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Der Legacy-Hype geht in die nächste Runde. Anfänglich gab es vor allem Kennerspiele, aber jetzt kommen mehr und mehr Spiele heraus, die das interessante Konzept sich weiterentwickelnder Spielmechaniken auch für Casual-Gamer und damit ein breiteres Publikum umsetzen. Trifft Machi Koro Legacy da genau ins Schwarze?

Am Anfang war Risiko Evolution; richtig groß rausgekommen sind die sich sukzessive weiterentwickelnden Spiele mit Pandemie, dessen Legacy-Variante diesen Herbst in die dritte Runde geht: Legacy-Games sind aus der Welt der Brettspiele nicht mehr wegzudenken. Kein Wunder also, dass auch immer mehr familienfreundliche Spiele als Legacy-Variante umgesetzt oder adaptiert werden. Für die ganz Jungen ist mittlerweile Zombie Kidz Evolution Mit Rainer Knizias My City und Machi Koro Legacy gibt es nun die ersten sich weiterentwickelnden Spiele vor allem für Casual-Gamer.

Spielablauf

Die ersten Partien fühlen sich, wie oft im Genre, noch ziemlich analog zum Grundspiel an. Wir würfeln abwechselnd und bekommen abhängig vom Würfelglück Einkommen durch unsere beiden Start-Karten. Das Weizenfeld gibt immer eine Münze, egal, wer gerade eine Eins würfelt; die Bäckerei gibt uns nur in unserem Zug eine Münze, dafür aber bei einer Zwei oder Drei. Bei vier bis sechs gehen wir leer aus – noch, denn mit unserem Startkapital von drei Münzen und dem Erwürfelten können wir uns weitere Unternehmenskarten kaufen, jeden Zug eine. Diese geben uns wiederum bei weiteren Würfen Einkommen oder Sondereffekte. Manche Karten bringen nur Münzen, wenn wir selbst würfeln, andere bei jedem Wurf oder nur dem der anderen Spieler*innen. Münzen gibt es meistens aus dem Vorrat, aber manche Unternehmen stehlen Münzen von Mitspieler*innen. Diese aus dem zugrunde liegendem Spiel bekannten Karten sind jedoch in der ersten Partie von Machi Koro Legacy noch nicht enthalten.

Die Stadt benannt – fürs Spiel bereit zu Beginn mit den beiden Start-Unternehmen.
Die Stadt benannt – fürs Spiel bereit zu Beginn mit den beiden Start-Unternehmen.

Analog zur Legacy-Variante von Aeon’s End könnte man davon sprechen, dass hier komplexere Elemente dem Grundspiel entnommen wurden, um sie sukzessive einzuführen. Hierdurch wird eine Art Tutorial geschaffen, das den Einstieg ins Spielprinzip erleichtert. Denn eigentlich gibt es vier unterschiedliche Unternehmensarten: Erst werden die roten Karten ausgewertet, durch die man vom aktuell Spielenden Münzen bekommt, wenn die Person noch welche besitzt; dann kommen die allgemeinen Einkommenskarten (blau nur im eigenen Zug, grün in jedem Zug); und zuletzt die violetten, die ebenfalls Münzen der Mitspielenden entwenden, aber im eigenen Zug und nach der allgemeinen Ausschüttung. So würfeln wir jede Runde und kaufen Karten, um – mit etwas Glück – mehr und mehr Reichtum anzuhäufen und weitere Karten kaufen zu können.

Aber wozu das Ganze? Alle haben die gleichen drei Großprojekte, die stets 5, 15 und 25 Münzen kosten und jeweils einen einmaligen oder dauerhaften Sondereffekt bringen. Außerdem gibt es noch das aktuelle Gemeinschaftsprojekt, an dem alle mitwirken und das – in der ersten Partie für 20 Münzen – ebenfalls einen Effekt bietet. Wer zuerst diese vier Projekte fertiggestellt hat, hat die Partie gewonnen. Da pro Runde jedoch nur eine Bauaktion zur Verfügung steht, müssen wir uns jedes Mal entscheiden, was wir mit unseren Ressourcen finanzieren wollen: Eins dieser Projekte oder lieber noch eine der jeweils fünf identischen Unternehmenskarten, die das Potential bergen, künftig schneller mehr Geld zu generieren?

Die acht Unternehmen, die man in der ersten Partie erwerben kann.
Die acht Unternehmen, die man in der ersten Partie erwerben kann.

Der Hochofen, also das günstigste Großprojekt der ersten Partie für fünf Münzen, erlaubt es, sich zu entscheiden, ob man einen oder alternativ zwei Würfel werfen möchte. Das hat natürlich erst dann Sinn, wenn man andere Unternehmenskarten gekauft hat, die bei einem Wert von sieben bis zwölf Ertrag bringen. Mit zwei Würfeln hat man keine lineare Verteilung mehr, sondern eine Häufung in der Mitte und Weizenfelder (mit der Eins) werden wertlos, wenn nicht jemand anderes noch mit nur einem Würfel spielt. Das 25er-Projekt erlaubt es, einen kompletten weiteren Zug zu machen, wenn man eine sieben gewürfelt hat, was aufgrund der Häufigkeitsverteilung statistisch alle sechs Würfe passiert. Allerdings ist entweder dieses teuerste Großprojekt oder das Gemeinschaftsprojekt meist das letzte, welches gebaut wird. Es steht allerdings immer frei, erst mal auf diese teureren, mächtigeren Unternehmen zu sparen, bevor man die kleineren baut.

Die ersten Unternehmen und der Hochofen sind gebaut – ab jetzt dürfen beide Würfel geworfen werden.
Die ersten Unternehmen und der Hochofen sind gebaut – ab jetzt dürfen beide Würfel geworfen werden.

Aufgrund der beschriebenen Mechaniken steht das Spiel im Spannungsfeld von rouletteartigem Würfelglück und Kaufentscheidungen. Dazu besitzt es ein gewisses Push-your-luck-Element, denn wir können einerseits diversifizieren, um bei möglichst allen Zahlen kleine Gewinne einzufahren,  oder wir spezialisieren uns und kaufen Unternehmen mit besonders guten Synergien. Denn jede Karte trägt ein bestimmtes Symbol, wie z. B. eine Ähre, einen Baum oder ein Zahnrad. Beispielsweise gibt einem die Karte mit der Nummer acht, das Möbelhaus, dann für jedes Zahnrad-Unternehmen drei Münzen im eigenen Zug. Mit entsprechend vielen Möbelhäusern und den dazu passenden Zahnrad-Symbolen von Wäldern (4-5) und Goldminen (7) kann man mit einer glücklich gewürfelten Acht dann schon mal schnell genug Münzen zusammenbekommen, um alle Projekte zu finanzieren und muss dann die nächsten Runden bauen, da ja nur jeweils ein Unternehmen gebaut werden darf. Diese von uns „Ikea“ getaufte Strategie funktioniert natürlich nur, wenn nicht alle direkt diese Karten priorisieren und dann unter sich aufteilen – alternativen Synergie-Unternehmen wie die Markthalle (11-12) werden bedeutend seltener geworfen und bauen auch auf Ährensymbolen auf, die sich z. B. auf den später nutzlosen Weizenfeldern (1) finden und dann bringen sie nur zwei Münzen. Wenn ein glücklicher Wurf gelingt, ist das Spiel oft schnell entschieden und kann für die anderen Spielenden etwas langweilig ausklingen, weil das Ruder – wenn überhaupt – nur noch schwerlich herumzureißen ist. Aber das bestimmt höchstens die letzten zwei bis drei Runden und bei einer Spielzeit von realistisch weniger als einer halben Stunde ist ja noch eine Partie drin und gegebenenfalls weitere.

Viele Karten – viel Chaos: Ein Überblick vom Ende des ersten Spiels.
Viele Karten – viel Chaos: Ein Überblick vom Ende des ersten Spiels.

Ohne die Ereignisse und Regeländerungen der folgenden neun Partien zu spoilern, erkennen geneigte Spieler*innen schnell, dass die Großprojektkarten ein A, B und C tragen, während die Kosten auf dem Spielertableau zu finden sind, auf das sie gelegt werden. Die drei dicken Kartenstapel (sowie das Nicht-Vorhandensein roter und violettfarbener Unternehmen) machen ebenfalls sofort klar, dass es jede Menge weiterer Unternehmen geben wird, die künftig hinzukommen können. Zudem gibt es auf dem Spieltableau einen Marktplatz, auf dem nur zwei von vier Feldern abgehakt sind und ein mysteriöses Gebilde aus Dreiecken vor einem Berghintergrund. Doch vor allem dürfen die für Legacy-Spiele nicht wegzudenkenden sechs geheimnisvollen Kisten nicht fehlen, die im Laufe der Kampagne auf Öffnung warten und neue Spielmechaniken versprechen.

Nach Spiel zehn und ungefähr fünf Stunden Spielzeit hat man ein vollständig spielbares – letztlich irgendwie individualisiertes – Spiel, abhängig von den getroffenen Entscheidungen. Diese ergeben sich allerdings nicht so sehr aus dem Spiel heraus, sondern aus der niedlich-skurrilen Geschichte, die zwischen den Spielen erzählt wird.

Ausstattung

Das Spiel ist in der kallaxtauglichen Standard-Brettspielgröße erschienen, besteht aber primär aus ca. 250 Karten in solider Qualität. Die Stadttableaus sind ordentlich, könnten allerdings ein wenig dicker sein. Die Plastikmünzen machen einen guten Eindruck. Mehr als die Hälfte der Verpackung wird von den sechs mysteriösen Boxen eingenommen. Bei den meisten davon hätte der Inhalt jedoch deutlich üppiger ausfallen können, um die Größe der kleinen wie großen Schachtel zu rechtfertigen. Manches vom Material verspricht allerdings etwas mehr Bedeutung, als es letztlich zu halten vermag.

Die Spielbox wird von den sechs geheimnisvollen Schachteln dominiert – aber müssen die wirklich so groß sein?
Die Spielbox wird von den sechs geheimnisvollen Schachteln dominiert – aber müssen die wirklich so groß sein?

Die harten Fakten:

  • Verlag: Pandasaurus, Asmodee
  • Autor(en): Masao Suganuma (Grundspiel), Rob Daviau, JR Honeycutt
  • Erscheinungsjahr: 2019
  • Sprache: Deutsch
  • Spieldauer: 30 Minuten/Partie, zehn Partien für die Kampagne
  • Spieleranzahl: 2 3 4
  • Alter: 10+
  • Preis: ca. 45 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Bonus/Downloadcontent

Bei Asmodee findet man, wie gewohnt, die Regeln zum Download.

Fazit

Ein solides Grundspiel bearbeitet von Legacy-Erfinder Rob Daviau – mit dieser Grundformel wurden bereits das etwas angestaubte Risiko und das beliebte kooperative Pandemie zu noch spannenderen Erfahrungen. Vor allem für eingefleischte Fans der Grund-Edition bietet Machi Koro Legacy etwas mehr Abwechslung für dieses kurzweilige Spiel. Für Kenner- und Expertenspieler*innen bleibt es jedoch ein Spiel für zwischendurch und im Vergleich mit anderen Legacy-Größen fehlen einige zentrale Aspekte. Letztlich benennen, bemalen, bekleben und zerstören wir nicht so viel, wie wir es bereits aus anderen Spielen – teils spektakulär umgesetzt – gewöhnt sind.  Doch vor allem sind wir nur passive Beobachter einer linearen, wenn auch charmant-absurden, Geschichte, ohne dass unsere Handlungen wirklich Konsequenzen hätten – für die Geschichte oder die weiteren Spielmechaniken.

Ein wenig wirkt es so, als hätte man die Checkliste für Legacy-Elemente als Schablone ans Spiel gehalten und alles abgehakt (manches jedoch nur sehr oberflächlich), außer dem wichtigsten: die bedeutungsvollen Entscheidungen einer sich entfaltenden und aktiv veränderbaren Geschichte.

Die neuen Mechaniken und Karten sind durchaus bereichernd und erlauben, die Strategien ein wenig anzupassen; hierbei irritiert jedoch eine Design-Entscheidung, die Strategien mitten im Spiel durchkreuzen kann. Zudem wurden am Ende die Hälfte unserer Spiele letztlich durch die oben genannte Ikea-Strategie, die bis zum Ende stark bleibt, entschieden. Um Alternativen erforschen zu können, wäre es schön gewesen, wenn es mehrere ähnlich gute Wege zum Ziel gäbe. Doch nur wenige davon bescheren 90 Münzen mit einer eben nicht sehr unwahrscheinlichen Acht. Hier wäre es wünschenswert gewesen, die Balancing-Probleme des Grundspiels anzugehen, statt sie letztlich sogar auszubauen.

Wer aber einmal probeweise mit der Legacy-Idee flirten oder ein paar Casual-Gamer an sie heranführen möchte, findet hier vielleicht genau den richtigen Wurf.

An dieser Stelle wollen wir nicht unerwähnt lassen, dass wir uns der seit Erscheinen des Spiels 2019 vorgebrachten Vorwürfe sexuellen Missbrauchs gegenüber Co-Designer JR Honeycutt bewusst sind. Da sich aber sowohl der Haupt-Autor Rob Daviau als auch der Pandasaurus Verlag explizit von diesem Freelancer distanziert haben, weitere Kooperationen ausschließen und Spenden an Opfer von sexueller Gewalt versprochen haben, haben wir entschieden, dieses Spiel zu rezensieren.

Artikelbilder: © Asmodee
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Jessica Albert
Fotografien: Daniel Hoffmann
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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