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Neue Charaktere können im Flug durch einige Würfelwürfe erschaffen oder liebevoll zusammengestellt werden. Sie können aus ihren Werten entstehen, durch Charakterzüge gebildet oder von der Hintergrundgeschichte geformt werden. Die Vorstellung von ihnen wird durch Charakterbilder und -darstellungen gefestigt – doch wie wählt man diese aus?

Charaktere suchen sich ihren eigenen Weg, wenn sie erstmal erstellt wurden. Im Laufe einer Kampagne oder sogar nur eines One-Shots entwickeln sie sich von dem, was man ursprünglich geplant hatte, zu etwas eigenem. Den Startpunkt definieren die Spieler*innen aber mit einigen Konstanten, die sich selten ändern: darunter der Name und das Aussehen.

Welche Kriterien man dabei anlegt, ist ebenso unterschiedlich wie die Art und Weise der Darstellung. Das Aussehen eines Charakters kann sich natürlich ergeben oder ganz gezielt gewählt werden, wo die Reise losgeht, weiß man manchmal gar nicht so genau. Nicht alle Rollenspielenden hat die Muse geküsst, und so greifen viele auf Darstellungen kreativer Kunstschaffender zurück. Besonders geliebte Charaktere lässt man sich vielleicht sogar als Auftragsarbeit zeichnen. Es gibt hierbei kein Richtig oder Falsch, sondern nur verschiedene Ansätze, die alle ihre Berechtigung haben.

Wie wähle ich aus?

Zur Charaktererstellung gehören viele Aspekte, je nach System sind einige relevanter als andere. Bei Shadowrun oder Pathfinder sind Attribute wesentlich wichtiger als bei erzählorientierten Spielen wie Tales from the Loop oder Mythos World. Für das Aussehen sind aber körperliche Attribute in einem gewissen Maße relevant: Ein Elf mit hoher Geschicklichkeit und geringer Stärke wird nicht wie ein spitzohriger Jason Momoa aussehen, sondern eher wie Keanu Reeves. Wie intelligent jemand ist, sieht man meistens nicht auf Anhieb.

Die Wahl des Charakterbildes sollte wohlüberlegt sein. © pablocalvog
Die Wahl des Charakterbildes sollte wohlüberlegt sein. ©pablocalvog

Das Aussehen eines Charakters hilft dabei, diesem Leben einzuhauchen und das Gesamtbild zu schärfen. Auch die Mitspieler*innen können sich mit Hilfe eines Bildes den Charakter leichter vorstellen, als wenn er lediglich beschrieben wird. Oder wie es Legolas zu Gimli vor der Schlacht bei Helms Klamm sagte: „Nun, ich könnte es dir beschreiben – oder soll ich dir eine Kiste besorgen?“ Die Ansätze sind so unterschiedlich wie die Charaktere, einige Möglichkeiten sollen hier genannt werden.

Die Idee formt das Gesicht

Ein Charakter kann sein Aussehen schon erhalten, bevor die Charaktererstellung überhaupt begonnen hat. Ein generelles Konzept, die Weltanschauung und Charakterzüge können so herausgearbeitet sein, dass man ein klares Bild vor Augen hat. Oft tritt das auf, wenn die Vorstellung vom Charakter, diese Idee davon, wie er sein und handeln soll, auf einer Vorlage basiert.

Onkel Iroh © Nickelodeon
Onkel Iroh aus Avatar: The Last Airbender bietet eine reichhaltige Vorlage für eigene Charaktere. ©Nickelodeon

Onkel Iroh aus Avatar: The Last Airbender wäre dafür ein gutes Beispiel. Trauer und Verlust prägen den mächtigen und klugen, aber gealterten Krieger; sein Antrieb ist die Liebe zu seinem Neffen, und sein innerster Wunsch, dass dieser Frieden finden kann. Außerdem liebt er das Spiel Pai Sho, Tee und Essen. Wenn man die Serie und Onkel Iroh kennt, kann im passenden Setting, wie zum Beispiel Legend of the Five Rings, eine spannende Charakteridee daraus entstehen. Doch wird dieser Charakter niemals jung sein können oder allzu schlank, er benötigt einen gewissen Witz und den Hang zum Spielen. Der Charakter wird also durch die Vorlage auch visuell geformt.

Inspirationsquelle Bild

So manche Charakteridee entsteht aus einer ansprechenden Illustration, einem Porträt oder einer anderen Darstellung. Auch Film- und Comicfiguren können als Vorlage dienen. Es geht entweder um das direkte Aussehen oder die erweiterte Ästhetik des Bildes. Wie auch die Idee Grundlage für ein Charakteraussehen sein kann, ist das Vorlagenbild vor der Festlegung von Werten und spielweltrelevanten Eigenschaften ein prägender Faktor. Wählt man diesen Weg, nutzt man die Kreativität der Künstler*innen und macht daraus etwas Neues und Eigenes.

Die Ästhetik eines Bildes kann Grundlage eines Charakters werden © bruniewska
Die Ästhetik eines Bildes kann Grundlage eines Charakters werden. ©bruniewska
Chrisjen Avasarala aus der Serie The Expanse ©Amazon Inc
Chrisjen Avasarala aus der Serie The Expanse ©Amazon.com, Inc.

Chrisjen Avasarala aus The Expanse, gespielt von Shohreh Aghdashloo, könnte beispielsweise eine großartige Inspiration für ein Face in Shadowrun sein: eine ältere Frau mit hohen Zielen und Idealen, aber nachvollziehbaren Problemen, die das Herz am rechten Fleck hat und den Fluch zur rechten Zeit. Man benötigt keine Kenntnis der Serie, um anhand eines Bildes zu sehen, wer diese Frau ist, und dass sich daraus ein fantastischer Charakter bauen lässt. Die Schauspielerin verkörpert Würde und Ernsthaftigkeit mit Eleganz, aber man sieht ihr auch Erfahrung und Sorge an.

Diese Methode ist auch gut von der Spielleitung auf NSC anwendbar, wenn man diese für die Spieler*innen ansprechend gestalten möchte. Interessante Bilder sorgen für interessante NSC. Gerade am digitalen Spieltisch sind visuelle Elemente wichtig und hilfreich. So kann eine Narbe oder der verschmitzte Blick auf dem Bild Anlass für eine Geschichte sein, die die Charaktere erkunden wollen und so eine Beziehung zu dem NSC aufbauen.

Attribute und Eigenschaften als Leitstern

In vielen Regelbüchern steht die Wahl des Aussehens am Ende der Charaktererstellung. Alle Attribute sind verteilt, die Klasse oder Rolle in der Gruppe gewählt und Fertigkeitspunkte ausgegeben. Sobald der Crunch steht, beginnt man, sich mit der Hintergrundgeschichte auseinanderzusetzen, einen Namen zu wählen und das Aussehen festzulegen. Auch Verbindungen unter den Spieler*innen oder zu NSC legt man dann fest.

Je wichtiger die Attribute in einem System sind, desto mehr haben sie Einfluss auf das Aussehen. Muskelbepackte Krieger*innen wollen natürlich anders dargestellt sein als schmächtige Spruchschleudern. Wichtig hierbei ist die eingehend erwähnte Unterteilung in körperliche und geistige Attribute. Ein leicht dümmlicher Blick kann sich noch finden und einflechten lassen, aber wie soll Willenskraft in einem Bild dargestellt werden?

Die interessanteste Diskussion könnte man hier um das Attribut Charisma führen, das oft mit körperlicher Attraktivität gleichgesetzt wird. Dabei ist Charisma doch so viel mehr und kann sich ebenso in Wortgewandtheit oder einem sicheren Auftreten äußern. Das heißt nicht, dass charismatische Charaktere nicht hübsch sein dürfen, das heißt nur, dass sie nicht hübsch sein müssen.

Geboren aus der Geschichte

Was der Charakter erlebt hat, prägt ihn auch in seinem Aussehen © Alekksall
Was der Charakter erlebt hat, prägt ihn auch in seinem Aussehen. ©Alekksall

Nicht alle Rollenspielenden mögen es, sich eine ausufernde Hintergrundgeschichte für ihre Charaktere auszudenken, und manchmal entsteht sie erst während des Spiels.

Hat man jedoch Freude daran, die Vergangenheit des Charakters auszuarbeiten, wird sich das zwangsläufig auf dessen Aussehen auswirken.

Das verlorene Duell in der Jugend könnte einen Arm gekostet haben, oder die Vergangenheit zwang den Charakter zu einer Typveränderung, sodass nun rote statt brauner Haare das Haupt schmücken.

Während des Schreibens der Geschichte entsteht ein Bild im Kopf des*der Spielenden, und so erschafft sie das Aussehen von ganz allein mit.

Für den Effekt gewählt

Die Artikelidee entstand während eines D&D-One-Shots, als unser Redakteur Johannes Haslhofer noch ein Bild für seinen Goblin in Ravnica suchte und die Wahl mit dem Titelzitat dieses Artikels beschloss: „Du bist hässlicher, dich nehm‘ ich!“

Eine wichtige Lektion als SL ist es, dass man NSC besondere Merkmale verpasst: ein trübes Auge, ein Humpeln oder der extravagante und alberne Hut, den er immer mit sich herumträgt. Dadurch bleiben NSC besser in Erinnerung, und auch SC können durch solche Elemente prägnanter gestaltet werden. Diese Technik sollte mit Bedacht gewählt und eingesetzt werden, denn ein Paradiesvogel könnte schnell anstrengend für die Mitspieler*innen werden.

Richtig eingesetzt macht man Charaktere damit aber sehr interessant. Vielleicht ist die Magierin etwas jungenhaft, oder ein Runner kleidet sich absichtlich schäbig, um seiner Konzernvergangenheit zu entfliehen. Ein Zwerg ist umso spannender, wenn er entgegen unserer Erwartungshaltung keinen Bart trägt, und der hässlichste Goblin ist ebenso Gesprächsthema unter den Leuten wie der schönste.

Veränderungen

Charaktere verändern sich im Laufe der Zeit: Es kommen Narben hinzu oder Gliedmaßen gehen verloren, manchmal ändert sich sogar die Rasse durch einen Zauber. Während der Geschichte können sich besondere Merkmale ändern oder neue hinzukommen. Dies sollte immer in die Geschichte eingebunden werden, denn es wäre schade, wenn so etwas unter den (Rollenspiel-)Tisch fällt.

Veränderungen sind spannend und sollten immer im Spiel berücksichtigt werden. Ein Korobokuru, das sind japanische Zwerge in Shadowrun, die am ganzen Körper behaart sind, der durch einen Unfall mit einem Flammenwerfer auf einmal wie eine rasierte Katze aussieht, durchlebt eine starke Veränderung. Warum also nicht darauf eingehen und die Darstellung anpassen? Selbst, wenn eine Veränderung nicht dauerhaft ist, macht es Spaß, sie darzustellen und ins Spiel zu integrieren.

Zeichnen oder stöbern?

Linnrien will alles genau wissen. Sie fragt nach ihrer Ankunft in Valinor, ob Finarfin Schlangen mag. ©Collecosplay
Linnrien will alles genau wissen. Sie fragt nach ihrer Ankunft in Valinor, ob Finarfin Schlangen mag. ©Collecosplay

Es gibt viele begabte Menschen, die zeichnen können, in der Rollenspielszene und darüber hinaus. Mit Hingabe entstehen dann Charakterbilder voller Details, die sehr genau die Vorstellung der*des Spielenden wiedergeben. Kommen noch ein bisschen Glück und Zeit dazu, hat bald eine ganze Gruppe wunderbare Charakterbilder. Man sollte dabei immer bedenken, wie viel Aufwand so ein Bild machen kann und dass es in der Regel nicht mal eben zwischen Tür und Angel entsteht. Nur weil jemand zeichnen kann, heißt das nicht, dass diese Person das auch immer will, und schon gar nicht, dass sie es muss. Umso dankbarer sollte man für Zeichnungen sein.

Da nicht alle von der Muse geküsst sind, suchen die meisten Menschen sich ihre Charakterbilder inzwischen aus dem Internet, wenn die Darstellungen aus den Regelwerken nicht ausreichen. Beliebte Quellen sind hierbei Pinterest, Flickr oder DeviantArt. Dort sucht man sich aus einer Vielzahl an Bildern diejenigen aus, die einem zusagen. Für den privaten Gebrauch ist das kein Problem, aber dennoch sollte man immer darauf achten, die Künstler*innen zu nennen, um ihr geistiges Eigentum zu schützen. Von Veröffentlichungen ist natürlich abzusehen.

Es gibt auch einige Generatoren im Netz, die sich gerade für NSC gut eignen. DMHeroes ist ein Generator, mit dem man schnell Fantasy-Charakterbilder erhält. Sie sind generisch und ihre Anzahl begrenzt, doch macht es den Generator dadurch nicht weniger praktisch. Es gibt sogar Verknüpfungen untereinander, die mitgeneriert werden.

Bei HeroForge kann man sich individuelle Miniaturen anfertigen lassen. Darüber hinaus ist es möglich, die Entwürfe als Charakterbilder zu nutzen. Je nach Setting geht das besser oder schlechter, doch sind die Kombinationsmöglichkeiten recht vielfältig, und für ein bisschen Spaß und Inspiration ist HeroForge eine gute Option.

Nur um Portraits geht es bei ArtBreeder. Die Varianz schwankt zwischen Mangastil und realistischeren Renderbildern. Mit einem Account kann man diese Portraits auch editieren. Für einige Settings finden sich hier sehr passende Gesichter.

iefling Tinurith, Talos-Kleriker und professioneller Vollidiot ©DonKringel
Tiefling Tinurith, Talos-Kleriker und professioneller Vollidiot ©DonKringel

Manchmal sind auch Computerspiele mit ihren Charaktereditoren für das eigene Pen-and-Paper-Charakterbild interessant. Skyrim zum Beispiel bietet sich mit seinen vielen Einstellungsmöglichkeiten und der schönen Grafik durchaus dafür an, einen Charakter darin zu basteln und dann per Screenshot in die Spielwelt am Rollenspieltisch zu holen.

Für die meistgeliebten Charaktere ist die Auftragsarbeit die beste Möglichkeit der Darstellung, wenn man selbst nicht begabt ist. Mit dem*der Künstler*in kann man genau besprechen, was man sich vorstellt, durch vorhandene Arbeiten ist der Stil im Vorfeld klar und das Ergebnis kann sich immer sehen lassen. Selbst weit nach Ende einer Runde hat man so noch Freude an dem Charakter. Die Kosten wirken für manche im ersten Moment recht hoch, doch sind sie in der Regel mehr als gerechtfertigt. Auch hier gilt, dass man die Arbeit, Erfahrung und Zeit, die in die Bilder gesteckt werden, zu schätzen wissen muss – auch mit einer angemessenen Bezahlung.

Fazit

Charaktere machen das Rollenspiel, sie beleben die Welt und die Interaktion mit ihnen ist das Salz in der Suppe des Spielabends. Jede*r hat eigene Vorstellungen davon, was wichtig ist, wenn man einen Charakter erstellt, doch das Aussehen spielt dabei in der Regel eine wichtige Rolle. Es hilft nicht nur einem selbst, sondern auch den anderen am Spieltisch, eine bessere Vorstellung des Charakters zu erhalten.

Rochanar ist ein junger Waldelb, den es juckt, mehr von Mittelerde zu sehen. Schließt gerne Freundschaften und schießt gerne Pfeile. ©Collecosplay
Rochanar ist ein junger Waldelb, den es juckt, mehr von Mittelerde zu sehen. Schließt gerne Freundschaften und schießt gerne Pfeile. ©Collecosplay

Wie man ein Bild für wichtige NSC oder den geliebten eigenen Charakter auswählt, ist dabei ganz unterschiedlich: Man kann die Werte und Rolle des Charakters in der Gruppe für sich sprechen lassen oder mit einer Vorlage aus einem ganz anderen Kontext arbeiten. Für einige Charaktere ist die Geschichte so prägend, dass ihre Auswirkungen visuell wiedergegeben werden sollten, und auch Veränderungen können ein Charakterbild im Laufe der Zeit aktualisieren.

Wenn man sich im Klaren darüber ist, wie man die Visualisierung des Charakters angeht, stellt sich die Frage, welche Art der Darstellung die richtige ist. Von eigenen Zeichnungen, über Galerien und Generatoren bis hin zu ausgefeilten Zeichnungen hauptberuflicher Künstler*innen ist die Spanne dabei sehr groß. Hierbei gilt, dass vieles geht, aber der Respekt vor der Kunst anderer immer gewahrt sein sollte.

Die Auswahl eines Charakterbildes macht viel Freude und kann den gespielten Charakter maßgeblich beeinflussen. Wenn man den Spaß daran noch nicht entdeckt hat, lohnt sich ein Blick in die Welt der Gesichter!

Artikelbilder: © Wie in der Bildunterschrift angegeben.
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Rick Davids

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