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Auf den meisten Cons kommen Säufer vor, auch wenn die wenigsten Spieler beabsichtigen, einen Säufer zu verkörpern, mutieren genug nach Sonnenuntergang dazu. Diese Laiensäufer, selten zu gewinnbringendem Charakterspiel fähig, haben dem Säufer einen bedenklichen Ruf eingebracht. Dem gegenüber steht die Rolle des Säufers, ein das Szenario bereicherndes Spielangebot.

Ebenfalls erschienen in der Serie „Stereotypen im LARP“:

Fällt im Kontext von LARP der Begriff Säufer, dürfte bei den meisten Spielern die Assoziation automatisch in Richtung eines trinkfreudigen Conbesuchers gehen, für den zumindest abends und nachts der Spaß in der Taverne oder am Feuer wichtiger ist, als der Plot oder das sonstige Geschehen.

Und nicht ganz zu Unrecht. Jeder Spieler dürfte in seinem Freundes- und Bekanntenkreis den einen oder anderen Larper haben, der bereits in der prallen Mittagssonne Met, Wein oder Rum ordert und seine Begleiter irritiert anschaut, wenn diese nur Cola trinken. Auch wenn diese Form des Congenusses vollkommen legitim sein kann, so sorgt sie doch für gemütliche Runden voll ausgelassenem Feierns, anstatt Spielangebote zu generieren und den Plot voranzubringen. Da in diesen Runden zudem die Gefahr von OT-Blasen proportional zum Alkoholpegel ansteigt, werden stark trinkende Spieler häufig kritisch gesehen.

Dieser „OT-Säufer“ ist jedoch nicht Gegenstand dieses Artikels. Denn neben ihm gibt es den „IT-Säufer“ und das ist eine andere Spezies. Um ihn wird es in dieser Ausgabe von „Stereotype im LARP“ nun gehen.

Der Säufer: Ein Pöbelspieler

Das Wichtigste zuerst: Der Säufer besteht nicht daraus, möglichst schnell möglichst viel Alkohol in möglichst kurzem Zeitraum in sich hineinzuschütten. Ganz im Gegenteil, wer einen richtig guten Säufer spielen will, sollte komplett nüchtern bleiben.

Die Betonung liegt nämlich darauf, das versoffene Fass ohne Boden nur zu spielen.

Denn der Säufer ist ein Pöbelspieler ohnegleichen. Im Schutze seiner offensichtlichen Unzurechnungsfähigkeit kann er tun und lassen, was er will.

Gesellschaftlich Höherstehende missachten, anrempeln oder gleich beleidigen. Vermeintlich Unbeteiligte spontan lallend in Diskussionen und Konflikte einbeziehen, bei denen sie nur verlieren können. Oder sich demonstrativ auf der Hauptstraße oder mitten in der Taverne schlafen legen, als Säufer kann man alles dies und noch viel mehr tun.

Der durch Alkohol vernebelte Geist ist offensichtlich nicht mehr Herr seiner Sinne. Wer will ihm einen Vorwurf machen? Vermutlich jeder, der das Pech hatte, in seinen Dunstkreis zu geraten. Aber kann es sich ein Paladin wirklich leisten, gemein zu einem Wehrlosen zu sein? Will ein Magier seine geduldig fokussierte thaumaturgische Energie wirklich an solch ein verkommenes Subjekt verschwenden? Meistens lässt man Betrunkene davonkommen, in der inständigen Hoffnung, dass sie sich selbiges auch wirklich machen.

Andere Spieler ungefragt anzupöbeln und zu nerven ist allerdings immer ein zweischneidiges Schwert.

Selbst wenn der Säufer nur Spieler anpöbelt, die er persönlich kennt (was sein Wirken stark einschränkt), muss er immer noch erkennen, ob die Situation das grade hergibt.

Der Säufer muss vorher zumindest erahnen können, ob es für alle Beteiligten lustig ist, wenn ein Besoffener den Tisch abräumt oder alle anwesenden Drachenpriester lautstark fragt, ob Drachen(avatare) als Echsen auch ihren Schwanz abwerfen können, und wenn ja, welchen.

Kurz, der Säufer muss aufmerksam sein und das Gespür für den richtigen Moment haben. Das kann er aber nur, wenn er selbst absolut nüchtern ist. Deshalb entsteht das Paradox, dass der Säufer mit Abstand der nüchternste aller Conteilnehmer sein sollte. Wie beim normalen Pöbelspieler gilt die Grundregel, dass nur der richtig pöbeln kann, der selbst kein echter Pöbler ist.

Narrenfreiheit durch Alkohol

Am häufigsten ist der Säufer für gewöhnlich in oder vor einer Taverne zu finden. Hier ist der Durchfluss an Alkoholika am höchsten und das Auftreten von Alkoholisierten am wahrscheinlichsten. Doch ebenso daheim ist er an jedem anderen Ort, an dem ein Besoffener halbwegs glaubwürdig und zu erwarten ist. Erntefeste, Lagertore, Märkte, Dorfplätze und andere zentrale Plätze mit viel Publikumsverkehr bieten ihm aufgrund ihrer weiten, offenen Flächen das ideale Jagdrevier, um seine Opfer schon von weitem zu erspähen. Zumal es als Ziel auch seinen ganz besonderen Reiz hat, zu sehen, wie der Säufer in Schlangenlinien langsam aber unerbittlich und unaufhaltsam näherkommt.

Abseits von Kneipen und Dorffesten tritt er auch in gehobener Stellung auf. Grade ein Fürstenhof ist nicht vollständig ohne ein trinkfreudiges Mitglieder der adligen Familie.

Ein Leben in gesichertem Luxus ohne sinnvolle Tätigkeit und mit einem weitläufigen Weinkeller sind die idealen Voraussetzungen, um eine ausgiebige Trunksucht zu entwickeln. Während bereits der Dorfsäufer aufgrund seines Verhaltens nur von vereinzelten naiven oder verzweifelten Personen auf sein Alkoholproblem angesprochen wird, kommt beim adligen Trinker sein gesellschaftlicher Rang hinzu. Wer sagt gerne dem eigenen Lehns- oder Grundherren, dass er eine Schande für seinen Stand ist?

Ob diese Tasse Wasser oder Alkohol enthält, weiß nur ihr Besitzer.
Ob diese Tasse Wasser oder Alkohol enthält, weiß nur ihr Besitzer. © Wyvern

So oder so, der Säufer hat einen großen Handlungsspielraum, den andere Charaktere nicht haben. Doch der Preis dafür kann hoch sein. Ein konsequent gespielter Säufer interagiert zwar mit vielen anderen Spielern auf interessante und lustige Art und Weise, aber er sieht sich zahlreichen sozialen Sanktionen ausgesetzt, die weit über das infame Verweigern des nächsten Bechers hinausgehen. Vor allem wird er aus detaillierten Planungen, in Hinblick auf den Plot, oder ähnlichem herausgehalten. Eine Reaktion, die so logisch wie zu erwarten ist.

Dennoch muss sich jeder Spieler, der einen Säufer spielt, dessen bewusst sein. Abends überzeugend Leute anlallen und am nächsten Morgen glaubhaft die Liga der Gerechtigkeit in die Schlacht zu führen, das gelingt nur sehr schwer. Denn ob er nun mittelloser Schluckspecht oder wohlhabender Weinkenner ist, die Trunksucht des Säufers ist immer offensichtlich. Es geht hierbei nicht um ein Laster oder eine Charakterschwäche, die ein ansonsten guter Charakter hat und die er verstecken und bekämpfen muss. Dieser Kampf ist bereits verloren, die Trunksucht ist offensichtlich geworden. Zu allen passenden und unpassenden Zeiten zu trinken ist nicht mehr eine Schwäche des Charakters, es ist der Charakter. Doch das bedeutet noch lange nicht, dass man als Säufer quasi neben der Con herläuft.

Der Säufer auf der Con

Dementsprechend müssen auch die Erwartungen und die Herangehensweise sein, wenn man einen Säufer spielt. Unabhängig von der sozialen Stellung, man spielt in seinem Umfeld immer jemanden, der häufig nicht ernstgenommen und wenig respektiert wird. Das verbaut einige Spielmöglichkeiten, eröffnet aber zahlreiche neue.

Die prestigevollsten Aufgaben werden eher nicht an den vergeben, der sich bei Sonnenaufgang in seinen eigenen Ausscheidungen liegend wiederfindet. Dafür genießt ein Säufer eine sprichwörtliche Narrenfreiheit. Nicht nur, kann er sich Beleidigungen, Annäherungen und Exzentrizitäten leisten, die für andere schwere Konsequenzen hätten. Er genießt auch eine Freiheit, die ansonsten nur Dienerrollen haben. Er kann quasi unbeobachtet, zumindest aber unbeachtet bei wichtigen Treffen und Besprechungen anwesend sein, da er von den meisten als irrelevant abgestempelt wird. Ähnlich Bettlern auf der Straße oder Hausdienern im Salon gelangt er an mehr Informationen als die meisten anderen Charaktere.

© Live Adventure | Lichtlux
© Live Adventure | Lichtlux

So, wie er an seine Informationen gelangt ist, so muss der Säufer auch damit umgehen. Kennt er die Affäre der Königin oder weiß er, dass der Wirt sein Bier panscht, dann wird er dieses Wissen nicht skrupellos und zielstrebig zu seinem Vorteil nutzen. Er kann es versuchen, doch konsequentem Charakterspiel sei Dank, wird er sein Wissen unter Alkoholeinfluss möglichst weitläufig verbreiten. Ein unbedacht gelalltes Wort an der königlichen Tafel oder zu seinen Saufkumpanen, und schon ist er seiner Rolle gerecht geworden und hat obendrein für andere Spiel generiert. Aus dem sich entwickelnden Konflikt wiederum hält er sich heraus, da er seine Bedeutung entweder gar nicht erfasst oder sie ihm komplett egal ist, da sein Horizont lediglich bis zur Schaumkrone in seinem Glas reicht.

Als Katalysator von Konflikten und als durchaus wertvolle Informationsquelle für Spieler, die schnell genug erkennen, wie viel der Säufer unwissentlich weiß, sichert sich ein guter Spieler auf diese Weise seinen festen Platz im Geschehen. Er kann es geradezu genießen, wie alle anderen ihn wahlweise unwissentlich mit Informationen füttern oder ihm verzweifelt welche entlocken wollen.

Anders als Diener und mehr wie Bettler ist der Säufer keine nach oben passive Rolle. Kern seines Wesens ist das Konfliktspiel. Einerseits initiiert er durch gezielt ausgeplauderte Informationen Konflikte zwischen anderen Personen und bringt den Plot voran oder sabotiert ihn. Andererseits beginnt er den sehr persönlichen Konflikt durch unpassendes und aufdringliches Benehmen gerne direkt. Damit er mit seinem Fauxpas immer durchkommt, bedarf es ausreichender Vorbereitung. Ein Säufer, der plötzlich aus dem nichts auftaucht, muss mit harscheren Reaktionen rechnen als „unsere arme Tante Dagmar, die seit dem Tod ihres seligen Mannes immer zu tief ins Glas schaut“. Konsequenz, ein häufig nicht ganz zu Unrecht verpönter Begriff, ist hier der Schlüssel. Der Säufer ist nicht nur dann ein Säufer, wenn es grade lustig ist. Der Säufer säuft sich auch durch alle anderen Szenen einer Con. Sein fehlendes Situationsbewusstsein demonstriert er von Anfang an. Für ihn zählt ab time-in nur das nächste Glas, die nächste Runde. Mit dem Wein in der Hand schlängelt er sich durch den tobenden Sturm der Revolution, ebenso wie er im Saloon bei einer Schießerei unter dem von Kugeln durchsiebten Whiskyfass nicht unbedingt primär Schutz sucht.

Grade für Charaktere, die häufig IT Wein trinken müssen, empfiehlt es sich, diesen OT durch Wasser zu ersetzen. Zumindest wenn sie langfristig spielfähig bleiben wollen.
Grade für Charaktere, die häufig IT Wein trinken müssen, empfiehlt es sich, diesen OT durch Wasser zu ersetzen. Zumindest wenn sie langfristig spielfähig bleiben wollen.© Wyvern

Hier gleicht er einem Jäger auf der Pirsch. Durch Hilflosigkeit wiegt er seine Opfer in vermeintlicher Sicherheit, bis er im richtigen Moment lallend auf sein argloses Opfer stürzt.

Sollte jemand verzweifelt oder wahnwitzig genug sein, um ihm eine wichtige Aufgabe anzuvertrauen, so darf er hier nicht plötzlich wieder seriös und nüchtern werden. Ein kurzzeitiges Aufflackern der abstinenten Persönlichkeit ist selbstverständlich möglich, man darf es allerdings nicht übertreiben.

Säufer bleibt Säufer und handeln auch so. Heimliches Anschleichen oder Infiltrieren gegnerischer Lager kann er gerne versuchen, allerdings sollten ihn dann ein paar im falschen Moment klimpernde Flaschen verraten. Alternativ kann ihm seine eigentliche Aufgabe oder seine Loyalität ganz entfallen, wenn der Feind besseren Alkohol hat. Die Idee, ihn einfach als besoffenen Schwamm, der feindliche Geheimnisse aufsaugt, beim Gegner zu platzieren, mag zwar verlockend wirken, dürfte aber das Denkvermögen des Säufers übersteigen und sollte eher von anderen Spielern kommen. Was dem Säufer die ideale Gelegenheit bietet, seine Freunde mit einer gelallten Aneinanderreihung unwichtiger Kleinigkeiten in den Wahnsinn zu treiben. Denn als der Feind seinen Angriffsplan ausheckte, brachte ihm die Wirtin bedauerlicherweise gerade das nächste Fass.

Kleider machen Leute, Alkohol macht Säufer

Wie bei jeder Rolle ist gutes Spiel nur die eine Hälfte eines glaubwürdigen Charakters. Genauso wichtig sind Kleidung und Munition.

Bei ersterem kann sich unser Hobbyalkoholiker ganz normal an seinem sozialen Stand orientieren. Spielt er einen Dorfsäufer, trägt er gewöhnliche Bauernkleidung. Ist die Rolle die einer alkoholabhängigen Adligen, so trägt diese natürlich teure Kleider und jede Menge Schmuck.

Eines jedoch können oder sollten beide gemeinsam haben. Ihre Kleidung unterschiedet sich von denen ihres Umfelds durch eine ganz bestimmte Art der Vernachlässigung. Alkoholflecken, ein oder zwei Waschgänge, die ausgelassen wurden, zerschlissener Stoff, ausgefranste Ränder und Essensreste, die im Rausch neben dem Mund gelandet sind, erzeugen das glaubhafte Bild einer Person, die etwas neben sich steht und mit einfachsten Aufgaben des Alltags überfordert ist. Je niedriger der Stand, desto glaubhafter wirken auch überzeugend echte Flecken von Erbrochenem (hier bitte unbedingt nur Requisiten benutzen) am Revers. Gerade Letzteres erzeugt beim Gegenüber eine ganz besonders große Motivation, jeglichen näheren Kontakt zu meiden. Weshalb man als Säufer natürlich gezielt ebendiesen sucht. Die Krönung des glaubwürdigen Äußeren kann ein strenger Alkoholgeruch sein. Denn wer hat nicht gerne eine Fahne, die verkündet, wem seine Loyalität gehört? Hier gilt zu bedenken, dass man den Säufer nur spielen soll. Daher empfiehlt es sich, einen Alkoholgeruch nicht durch innere sondern nur äußere Anwendung, etwas im Halsbereich, herbeizuführen.

Wer schon bei Tag die Rumflasche dabei hat, kann leicht in Schwierigkeiten geraten.
Wer schon bei Tag die Rumflasche dabei hat, kann leicht in Schwierigkeiten geraten.© Wyvern

Zweitens, und das ist ebenso wichtig, muss die Munition zum Soldat des Alkoholismus passen, sprich, der Alkohol muss zum Säufer passen: Bier und selbstgebrannter Schnaps für den Dorfsäufer, Wein und Gin für versoffene Adlige, Rum für Seemann und Soldat. Alkohol, gerade in größeren Mengen, hat die unangenehme Eigenart, ziemlich teuer zu sein. Ein ärmlicher Säufer, der den ganzen Tag feinsten Pfälzer Wein trinkt, wird also zurecht Stirnrunzeln hervorrufen. Umgekehrt bleibt auch ein Säufer mit Adelstitel immer noch eine Adliger. Weshalb seine Leberzirrhose selbstverständlich nicht von gewöhnlichem Bier, sondern nur von edlen Getränken ausgelöst wird. Hier jedoch besteht ein etwas größerer Spielraum. Ein extremer adliger Kampfsäufer kann sich durchaus unter der Hand von seinen Dienern mit billigem aber hochprozentigerem Gebräu versorgen lassen. Es sollte nur nicht zu häufig auffliegen.

„Ich spiel das nur“ – Vorsichtsmaßnahmen und unglückliche Missverständnisse

Spielt man glaubwürdig den Säufer, so stößt man schnell auf ein unerwartetes Problem. Nicht jeder Conteilnehmer, jede Orga oder SL erkennen sofort, dass es sich bei ihm um einen guten Spieler handelt. Vorschnelle Urteile und durchaus berechtigte Erfahrungswerte lassen im Zweifelsfall immer auf einen wirklichen Säufer schließen, der die Con jederzeit torpedieren kann.

In diesem Glas kann IT Schnaps sein, aber OT ist es vielleicht nur Wasser. © Wyvern
In diesem Glas kann IT Schnaps sein, aber OT ist es vielleicht nur Wasser. © Wyvern

Um hier Missverständnisse zu vermeiden (die Ausrede: „Ich spiel das ja nur.“ ist nicht so selten), empfiehlt es sich bei kleineren Cons vorher der SL und anderen Spielern Bescheid zu sagen, sowie IT-Möglichkeiten vorzuschlagen, wie echter von gespieltem Alkoholkonsum zu unterscheiden ist. So kann durch Aussagen wie „Der Wodka geht runter wie Wasser.“ ähnlich der „Oh Mutter“-Regel deutlich gemacht werden, dass die Alkoholflasche, die man seit elf Uhr morgens an den Lippen hat, lediglich mit Wasser gefüllt ist. SL und Mitspieler wissen so, dass der Alkoholkonsum nur vorgetäuscht ist und haben jederzeit die Möglichkeit, sich dessen zu versichern, ohne eine OT-Blase aufzureißen.

Auf größeren Cons, bei denen das Spielerverhalten nicht immer direkt durch die SL beobachtet wird und die Anzahl an Mitspieler zu groß ist, um alle darauf hinzuweisen, sollten Säufer sich vorher mit einem kleinen Kreis an Eingeweihten umgeben. Diese können im Zweifelsfall bei Missverständnissen einschreiten. Denn nichts ist ärgerlicher, als wenn man die Rolle so gut spielt, dass man nicht nur aus der Taverne, sondern gleich von der ganzen Con fliegt.

Auch für andere Spieler ist es wichtig, zwischen gespielten und echten Säufern unterscheiden zu können. Denn bei einem wirklichen Besoffenen geht man, durchaus zu Recht, sofort in Abwehrhaltung und verweigert jeden Anspielversuch. Ich denke, jeder, der schon einmal in einer solchen Situation war, stimmt mir zu, dass man lieber ein schönes Spielangebot ausschlägt, als einen stark Alkoholisierten am Hals zu haben. Wie kann ich als Spieler erkennen, welcher welcher ist? Zum einen kann das spielerisch abgeklärt werden, indem man dem näherkommenden Unheil entsprechende Fragen stellt, etwa, ob der Alkohol mal wieder wie Wasser runterging. So hat der Säufer die Möglichkeit, deutlich zu erkennen zu geben, dass er eigentlich nüchtern ist. Ist man sich nicht sicher, ob sein Gegenüber entsprechende Safewörter benutzt, hilft im Notfall eine dezente OT-Frage. Neben dieser direkten Vorgehensweise, die im Zweifelsfall bedauerlicherweise schon einen direkten Kontakt voraussetzt, hilft auch genaue Beobachtungsgabe. Da der Säufer entsprechende Kleidung und Ausrüstung haben sollte, steigt die Wahrscheinlichkeit, einen echten Besoffenen vor sich zu haben, an, wenn dieser seinem optischen Erscheinungsbild nach eigentlich nicht voll mit Rum durch die Taverne fallen sollte.

Dieses Erkenntnismittel leidet zwar darunter, dass es nur funktioniert, solange der Anwender selbst noch halbwegs nüchtern ist und alle Sinne beisammen hat. Andererseits, wenn man zu betrunken ist, um den Säufer zu erkennen, dann wird man sich erstens, garantiert mit dem wirklich besoffenen ohnehin besser verstehen und ist zweitens, sogar umgekehrt die betrunkene Person, die der nüchterne Säufer lieber meiden möchte. Man ist also weniger Beute, als selbst, unbewusst, Jäger.

Drum übe sich in Vorsicht, wer dem Gläsle zugetan sei © bigdan
Drum übe sich in Vorsicht, wer dem Gläsle zugetan sei © bigdan|depositphotos

Fazit

Abschließend bleibt in dieser Ausgabe von „Stereotypen im LARP“ festhalten, dass die Rolle des Säufers wesentlich komplexer und vielversprechender ist, als man im ersten Moment denkt. Vor allem hat sie nichts damit zu tun, die komplette Con trinkend am Tresen oder am Feuer zu verbringen. Ebenso ist es keine Rolle, die automatisch der Spieler mit dem größten Alkoholproblem inne hat, noch der, der keine gute Vorbereitung in die Con investieren will. Ganz im Gegenteil, bei ihr handelt es sich um einen ernstzunehmenden Charakterentwurf, der konsequentes Spiel auch und gerade dann erfordert, wenn die Rolle davon Nachteile hat. Auch muss sie glaubwürdig vorbereitet und passend ins Szenario eingebunden werden.

Der Säufer dient IT dann mehreren Zwecken. Er unterstützt das Ambiente, indem er dafür sorgt, dass nicht jeder Anwesende einen klassischen Rollenspielabenteurer verkörpert. Sein Verhalten provoziert Konflikte im Kleinen, die anderen Spielern die Möglichkeit geben, ihren Charakter scheinen zu lassen. Denn wie man auf den Rempler eines Besoffenen reagiert, zeigt viel vom eigenen Charakter und ein lauter Schrei dabei sichert die Aufmerksamkeit aller für die nächsten fünf Minuten. Durch seine Rolle als wandelnde Informationsquelle befeuert er zudem Konfliktspiel zwischen anderen und kann den Plot voranbringen. Dafür hat der Spieler die Möglichkeit, sich mit sprichwörtlicher Narrenfreiheit zu bewegen und mit vielen anderen Spielern zu interagieren. Wer also schon immer möglichst viel vom Plot mitbekommen wollte, ohne NSC oder Vollzeitploter zu sein, für den bietet es sich an, Säufer zu werden. Auch kann er seine Mitspieler genüsslich das fürchten lehren, wenn diese zu spät merken, wen sie vor sich haben. Das gilt grundlegend, wenn er sie in der Taverne in die Ecke manövriert hat, aber umso mehr, wenn sie ihn grade arglos als Kapitän, Steuermann, Fremdenführer oder ähnliches angeheuert haben.

Bei all dem gilt für Säufer, egal welcher Klasse und Schicht sie angehören, immer die Grundregel, nicht zu vergessen, dass es einen großen Unterschied gibt, zwischen Säufer sein und Säufer spielen.

Denn nur letzteres steigert den Spielspaß von allen.

Artikelbilder: © Wyvern, Drachenfest, Nabil Hanano, bigdan|depositphotos, © Live Adventure | Lichtlux
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Sabrina Plote

1 Kommentar

  1. Ich finde das als Frau selten spielfördernd, denn ich muss immer damit rechnen, dass die weit überwiegend häufig männliche Person real betrunken ist und übergriffig wird, wenn ich sie nicht ignoriere und meide. Das angesprochene „abgeklärte/besprochene“ Spiel habe ich mit besoffenen Charakteren noch nie erlebt. Und zu viele Männer nehmen die „Narrenfreiheit“ gerne als Grund, sich besonders eklig misogyn zu verhalten, da ist bei mir auch jede Immersion weg. („Gespielte“ Misogynie ist für Frauen kein Spiel, sondern nur ätzend.)

    Ich finde es auch sehr schwierig, überhaupt auf den Alkoholkonsum anderer Leute einzugehen. Ich habe es mir bei einer Spielergruppe jahrelang verkniffen genau drauf einzugehen, ich habe bis heute nicht raus, ob die Alkoholexzesse dort alle gespielt waren. Ich habe mal ein paar Andeutungen bekommen, dass das ganze sehr realistisches „Ich sauf mir meine PTSD schön“-Spiel ist – was ich absolut passend fände – aber ich habe immer aus Selbstschutz Abstand gehalten, wenn die für mich von außen einfach nicht unterscheidbaren Flaschen rauskamen.
    Und es ist sehr sehr unangenehm, Leute auf ihren Alkoholkonsum offen anzusprechen, denn gerade wenn es sich DOCH um Alkoholiker handelt, ist die Einsicht regelmäßig viel zu gering. Ich begegne auf dem Larp sehr vielen Alkoholikern. Die ihren Alkoholkonsum für normal und unbedenklich halten. Obwohl sie täglich Schnaps UND andere alkoholische Getränke konsumieren. (und das eben nicht nur auf’m Larp…) Ich habe so immens negative Erfahrungen mit alkoholisierten Leuten auf dem Larp gehabt, dass ich da kein großes Interesse habe, nachzuforschen, weil zu oft die Antwort eben doch ist: leider realer Alkoholiker, und uneinsichtig.

    Mein Fazit: Ich hab noch nie ein Säufer-Konzept erlebt, bei dem ich Interaktionsmöglichkeiten gehabt hätte, die in eine spielfördernde Richtung gingen. Und ich versuche auch nicht, mit Säufern zu interagieren, aus Selbstschutz.

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