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Neben den Held*innen der Spielenden bevölkern die sogenannten Nichtspieler*innencharaktere (NSC) unsere Spielwelten. Ob die Spieler*innen sie mögen oder verachten, sich lange an sie erinnern oder vergessen, liegt an dir als Spielleitung. Sie sind das Salz und Brot eines Rollenspiels. Wie man ihnen Leben einhaucht, erfährst du in diesem Artikel.

Kein Rollenspiel kommt ohne sie aus – die Nichtspieler*innencharaktere (in folgendem Artikel als NSC abgekürzt). Ob sie lange vorbereitet oder aus einem spontanen Impuls geboren sind, ein karikierendes Abziehbild oder eine reine Kopfgeburt deiner Vorstellungskraft, sie sind unschätzbar wichtig, um dein Rollenspiel mit Leben anzufüllen – nicht umsonst ist bei Teilzeithelden schon eine komplette Artikelserie über NSC erschienen, wenn auch im Larp-Bereich. Deine Spieler*innen können sich an ihnen reiben und werden sie hoffentlich lieben (zu hassen). Gleichzeitig sind es diese Charaktere, die du als Spielleitung spielen wirst. Anders als jede*r Spieler*in spielst du nicht nur einen, sondern dutzende bis hunderte Charaktere, oftmals gleichzeitig und in schneller Abfolge. Es lohnt sich also, den ein oder anderen Gedanken vor dem Spielabend an sie aufzuwenden.

Der Nichtspielercharakter – das unbekannte Wesen

Um sich einen NSC gut vorstellen zu können, sollte man sich mehrere Fragen stellen:

  • Was hat der NSC gemacht, bevor die Charaktere der Spieler*innen aufgetaucht sind?
  • Wie verdient sich der NSC sein täglich Brot?
  • In welchen Hierarchien steht der NSC?

 

Jede*r Bewohner*in deiner Spielwelt, ganz egal, welches Setting ihr bespielt, hat (hoffentlich) ein Leben vor dem Treffen mit den SC geführt. Was ändert sich also für den NSC durch die Ankunft der SC? Sind sie die Rettung für ein dringendes Problem des NSC oder sind sie ganz im Gegenteil erst die Ursache für seine Probleme? Was ist die natürliche Reaktion dieses Menschen (oder Orks, oder Elfen, et cetera) auf die Spielergruppe? Wenn du diese Frage beantworten kannst, bist du der Motivation des NSC schon ein gutes Stück näher gerückt.

Die Motivation des NSC muss weder für dich als Spielleitung noch für die Charaktere der Spieler*innen von Anfang an klar sein. NSC wie ein Severus Snape oder Long John Silver sind gerade durch ihre Ambivalenz sehr spannende Charaktere, die sowohl gegen als auch für die Held*innen der Geschichte sein können. Diese Motivation muss nicht von Anfang an feststehen, kann sich sogar – am besten beeinflusst durch die SC – im Laufe der Geschichte ändern. Vermeide allerdings das sich schnell abnutzende Rollenspielklischee des Twists um jeden Preis. Nicht jeder graue NSC benötigt ein Kindheitstrauma, nicht jeder sinistre Charakter muss die Gruppe betrügen und verraten. Solche Aktionen bringen vielleicht einmal eine Überraschung, aber schlimmstenfalls misstrauen die Spieler*innen dann jedem neuen NSC, welchen du ihnen ab diesem Zeitpunkt präsentierst.

Inspiration für deinen NSC

So gut wie jede Quelle taugt als Inspiration für einen guten NSC. Ob es ein Charakter aus einem Film, einem Buch oder ein*e Verwandte*r sein mag, welche*r als Inspirationsquelle für einen NSC herangezogen wird, die Hauptsache ist, dass er*sie in dein Spiel passt. Hab dabei auch nicht zu viel Angst vor bereits bekannten Archetypen oder zu unglaubwürdigen Hintergrundgeschichten. Du wärst überrascht, wie unglaubwürdig historische Figuren sein können. Gleichzeitig sollten sie nicht allzu überladen sein – das gebührt den wahren Held*innen der Geschichte.

Eine weitere Inspirationsquelle für interessante NSC sind Bilder aus der bespielten Epoche. Ob man die Bilder von interessanten Charakteren ausdruckt und den Spieler*innen während der Spielsitzung präsentiert oder sich nur von ihnen inspirieren lässt, ist Geschmackssache.

Grundsätzlich muss man sich bei der Gestaltung eines NSC die folgende Frage stellen:

Ist mein NSC relevant oder nicht?

Selbstverständlich sind alle bespielten Charaktere für das Spiel relevant. Die meisten NSC werden allerdings nur ein-, vielleicht zweimal gebraucht und können dann wieder in das Meer der gesichtslosen Masse zurücktauchen. Für eben jene NSC kann man die Formel gelten lassen:

Adjektiv + Substantiv = NSC für den einfachen Bedarf

Solltest du einen NSC auf die Schnelle benötigen, ist es vollkommen ausreichend, ihm*ihr ein einzelnes Attribut zu verpassen und auf die Spieler loszulassen. Im Laufe des Kontaktes mit den SC und je nachdem, ob sie diesen Charakter wieder anspielen, können weitere Attribute und eine tiefere Geschichte angefügt werden. Wie schon gesagt, NSCs entwickeln vor allem dann einen besonderen Reiz, wenn sich ihre Geschichte mit den SC  entwickelt.

Die aktuelle siebte Edition von Call of Cthulhu hat eine sehr schön übersichtliche Tabelle für schnell erschaffene NSC bereitgestellt, auf welcher etliche Attribute angeboten werden. Durch zufälliges Tippen auf einer solchen Zufallstabelle kann man schon einen würdigen NSC kreieren, mit dem die Spieler*innen interagieren können.

Schon mit wenigen Strichen lässt sich ein neuer NSC gestalten © yayayoyo
Schon mit wenigen Strichen lässt sich ein neuer NSC gestalten © yayayoyo

Wichtige NSC, also solche, welche die Handlung weitertragen sollen, bedürfen schon ein wenig mehr Ausarbeitung. Dies sind die NSC, welche öfters mit den Spieler*innen und ihren Charakteren interagieren sollen. Wie schon im ersten Teil des Artikels angedeutet, sind dies die Leute, an die sich die Charaktere und die Spieler*innen erinnern sollen – der rechtschaffen gute Goblinpaladin, die leichtfüßige Minotaureneinbrecherin, der soykafliebende Chummer oder die schüchterne Katzenhexe … bei manchen Charakteren wünscht man sich als Spielleitung eine gewisse Reaktion der Spieler*innen, sei es Wohlwollen, Abscheu, Vertrauen oder schlicht Neugier. Und wie bei dem meisten, was mit Spieler*innen zu tun hat, kann ich sagen: vergiss es.

Spieler*innen sind in ihren Reaktionen zu deinen NSC kaum im Voraus berechenbar. Das ist auch gut so, denn sonst wäre das Hobby Rollenspiel ja langweilig. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass du als Spielleitung immer eine gewisse Flexibilität mit deinen NSC an den Tag legen solltest. Die Welt sollte auf die Handlungen der Charaktere reagieren, nicht unbedingt andersherum. Natürlich kannst du als Spielleitung Ereignisse geschehen lassen, auf welche die Charaktere und die Spieler*innen in geeigneter und angemessener Weise reagieren sollten – sei aber nicht zu enttäuscht, wenn das nicht der Fall sein sollte und die Spieler*innen sowie ihre Charaktere gekonnt ganze abgeholzte Schonungen an grell lackierten Hinweistafeln ignorieren, um sich lieber mit dem namenlosen Goblindamensandalenhändler anzufreunden, dessen Charakter du noch nicht mal für dich definiert hattest. Glückwunsch, Ol „Stinkefuß“ Bindy ist nun der liebste Freund der Gruppe. Hoffentlich hast du auch Spaß mit ihm (um nur ein stark an den Haaren herbeigezogenes Beispiel aus der Populärkultur der Neunziger zu nehmen).

Das führt uns zum nächsten wichtigen Punkt:

Lass dich überraschen!

Freund oder Feind? Das steht nicht unbedingt von Anfang an fest © stocksnapper
Freund oder Feind? Das steht nicht unbedingt von Anfang an fest © stocksnapper

Wie schon gesagt, NSC entwickeln sich mit deiner Runde. Du kannst zwar für deine NSC Pläne schmieden, und solltest das auch tun – sei aber bereit, diese den Aktionen deiner Spieler*innen flexibel anzupassen. Ja, der heimliche Antagonist wird immer noch den Verrat an der Gruppe planen, und die freundliche Krötenhexe, welche den Charakteren schon das ein oder andere Mal aus dem Sumpf geholfen hat, wird normalerweise nicht ohne guten Grund feindselig werden (was nicht bedeuten muss, dass es nicht einen guten Grund für einen Meinungswechsel gibt, er muss den Spieler*innen und ihren Charakteren allerdings nicht unbedingt bekannt sein oder logisch vorkommen). Die NSC sollten in ihren Motiven und den daraus folgenden Handlungen eine innere Logik und daraus folgende Konsequenz aufweisen.

Vermeide das Verschleißen von freundlichen und hilfsbereiten NSC als plötzliche Verräter*innen für einen billigen Effekt, das nutzt sich schnell ab. Ein gut aufgebauter und vorbereiteter Antagonist ist da schon eine ganz andere Herausforderung. Vielleicht haben die Charaktere etwas getan, das Folgen für sie hat? Ein besiegter Bösewicht kann Verwandte oder Freund*innen haben, welche sich an der Gruppe rächen und sich ihr deswegen anschließen möchten. Vielleicht tut der NSC nur anfangs freundlich, weil er eine Übermacht der Gruppe sieht und lieber heimlich gegen sie vorgehen möchte?

Wie bringe ich meine Spieler*innen dazu, mit diesem NSC zu interagieren?

Dies ist der bei weitem schwierigste Teil. Du hast einen interessanten NSC mit einem ausgefeilten Hintergrund und einer überlegten Motivation erschaffen, kannst dich in diesen Charakter hineinfühlen und magst ihn. Dann kommt es zu einer Begegnung mit der Gruppe und sie ignorieren ihn.

Lass dich davon nicht unterkriegen. Im Gegenteil, der Großteil der Spieler*innen weiß sehr wohl, wie viel Mühe du dir gibst, eine interessante Welt zu gestalten, und die NSC gehören dazu. Deswegen werden die allermeisten Spieler*innen gerne bereit sein, mit deinen NSC zu interagieren (es braucht dazu auch keine grell leuchtenden Ruf- oder Fragezeichen über ihren Köpfen).

Wenn die Spieler*innen partout nicht beim ersten Mal auf einen NSC anspringen mögen, lass ihn ein weiteres Mal auftreten. Auch ein sanfter Wink aus der Spielwelt („diese Information findet ihr bei Madame Eva“. „Die besten Waffendeals findet ihr beim Roten Iwan“ et cetera) können Wunder wirken.

Es gibt mehrere gute Gründe, warum die Charaktere der Spieler*innengruppe mit NSC interagieren. Wenn man Antagonist*innen einmal außen vorlässt, bleiben vor allem zwei Gruppen übrig: NSC als Questgeber*innen und als Helfer*innen während der Abenteuer.

Die Questgeber*innen sind recht einfach abgehandelt, schließlich wollen die Spieler*innen etwas von ihnen und werden sie von allein aufsuchen. Ob die Auftraggeber*innen der Gruppe rechtschaffen, loyal oder hinterlistige Betrüger*innen sind, musst du ja nicht gleich zu Beginn ihrer Existenz festlegen. Der Mr.  Johnson, der seine Crew aus Shadowrunnern als verschleißbaren Abschreibeposten ansieht, ist nicht umsonst mittlerweile ein Klischee geworden (was nicht bedeuten muss, dass sich aus einem Konflikt zwischen Questgeber*innen und Gruppe nicht wieder schönes Rollenspiel ergeben kann). Solange du deinem Questgeber*innen eine brauchbare Motivation mit auf den Weg gibst, kann nicht so viel schiefgehen.

NSC, die als Expert*innen ihres Faches die Gruppe während ihrer Abenteuer begleiten, sind eine andere Sache: Sie werden voraussichtlich eine lange Zeit mit der Gruppe unterwegs sein und dabei mit den Charakteren interagieren. Gerade bei dieser Gruppe lohnt es sich, ein paar Gedanken zu ihren Motiven, Vorlieben und Eigenheiten zu bedenken. Diese Handlanger*innen sollten in ihrem speziellen Feld durchaus kompetent sein, aber den Held*innen gleichzeitig nicht den Rang ablaufen, dass sie für jedes Problem zur Lösung herangezogen werden. Egal, wie kompetent sich die angeheuerten Kämpfer*innen, Dieb*innen oder Magier*innen auch fühlen, sie haben einen Überlebensinstinkt und werden der Gruppe bei zu offensichtlicher Ausnutzung als Schutzschild oder Fallendetektor wahrscheinlich schnell den Rücken kehren.

Widersteh der Versuchung, deine NSC zu erfahren oder in zu vielen Feldern kompetent zu gestalten. Das nimmt nur Spielzeit von den wahren Held*innen der Geschichte weg. Aktionen, bei denen die NSC allein unterwegs sind, können erzählerisch abgehandelt werden (oder erst dann zur Sprache kommen, wenn sie wieder mit der Gruppe vereint sind). Vermeide, dass deine NSC zur Mary Sue werden.

Zusammenfassung

Um einen interessanten NSC zu gestalten, lassen sich folgende Tipps komprimieren: Lass dich ruhig von einem interessanten Vorbild inspirieren und füg eine eigene Note hinzu. Lass es zu, dass die SC das Schicksal des NSC beeinflussen. Lass es mal geschehen, dass den NSC etwas Schlechtes widerfährt und sie ihre Ziele nicht erreichen – die SC sind schließlich die Held*innen der Geschichte. Verhindere nach Möglichkeit, dass die Spieler*innen deine NSC als Allzwecklösungsmittel für alles verwenden – du kannst ihnen durch die NSC helfen, aber das Abenteuer sollten schon die Spieler*innen lösen.

NSC sind das Salz und Brot der Spielwelt. Ohne sie hätten die Spieler*innen niemanden, für oder gegen die sie Held*innen sein können. Und das ist schließlich das Ziel von Rollenspiel – eine Geschichte von Held*innen zu erzählen. Mit den nicht ganz so bekannten Charakteren, denen sie auf dieser Reise begegnet sind.

Viel Spaß mit deinen NSC.

Artikelbilder: depositphotos © wie gekennzeichnet
Titelbild: depositphotos © interactimages

Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Rick Davids

5 Kommentare

  1. Hallo Johannes,
    Danke für die nützliche Anleitung.
    Ich habe noch einen Tipp, was der/die Leitende machen kann um einen NSC zu erschaffen: Fragt die Spielenden. Was wünschen sie sich? Haben sie Ideen, Tipps oder Anregungen?
    Rollenspiel ist am Ende immer ein Dialog. Da beziehe ich meine Spielenden gerne in der Planung von Abenteuern und auch NSC mit ein.

  2. Hm, ich habe zwar fast alles von Cthulhu 7.Ed, aber einen „NSC-Generator“ hab ich jetzt nicht gefunden. Und wie kommt der Autor auf „5. Edition“? Schreibfehler?

  3. Servus Mika,

    Danke ebenfalls. Du hast natürlich recht, dass man mit seinen Spieler*innen sprechen soll. Und gerade in der Interaktion zwischen SC und NSC, also dem Dialog, formen sich die besten Geschichten. Allzu sehr gemeinsam im Voraus planen möchte ich persönlich aber dann doch nicht, da ich gerne Pläne und Ideen spontan umgestalte. Da zu viel zu sehr im Vorhinein festlegen würde ich eher ungerne machen.

    Servus Michael,

    Danke für das Aufzeigen einer Unachtsamkeit. Die aktuelle Edition von Call of Cthulhu ist tatsächlich die 7. und nicht die 5., mein Fehler. Wir werden das im Text natürlich ändern. Die Tabelle mit möglichen Charaktereigenschaften findest du im Investigatorenkompendium auf Seite 31 und folgend, meiner Ansicht nach eine essentielle Erweiterung des Grundregelbuches.

    • Danke für die Antwort! In das Investigatorenkompedium hab ich natülich nicht reingeschaut, das war für mich bisher immer „Spielerhandbuch“ :-) Da kuck ich doch gleich mal nach!

  4. Erstklassige Infos. NSCs zu generieren ist stets eine schwere Aufgabe, da sie sich zum einen ins Abenteuer einpassen sollen und zum anderen auch gegenüber der Helden entsprechende Aufgaben zu erfüllen haben.
    Oftmals wachsen NSCs ingame und bekommen nach und nach weitere Charakterzüge.
    Wenn ich ein Abenteuer vorbereite, kommen auch schonmal Story-Telling-Würfel zum Einsatz – das hilft die Kreativität zu beflügeln. :)

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