Du hast heute ein Panel gehalten – leider haben wir es nicht hin geschafft.

Astarohime: Ja, es war ein Panel über Positivity in der Cosplay-Szene. Da ich so viele Länder und verschiedene Events besucht habe und dazu auch sehr aktiv in den sozialen Medien bin, kann ich darüber sprechen, wie es in den Ländern in Bezug auf die verschiedenen Gegebenheiten und kulturellen Aspekte läuft. 

Giselle from Enchanted © JustMoolti

Teilzeithelden: Was ist dein Lieblingspart beim Cosplayen? Sind es Wettbewerbe, das Herstellen oder das Darstellen?

Astarohime: Das ist schwierig, denn ich habe viele Kostüme gemacht – über 200 Stück. Ich habe auch Kostüme, die aufgrund meiner Social-Media-Präsenz und meiner hohen Follower-Zahlen gesponsert wurden. Ich arbeite also auch als Brand Promoter. Ich mag es, an Kostümen zu arbeiten, ich bin auch gerne als Gast bei Cosplay-Events und sehr dankbar, dass mir das ermöglicht wird. Ich liebe es, Panels zu halten, denn ich kann immer etwas Neues dazu lernen.

Auf der anderen Seite mag ich es auch sehr, Events in meinem Heimatland zu besuchen, einfach, um meine Freunde zu treffen – quasi eine große Feier mit all meinen Freunden versammelt an einem Ort! Daher ist es wirklich schwierig, es auf einen Aspekt herunterzubrechen. 

Teilzeithelden: Lass es uns doch mal versuchen! Wenn du an einem Kostüm arbeitest – was machst du daran am liebsten?

Astarohime: Mein Lieblingspart ist das Ausarbeiten der Details. Ich bin sehr bekannt für detaillierte Kostüme wie Seth Nightlord oder Queen Esther aus Trinity Blood.

Ich kann Schnittmustererstellung und Zuschneiden nicht leiden. Ich hasse es, Scheren zu benutzen, meine Hände tun dann immer weh. Nähen ist manchmal einfach langweilig, wenig begeisternd und schmerzhaft, wenn man sich an einer Nadel sticht.

Aber wenn man die Basis hat – die Details hinzuzufügen, gibt einem so viel. Denn mit jedem kleinen Schritt fügt man etwas Großes hinzu. Die Kristalle [Hotfixsteine], die Spitzenborten – es ist, als wäre man ein Bildhauer!

Teilzeithelden: Als ob man eine Torte dekoriert! Dieser hohe Detailgrad ist wirklich inspirierend!

Astarohime: Ja, so ist es! Danke! Darauf liegt tatsächlich mein Hauptaugenmerk. Als ich mein erstes Cosplay gemacht habe, war es ein sehr aufwendiges und ich weiß nicht einmal, wieso ich es ausgewählt habe. Ich dachte mir: „Hm, dieses Kostüm ist noch nie zuvor gemacht worden.” Ich habe ein paar Cosplayer in diesem Kostüm gesehen, aber es war nie vollständig. Vielleicht waren sie es leid geworden – oder irgendwas hat nicht funktioniert mit der Farbe, dem Cape, dem Umhang. Ich wollte, dass jedes Detail sitzt. Ich wollte, dass es perfekt wird und den Leuten zeigen, dass es tatsächlich möglich ist, ein so detailliertes Kostüm zu machen. Einige haben gesagt: „Das ist unmöglich!”, und ich sagte: „Hold my Coke!”. Und ich habe es geschafft!

Yuri from Yurii on Ice © E.Kucheruk

Teilzeithelden: Warst du vorher schon einmal in Deutschland?

Astarohime: Ich bin jetzt zum dritten Mal in Deutschland. Vor eineinhalb Jahren war ich auf der aniMUC zu Gast zusammen mit BaouziHana und Dudus Arrrt. Ich war auch nochmal als Touristin da. In München war ein Konzert von einem japanischen Sänger, der nicht nach Moskau kam.

Teilzeithelden: Hast du einen bestimmten Eindruck von der deutschen Szene? Hattest du irgendwelche Erwartungen, und haben sie sich bestätigt?

Astarohime: Tatsächlich habe ich noch nicht allzu viel gesehen – ich warte auf den WCS-Vorentscheid morgen [für das Team 2020 bzw. 2021]. Ich bin sehr gespannt, deutsches Cosplay zu sehen. Auf der aniMUC war ich zwar Teil der Jury beim Cosplay-Wettbewerb, aber ich denke hier ist es anders. Da ich noch nicht alles von der deutschen Cosplayszene gesehen habe, ist es schwierig, etwas dazu zu sagen, aber alle hier sind so nett! Ich bin spazieren gegangen im Park und habe Leute gesehen, die gechillt oder Fotos gemacht haben, und alle waren total fröhlich. Es ist wirklich toll, dass auf der Convention alle so positiv sind.

Manchmal kann man den Stress und den Druck, der auf den Cosplayern liegt, spüren, aber hier haben alle einfach Spaß. Dazu sind auch unglaublich viele tolle Cosplayer hier – ich sehe so viele qualitativ hochwertige Cosplays! Das Tolle in Deutschland ist auch die große Vielfalt an Fandoms. In China sieht man zum Beispiel sehr selten Harry Potter-Cosplays – vor allem Harry oder Draco aus den Büchern. Manchmal sieht man vielleicht Sachen aus Fantastic Beasts [Phantastische Tierwesen-Filmreihe]. Hier dagegen findest du praktisch jedes Fandom, das du magst und kannst dich mit Gleichgesinnten zusammenschließen. 

Teilzeithelden: Das ist in Russland anders?

Astarohime: Ja, in Russland geht es mehr um beliebte Fandoms – also die Fandoms, die derzeit angesagt sind. Als Attack on Titan beliebt war, hat jeder etwas daraus gemacht. Im Moment ist der Hype aber nicht mehr da – du wirst kein Cosplay daraus sehen. Aber wenn ich jetzt hier eine Runde drehen würde, bin ich sicher, ich würde jemanden finden, der Attack on Titan cosplayt.

KDA Ahri from League or Legends © Keydou Photo

Teilzeithelden: Welche Top-Serien werden denn gerade so in Russland gecosplayt?

Astarohime: Zurzeit ist es vor allem Good Omens. Wir haben einige große Conventions über Comics – DC, Marvel usw. – und die kleinen Conventions, die hauptsächlich Animebezug haben. Deshalb werden die beliebtesten Comics und Spiele wie z. B. Overwatch eher auf den großen Cons gecosplayt. Vor zwei Jahren war jeder Harley Quinn – sogar die Männer! Jetzt im September ist es allerdings schwierig, vorherzusagen, was beliebt sein wird, da einige Animeserien gerade erst anlaufen und viele [Cosplayer] gerade ein neues Cosplayprojekt starten.

Teilzeithelden: Du bist ja jetzt schon eine ganze Weile dabei. Was hat sich mit der Zeit geändert?

Astarohime: Materialien sind zugänglicher geworden. Nicht nur finanziell, sondern auch bezüglich der Verfügbarkeit. In Russland hatten wir keine Möglichkeit, an manche Materialien zu kommen, das hat sich geändert. Worbla’s-Thermoplaste sind immer noch sehr teuer in Russland, weil sie aus Europa oder den USA importiert werden muss. Daher ist Rüstungsbau an sich zwar einfacher geworden, aber dennoch schwer machbar. Auch bei EVA-Foam muss man Versandkosten zahlen – das macht es sehr teuer.

Aber noch vor ein paar Jahren kamen wir überhaupt nicht an solche Materialien. Deshalb witzeln wir gerne darüber, dass die Leute ihre Rüstungen aus Schlamm und Stöckchen gebastelt haben – sprich Fußmatten, Pappmaschee und all das improvisierte Zeug. Es war super schwierig, damit zu arbeiten. Es hat ewig gedauert bis Pappmaschee gut aussah und Fußmatten sind irre schwer. Ich hab auch noch Rüstungsteile von damals und es ist so anstrengend, sie zu tragen, insbesondere über eine längere Zeit. Mit EVA-Foam ist es viel einfacher! Dazu ist es ermüdend, mit diesen Materialien zu arbeiten. Es ist schwer, sie zu schneiden oder zu formen, und sie verzeihen keinerlei Fehler.

Wo wir aber gerade bei Materialien sind – es hat sich generell viel geändert! Vor fünf Jahren waren die Leute noch sehr elitär was Kostüme anging. Alles drehte sich darum, alles selbst zu machen – wenn du losgezogen bist, um ein fertiges Cosplay zu kaufen, warst du unwürdig. Jeder Teil des Cosplays musste von dir selbst angefertigt worden sein. Und ja klar – natürlich ist es cool, wenn du alles selbst gemacht und an dich angepasst hast, aber es ist doch absolut okay und normal, es nicht zu tun und dir das Leben ein wenig zu erleichtern. Komplette Cosplays zu kaufen, war nicht üblich und sehr teuer, deshalb wurden Anfänger und Leute mit wenig Geld, wie Studenten oder Schüler, aufgezogen und zu Außenseitern gemacht.

Heute hat sich die Situation geändert und das ist fantastisch. Jeder kann Kostüme machen oder kaufen und einfach den Tag genießen! Auch der Herstellungsprozess hat sich gewandelt. Vor einigen Jahren hast du ein Cosplay hauptsächlich gemacht, um an Wettbewerben teilzunehmen. Heutzutage ist da weniger Druck. Hab einfach Spaß mit deinen Freunden, mach Fotos für dich oder dein Social Media – du musst nicht auf die Bühne, um gegen Andere anzutreten, und kannst Cons trotzdem im Cosplay genießen. Die Szene ist viel entgegenkommender geworden. Vor einigen Jahren waren alle sehr kritisch was Cosplay anging. Jetzt beginnt sich, Akzeptanz zu verbreiten, und diese Veränderung ist definitiv zum Besseren!

LaCirque from Sakizou © A.Timofeev

Teilzeithelden: Hältst du aus diesem Grund Panels über Positivity?

Astarohime: Ja, genau aus diesem Grund. Social Media ist so gewachsen und ein riesiger Teil von Cosplay geworden. Vor ein paar Jahren war es kleiner und wenn du gecosplayt hast, hast du Bilder gezeigt. Wenn du das nicht hast, war das auch nicht schlimm. Heute dagegen ist Social Media ein großer Teil des Lebens eines Cosplayers – im Positiven wie im Negativen.

Wir kommunizieren darüber, treffen Freunde, posten neue Updates, lernen von anderen Menschen. Und manche Leute verstehen nicht, was ihr Verhalten im Internet für Auswirkungen hat. Auch wenn sie nicht gemein oder unfreundlich sein wollen, kommen sie so rüber, weil sie es nicht gewohnt sind, online zu kommunizieren. Sie denken, dass die Art und Weise, wie sie sich im direkten Umgang benehmen, genau das gleiche ist wie online – aber das ist nicht so!

Wenn du einen Dialog von Angesicht zu Angesicht führst, siehst du das Lächeln auf dem Gesicht, verstehst, dass etwas positiv gemeint ist. Doch wenn du online bist und einen heiklen Kommentar bekommst wie „Ich hasse den Charakter, aber du bist okay.”, dann weißt du nicht so richtig, wie du damit umgehen sollst. Meinungen unterscheiden sich natürlich, und mich kümmert es nicht besonders. Doch ich finde es ist ziemlich unverschämt, wenn jemand in natura auf dich zukommt und dir sagt, dass er den Charakter hasst. Warum sollte man das tun? Man würde doch auch nicht einfach zu Cosplayern hingehen und sagen, dass man nicht mag, was sie kreiert haben, oder? Und sollte man es doch tun, dann spielen da Tonfall und Mimik eine Rolle, sodass es vielleicht nicht negativ rüberkommt. Vielleicht entsteht eine nerdige Debatte, aber online? Da gibt es nichts davon. Du musst es einfach schlucken! Das ist ein Problem für neue Cosplayer, für Anfänger, die einfach neue Sachen ausprobieren wollen – und das ist nicht gut!

Ich hab es [das Verhalten] in meinem Panel angesprochen und bekannte und nicht so bekannte Namen genannt – und jeder sagte direkt: „Ja, das ist wirklich schlimm. Mit so einem Verhalten können wir potenzielle Cosplayer verlieren und es ist tatsächlich schädlich für unser Hobby.” Ich meine: Wir könnten den nächsten WCS-Gewinner vergraulen, indem wir Leute im Internet entmutigen. Doch je mehr Menschen unser Hobby teilen, desto stärker wird die Community!

Wir sind keine Nischenszene mehr, wie etwa vor 5 Jahren. Wir werden akzeptiert und erhalten die Zustimmung von normalen Leuten, Regierungen, sogar alten Menschen wie Großmüttern, die nicht mehr denken, dass wir einfach ein Haufen Freaks sind. Natürlich sind wir immer noch nicht sehr präsent und für positives Wachstum muss es mehr Positivity, Varianz und auch heilsamen Dialog in den Sozialen Medien geben. Die Leute lieben es, Füchse zu cosplayn oder jemanden mit blauer Hautfarbe – quer durch alle sexuellen Ausrichtungen, und es ist uns einfach egal. Daher sollte ein verwirrter Anfänger, wenn er zu uns kommt, verstehen, dass es völlig in Ordnung ist, zu sein, wer du wirklich bist, und das auch auszuleben, anstatt dich verbiegen zu müssen, um „normal” zu sein.

Sakura from Tsubasa Recevoir Chronicles © JustMoolti

Teilzeithelden: Einige meiner Freunde nutzten Cosplay als Hilfe, um sich über ihr Gender klar zu werden. Sie haben sich akzeptiert gefühlt und keine blöden Kommentare bekommen, wenn sie z. B. gecrossdressed haben.

Astarohime: In der Cosplayszene geht es nicht nur um Kostüme. Viele kommen in die Szene und finden andere Leute, um sich mit ihnen über Schwierigkeiten auszutauschen, die sie fühlen, wenn sie sich mit der „normalen” Gesellschaft vergleichen.

Teilzeithelden: Letzte Frage! Hast du so etwas wie Cosplay-Idole?

Astarohime: Das ist schwierig für mich zu beantworten, da ich eher ein Fan der Kreationen, statt der Leute selbst bin. Ich sehe gewisse Sachen von vielen Leuten und bin sehr begeistert darüber. Dann inspiriert es mich und ich will sowas auch machen. Ich habe keine bestimmte Person, von der ich etwas lernen möchte. Meine Freunde geben mir viel Inspiration und ich unterstützte sie viel.

Wenn ich allerdings jemanden benennen soll, würde ich Yuegene Fay sagen. Sie ist eine tolle Cosplayerin aus Thailand und wir kennen uns seit vielen Jahren. Wir wurden Freunde und ich mag sehr, wie sie sich in der Öffentlichkeit präsentiert. Sie versucht, auch die Ansicht zu verbreiten, dass wir kein Drama im Cosplay brauchen, und ich bin da in vielen Punkten absolut bei ihr! Sie nutzt ihre Reichweite und ihren Einfluss sehr gut. Es ist toll, zu sehen, dass so eine Person nicht einfach herumsitzt und hübsch aussieht, sondern auch hart arbeitet und ihre Reichweite nutzt, um die Community zu verbessern!

Teilzeithelden: Vielen lieben Dank für das Interview und die großartigen Einblicke!

Instagram: @astarohime
Facebook: @astarohime.koyu
Twitter: @astarohime

You can find the English version of this interview on the next page.

Fotografien wurden mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.
Titelbild: Alice from ScissorsCrown © Photographer E. Kucheruk
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat und Übersetzung: Saskia Harendt

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