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Wer will nach dem zweiten Corona-Sommer nicht endlich das nächste Con oder den nächsten Mittelaltermarkt in der großen Gruppe planen? Essentiell dafür ist natürlich die Lagerküche! Das reich illustriert neu aufgelegte Wikingerkochbuch enthält Rezepte sowie Küchentipps für Larper*innen und alle Fans des Frühmittelalters.

Schon das zweite Jahr verzichten wir nun auf Larp-Großcons sowie größere Mittelaltermärkte und Living-History-Veranstaltungen. Viele kleinere Veranstaltungen wurden ebenfalls abgesagt oder allenfalls mit 1,5m Abstand und Hygienekonzept durchgeführt. Bei aller gebotenen Vorsicht – wen von uns überkommt da nicht die Wehmut? Ein Aspekt des Liverollenspiels, den ich besonders vermisse, ist das gemütliche Zusammensitzen mit gewandeten Gleichgesinnten am Lagerfeuer, mit Met, Musik und ambientigen Leckereien. Das Wikingerkochbuch von Saeta Godetide verspricht, diese Atmosphäre zumindest ein bisschen in die heimische Küche (oder gar ans Lagerfeuer mit dem Lieblingsmenschen) zu übertragen und Ideen für die nächste große Saison zu liefern. Ich habe diese Versprechung, soweit es unter social-distancing Bedingungen möglich war, für euch getestet.

Lagerküche für Anfänger*innen

Die Wikinger*innen – ein rauhes Volk, das Klöster geplündert, Elche gejagt und diese dann gebraten und mit reichlich Met heruntergespült hat. So oder so ähnlich ist das Klischee. Beim Begriff „Frühmittelalter“, der zeitlich etwa die gleiche Epoche wie die hohe Zeit der skandinavischen Seeräuber*innen beschreibt, denken die meisten dafür eher an Haferbrei und Gemüsesuppe. Ganz trifft es das allerdings beides nicht. Zwar stand Met bei den frühmittelalterlichen Bewohner*innen Skandinaviens durchaus auf dem Menü, ebenso wie gejagtes Wild und Haferbrei, doch die Küche hatte weit mehr zu bieten.

Saeta Godetides Wikingerkochbuch beginnt mit einer Einführung in das Leben in Nordeuropa zwischen dem Zerfall des weströmischen Reiches und der Schlacht bei Hastings 1066. Von dem, was wir aus schriftlichen und archäologischen Quellen sicher über die Ernährungsgewohnheiten der Menschen im Frühmittelalter wissen – reichlich wenig – leitet die Autorin über zu dem, was Fans von Liverollenspiel oder Reenactment daraus machen können: plausible Theorien erstellen, nachkochen und ausprobieren, was einem schmeckt. Zum Glück hat sie Letzteres in zwei Jahrzehnten Mittelaltermarkt-Erfahrung schon erledigt, sodass die Lesenden sich nur noch ihre Lieblingsrezepte aussuchen müssen. Eines sei schon vorweggennomen: Ja, sowohl Met als auch Hafergrütze und sogar Elchbraten kommen darin vor.

Die Zielgruppe des Buches sind zwar eher Fans des historischen Reenactments als des Liverollenspiels, aber die Überschneidungen im Lagerleben sind deutlich. Sie zeigen sich besonders in dem Ziel, möglichst keine modernen Campingutensilien oder Konservendosen auf dem Tisch haben zu wollen – was den einen Authentizität bedeutet, ist den anderen die Immersion. Ein weiterer Berührungspunkt ist die Tatsache, dass oft nur ein einziger Topf auf offenem Feuer zur Verfügung steht, um alle satt zu bekommen. Insofern ist das Buch auch eindeutig für Larper*innen geeignet, denn die meisten Rezepte sind auf 10-15 Personen ausgelegt und in einem Topf zu kochen. Besonders nützlich für Neulinge oder Gruppen, die zum ersten Mal eine gemeinsame Lagerküche zusammenstellen, sind die Einführung in die essentiellen Utensilien, die dafür gebraucht werden und die Tipps für die Pflege und Organisation der mobilen mittelalterlichen Küche. Es bleibt ein wenig schleierhaft, warum, wenn all diese Tipps am Anfang des Buches stehen, die Einkaufsliste auf die letzte Seite verbannt wurde. Sonst ist aber in diesen Kapiteln viel Nützliches zu finden.

Die Küche des Frühmittelalters – gar nicht so langweilig

Der Rezeptteil des Buches ist in Suppen, Beilagen, vegetarische Gerichte, Fleisch, Fisch und Süßspeisen unterteilt – mit einem Zusatzkapitel, das einige traditionelle skandinavische Spezialitäten für kulinarisch besonders Abenteuerlustige enthält. Besonders positiv fällt auf, dass im Gegensatz zu den meisten Mittelalter-Kochbüchern nicht so gut wie alle Gerichte auf Fleisch basieren. Dieser Umstand stört nämlich nicht nur Vegetarier*innen, sondern ist bei mehrtägigen Zeltcons auch unpraktisch, da Fleisch nur unzureichend gekühlt werden kann und daher bald ein Eigenleben entwickelt. Ähnliches gilt für Milch, Sahne, Eier und Co. Ganz in diesem Sinne – und auch weil Fleisch im Frühmittelalter natürlich nicht jederzeit im Überfluss zur Verfügung stand – ist das Buch mit vegetarischen Gerichten gut ausgestattet. Einige sind sogar vegan, oder können es werden, wenn man Honig oder Met gegen ein weniger authentisches Süßungsmittel austauscht. Viele der Gerichte mit oder ohne Fleisch sind zudem glutenfrei zuzubereiten.

Der Schwierigkeitsgrad der Rezepte variiert: viele sind auch für Anfänger*innen problemlos machbar, andere brauchen mehr Übung in der Küche. Mit Zeitangaben nimmt das Buch es nicht so genau, wohl wissend, dass über offenem Feuer und je nachdem, für wie viele gekocht wird, der Zeitaufwand variieren kann. Die Autorin empfiehlt, in der heimischen Küche auszuprobieren, was einem schmeckt und dann erst für das nächste Lager zu planen. Da die Großcons auch für diesen Sommer abgesagt wurden, bleibt dafür wohl noch Zeit.

Selbstverständlich habe ich ein paar der Rezepte (mit Unterstützung von Freund*innen und dem Lieblingsmenschen) selbst in der Küche ausprobiert. Zum Test am Lagerfeuer kam es leider noch nicht. Die Mengen mussten auf die kleinere Personenzahl heruntergerechnet werden, das ist bei den klaren Angaben aber kein Problem. Das einhellige Urteil zu Hirsebrei, Gemüsespießen, Metgemüse und mit Zitronenmelisse gefüllten Forellen: alles sehr lecker! Besonders die Gemüsespieße überraschen – das Rezept klang fast zu einfach, das Endergebnis war aber erstaunlich schmackhaft. Das Metgemüse schmeckt am besten mit verschiedenen, frischen Gemüsesorten der Saison und eignet sich auf Con daher wohl auch am ehesten in den ersten Tagen. Der Hirsebrei, im Buch treffend als „der Brei aus dem Märchen“ untertitelt, hat ebenfalls überzeugt. Wer gern zum Conquest of Mythodea geht, dem läuft bei der Vorstellung, diesen mit den berühmten Blaubeeren aus Brokelohe zu garnieren, zu Recht das Wasser im Mund zusammen. Die Forelle kann im Lager etwas schwierig werden, wenn man keine Eisbox dabei hat, ist aber vorzüglich. Am heimischen Herd holt man sich die ganzen Fische von der lokalen Forellenzucht oder vom Fischmarkt, und frische Zitronemelisse aus dem Garten oder im Topf vom Supermarkt. Eine Handvoll Rezepte verwenden auch in Deutschland heimische Wildkräuter, etwa Brennnesseln. Das Sammeln frischer Kräuter ist auf Großcons aus verschiedenen Gründen (gesperrte Bereiche, keine Zeit, Menschen, die sich in Büschen erleichtern) keine so gute Idee, aber bei kleineren Veranstaltungen sicher ein Spaß und gut kompatibel mit der Darstellung von Alchimist*innen, Druid*innen oder ähnlichen Charakterkonzepten. Davon abgesehen sind die meisten Zutaten aber einfach zu bekommen und auch gut im Mittelalterzelt zu lagern. Natürlich gibt es keine Kartoffeln, Tomaten, Paprika oder andere Nachtschattengewächse, die erst mit der Eroberung Südamerikas in Europa Einzug hielten. Was verwendet wird, ist aber im modernen Supermarkt oder zumindest im Bioladen erhältlich.

Schreibstil

Die Rezepte sind gut und allgemeinverständlich erklärt, ohne unnötig historisierende Sprache oder Fachbegriffe, sodass auch auch Neulinge den Anleitungen leicht folgen können. Generell macht der Schreibstil der Autorin Spaß beim Lesen. Wer schon einmal versucht hat, in größerer Gruppe eine Lagerküche zu organisieren, wird bei einigen der Ermahnungen in den Eingangskapiteln zum Schmunzeln kommen. Kurze populärwissenschaftliche Texte zwischen den Kapiteln lockern das Buch mit Informationen zum Leben in der Zeit der Wikinger*innen zusätzlich auf.

Die Autorin

Satea Godetide, das Pseudonym der Autorin, entstammt ihrem langjährigen Engagement in der Wikinger*innen-/bzw. Frühmittelalter-Reenactment-Szene. Der Name „Saeta“ kommt aus dem skandinavischen Sprachraum und bedeutet „die Süße“ – eine Tendenz zum süßen Kochen lässt sich in einigen Rezepten durchaus erahnen. Als Sippenköchin der Reenactment-Gruppe Bernsteinring hat sie Erfahrung darin, im mittelalterlichen Lager viele hungrige Mäuler zufriedenzustellen, und gibt diese im Buch auch weiter. Weitere Fotos teilt sie auch auf ihrer Webseite www.saeta.de.

Erscheinungsbild

Die erste Auflage dieses Kochbuches erschien 2010 und wurde nun vom Zauberfeder Verlag mit komplett überarbeitetem Layout neu aufgelegt. Es hat nun das Zauberfeder-typische quadratische Format und ist durchgehend reich bebildert, hauptsächlich mit von der Autorin selbst gemachten Fotos. Das Cover zeigt drei Gerichte aus dem Innenteil, die zumindest Fleisch- und Fischessenden direkt Lust zum Reinblättern machen. Im Buch erhält fast jedes Rezept eine eigene Doppelseite, jedes Gericht ein appetitanregendes Foto als Illustration. Gerade weil genug Platz gewesen wäre, hätte sich dort ein größerer Schriftgrad zum nebenher in der Küche lesen vielleicht gelohnt. Ansonsten ist das Schriftbild aber gut lesbar. Midgardschlangen und nordische Knotendesigns schmücken das textliche Layout, ohne abzulenken. Auch die Einführungskapitel und die Zwischentexte sind reich mit ambientigen Fotos illustriert.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Zauberfeder Verlag
  • Autorin: Saeta Godetide
  • Erscheinungsdatum: 14.05.2021
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 144
  • ISBN: 978-3-96481-003-8
  • Preis: 19,90 EUR
  • Bezugsquelle: Zauberfeder

Fazit

Das Wikingerkochbuch von Saeta Godetide ist fürs Frühmittelalter-Reenactment geschrieben, eignet sich aber auch sehr gut für die Lagerküche im Larp. Die Küchentipps erleichtern den Einstieg in die Organisation einer ambientigen Gruppenküche. Die Rezepte sind zwar von unterschiedlicher Schwierigkeit, aber viele sind dabei für Anfänger*innen geeignet. Die Auswahl ist groß: Es gibt Hauptgerichte und Suppen mit und ohne Fleisch sowie verschiedene Süßspeisen und Beilagen, allesamt im Lagertopf über offenem Feuer zu kochen, und die Gerichte sind mit dem richtigen Equipment auch für große Gruppen geeignet. Auch wenn die eigenen Charaktere nicht an skandinavische Seeräuber und Schildmaiden angelegt sind, passen die Rezepte zu vielen Larp- und Mittelalter-Gruppen. Und wem schmeckt nicht der Met? Beim Lesen und Ausprobieren kam auf jeden Fall Lust auf die nächste Larp-Saison auf – alles in allem ein empfehlenswertes Produkt!

Für alle, die nach diesem Buch immer noch nicht satt sind, gibt es hier übrigens eine Rezension dreier weiterer Larp-Kochbücher von Teilzeitheldin Laura und hier ein paar einfache Rezepte zum Kochen am Lagerfeuer, zusammengestellt von Teilzeitheld Maximilian.

  • Larp-lagertaugliche Rezepte
  • Abwechslung für verschiedene Vorlieben
  • Tipps für die Lagerküche
 

 

 

Artikelbilder: © Zauberfeder Verlag
Layout und Satz: Annika Lewin
Lektorat: Susanne Stark
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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