Geschätzte Lesezeit: 10 Minuten

In diesem Spiel spielen wir das Leben eines Menschen von der Geburt bis zu seinem Tod. Seine Niederlagen und Siege, Hoffnungen und Ängste werden von uns entschieden. Können wir Sir Brante zu einem glücklichen Leben verhelfen oder stürzen wir ihn und das Arkniansche Imperium ins Unglück? Finden wirs heraus.

Das Setting der Untergang des Arknianschen Imperiums

„You hold the fate of a single man in your hand. You will follow his life from birth to death.

Your choices shall define who Sir Brante will grow up to be. You will decide his personality, social status and what mark he’ll leave on history.

With every step he takes at your behest, Sir Brante’s character will change and evolve. Your decisions will close some doors for him – but open many others.“

Wir starten das Abenteuer am Ende von Sir Brantes Leben.
Wir starten das Abenteuer am Ende von Sir Brantes Leben.

Wir sind Sir Brante, Erbe einer adligen Familie aus dem gesegneten Arknianschen Imperium. Am Ende unserer Tage angelangt, schreiben wir die Erlebnisse unseres vergangenen Lebens in ein Tagebuch.

Was haben wir mit diesem Leben angefangen? Was ist uns widerfahren? Was für ein Mensch waren wir? Waren wir ein Agent des Guten, der Unterdrückung, vielleicht ein Revolutionär? Wie haben wir unsere Familie und Freunde behandelt? Was bereuen wir?

Mit dem Schreiben des Tagebuchs erleben wir unser Leben noch einmal von vorne und spielen Sir Brantes Charakter. Oder besser gesagt, wir beeinflussen all diese Fragen im Spieldurchlauf durch unsere Entscheidungen.

Wir sind ständig mit existenziellen Fragen konfrontiert.
Wir sind ständig mit existenziellen Fragen konfrontiert.

Der Charakter von Sir Brante

Wie schon gesagt, spielen wir immer nur einen einzigen Charakter, nämlich den titelgebenden Sir Brante. Den Vornamen können wir zu Beginn des Spieles frei festlegen. Ebenso müssen wir uns zu Beginn des Spieles entscheiden, ob wir im Falle des Todes das gesamte Spiel oder nur ein Kapitel (Kindheit, Adoleszenz, Jugend, Friede und Revolution sind die Abschnitte von Sir Brantes Leben) wiederholen müssen. Wir legen hier auch fest, ob wir das Ergebnis unserer Entscheidungen vor dem Anklicken der Schaltflächen sehen können. Es wird vom Spiel empfohlen, sich seiner Entscheidungen bewusst zu sein und diese nicht ausblenden zu lassen, aber das wäre doch halb so spaßig, oder?

Das Leben erstreckt sich über fünf Epochen.
Das Leben erstreckt sich über fünf Epochen.

Mit den Entscheidungen, die wir im Laufe der Kindheit und Adoleszenz treffen, formt sich langsam der Charakter von Sir Brante – sind wir aufmerksam, verschlossen, rebellisch? Die ersten Lebensjahre ziehen allzu schnell an uns vorbei, bieten aber dennoch Raum für kleine Abenteuer. So werden wir als einjähriger Säugling von unseren Geschwistern beim Versteckspielen alleine im elterlichen Garten gelassen und müssen uns entscheiden, ob wir einfach sitzenbleiben oder alleine versuchen, nach Hause zu kommen. Oder wir entscheiden, wie wir auf eine ungerechtfertigte Strafe reagieren – unterwürfig, eine Antwort verlangend oder die Schuld auf jemand anderen abwälzend? Meistens haben wir zwei oder drei Antwortmöglichkeiten und werden nach jeder Entscheidung mit einer Veränderung unserer Attribute belohnt.

Das Spielprinzip von The Life and Suffering of Sir Brante

Wie schon gesagt, handelt es sich um eine Geschichte im Stile der Choose-your-own-Adventure-Bücher wie der Invasion der Normannen oder den Fabled Lands. Wir lesen (viel) und entscheiden uns immer wieder für den Pfad, der uns richtig scheint.

Oder auch nicht.

The Life and Suffering of Sir Brante hat eine gemeine Besonderheit, welche dieses Spiel gleichermaßen interessanter wie auch frustrierender macht: Willenskraft. Diese Eigenschaft besagt, wie viel Potenzial, schwierige Entscheidungen zu treffen, wir haben. Wir sammeln diese Willenskraft langsam über Entscheidungen an, welche uns mitunter nicht zusagen – eine Strafe klaglos über uns ergehen lassen oder die eigene Mutter beim Besuch einer Edeldame verleugnen, mit der unser  Großvater unseren Vater verheiraten will… The Life and Suffering of Sir Brante schreibt das Leiden tatsächlich in großen Lettern. Sollten wir mal keine Willenskraft mehr haben, bleiben uns die interessanteren beziehungsweise schwierigeren Entscheidungen verschlossen. Das kann schon mal bedeuten, dass wir eine Freundin nicht davor retten können, von einem Postwagen überfahren zu werden. Aber halb so schlimm, es ist erst ihr erster Tod.

Ihr erster Tod?

Die zweite große Besonderheit dieses Spieles ist die Mechanik, dass jeder Charakter drei mindere Tode sterben kann und erst der vierte Tod endgültig ist. So können wir beispielsweise als sechsjähriger Knabe beim Besuch der neuen potenziellen Braut für unseren Vater darauf hinweisen, dass unsere Mutter eigentlich noch lebt und mit Vater verheiratet ist. Als Reaktion darauf werden wir von unserem standesbewussten Großvater zu Tode geprügelt. Gleich darauf erwachen wir in der Familiengruft, in welche wir gebracht wurden, und hören die Eltern darüber streiten, dass diese Reaktion übertrieben war. Immerhin stimmte selbst Großvater zu, dass es unangemessen war, uns zu erschlagen. Dennoch, unsere Entscheidung hat vielleicht den inneren Zusammenhalt der Familie gestärkt (was ja immer geschieht, wenn der Großvater den Jüngsten zu Tode prügelt…). Dafür verliert die Familie an Ansehen bei den anderen adligen Familien.

Erst der vierte Tod ist endgültig. Das nimmt dem Ganzen viel Schrecken.
Erst der vierte Tod ist endgültig. Das nimmt dem Ganzen viel Schrecken.

Und genau diese Mechanik, dass wir insgesamt dreimal sterben können, mutet angesichts des ernsten Settings seltsam an. Sie nimmt viel Spannung aus dem Spiel. Andererseits wird später im Spiel erklärt, dass die hohen Kleriker der Götter diese Fertigkeit aufgrund ihrer Nähe zum Sakralen nicht haben. Und angesichts des Mechanismus, dass wir Willenskraft ansammeln möchten, sind wir mitunter dazu verleitet, bewusst zu sterben. Was irgendwie nicht zum Ton des Spieles passen will. 

Die Welt von The Life and Suffering of Sir Brante

Das Arkniansche Imperium liegt im Sterben. Es ist ein Inselstaat, dominiert von einem Zweigötterglauben. Die Gesellschaft teilt sich in Adel, Klerus und Gemeine. Der adlige Stand dominiert das gewöhnliche Volk mit großer Brutalität und ist stark bedacht darauf, dass der Pöbel weiß, wo sein Platz ist. Das wird gleich in den ersten Minuten des Spiels deutlich, als wir unsere Familie kennen lernen. Großvater Gregor ist der erste geadelte Brante, ein Adliger des Mantels (die weniger noble Variante neben den Adligen des Schwerts). Sein einziger Sohn Robert hatte die Schwertadlige Amalia El Borne geheiratet, welche jedoch im Kindbett starb. Unser älterer Bruder Stephan ist somit der volladlige Erbe des Hauses, was uns immer wieder ins Bewusstsein gehämmert wird.

Die Familie Brante, (noch) friedlich vereint.
Die Familie Brante, (noch) friedlich vereint.

Wir selbst sind neben unserer Schwester Gloria und dem nach Beginn des Spiels geborenen Nathan nicht von adliger Herkunft, da unsere Mutter Lydia eine Gemeine ist. Dennoch ist es uns immer wieder möglich, ein Recht jenseits unserer Herkunft für uns zu reklamieren, jedoch müssen wir dabei immer mit der abschätzigen und feindlichen Reaktion unserer Umwelt rechnen. Denn wenn jeder vom Gemeinen zum Adligen werden kann, droht das Chaos. Dieses Chaos wird dann auch den Abschluss des Lebens von Sir Brante bilden. Je nachdem, welchen Pfad er bis dahin eingeschlagen hat, wird sich die Geschichte verändern. Trotz der durch die Natur linearer Textabenteuer begrenzten Entscheidungen ist die mögliche Anzahl an Ereignissen immens hoch.

Das Imperium wird von einem Zweigottglauben mit einer starken Priesterkaste dominiert. Der Priesterstand steht auch den Gemeinen offen. Der Konflikt zwischen Adel und gewöhnlichem Volk wird dann auch später für Sir Brantes Weg relevant werden. Magie ist zwar vorhanden, aber nur spärlich und dezent im Hintergrund.

Das Arkniansche Imperium vor seinem Fall.
Das Arkniansche Imperium vor seinem Fall.

Der technische Stand der Welt ist die frühe europäische Neuzeit. Die Mode orientiert sich am Westeuropa des 16. bis 17. Jahrhunderts. Man hätte das Spiel auch ohne viele Umstände in eben diese Epoche legen und ein historisches Spiel daraus machen können. Der achtzigjährige Krieg zwischen den Generalstaaten und Spanien hätte zu dem Thema des Spiels mehr als gut gepasst.

Zeichenstil

Der Zeichenstil ist durchgehend in schwarzweiß gehalten und hat mal breitere, mal feinere Striche. Manche Bilder, vor allem in Visionen und Träumen, sind bewusst „schwammiger“ gehalten, andere dafür sehr realistisch. Die Bilder von Landschaften und Umgebungen neigen zu etwas mehr Schattierungen als die Portraits der Menschen, die Sir Brante im Laufe seines Lebens begegnen. Insgesamt unterstützen die Bilder das Spielerlebnis ungemein. Insbesondere die Mimik der gezeigten Charaktere hilft dabei, die Figuren besser als in einem reinen Textabenteuer zu verstehen. Dafür wiederholen sich die Bilder ein paar Mal. Aber bei der Menge an Text kann man auch nicht erwarten, wirklich jeden Absatz bebildert zu haben.

Soundtrack

Die Musik hält sich eher im Hintergrund und erzeugt immer wieder ein Gefühl von drohender Gefahr. Beim Umblättern der Seiten des Tagebuchs, also dem Fortschreiten der Handlung, hört man das Papier rascheln. Die musikalischen Themen wechseln immer wieder, vielleicht etwas zu schnell. Wenn die Szene größere Menschenmassen enthält, hört man auch mal deren Murmeln im Hintergrund. Immer, wenn am Ende eines Abschnitts die neu erworbenen Punkte auf die Eigenschaften verrechnet werden, kommt das selbe charakteristische Geräusch. Das ist recht bald eintönig.

Die Musik ist solide, aber kein herausragender Punkt des Spiels.

Die Schwachpunkte

Wie bereits erwähnt, laufen schwierige Entscheidungen in The Life and Suffering of Sir Brante oftmals darauf hinaus, ob wir vorher die nötigen Punkte Willenskraft aufgebaut haben, um bei den wichtigen Fragen das zu tun, was wir eigentlich tun möchten. Das führt zu einer „gamistischen“ Spielweise, in der wir bewusst nicht auf die eigenen Vorstellungen hören, sondern auf das, was uns diese Willenskraft verschafft.

Wir können natürlich auch mit verborgenen Konsequenzen spielen und wissen so nicht, welche Entscheidung uns mehr Willenskraft gibt. Das fühlt sich zwar realistischer an, aber man ärgert sich dafür trotzdem, wenn einem dann die Willenskraft fehlt. In jedem Fall werden wir in diesem Spiel irgendwann suboptimale Wege einschlagen. Dieser „bestrafende“ Ansatz ist zwar spannend, dürfte aber für so manche Spieler*innen eine zu lange Durststrecke ohne Belohnungen darstellen. Aber andernfalls würde das Spiel seinem wohlverdienten Titel wohl nicht gerecht werden.

Die häufige Wiederholung der Bilder und der Musik wurde bereits angesprochen. Dies ist allerdings der Länge und Textlastigkeit des Spiels geschuldet.

Die harten Fakten:

  • Entwicklerstudio: Sever
  • Publisher: 101XP
  • Plattform: Steam, gog.com
  • Sprache: Englisch/Russisch
  • Mindestanforderungen: Betriebssystem: Microsoft® Windows® 7. Prozessor: Pentium® 4 1.5 GHz / Athlon® XP. Arbeitsspeicher: 1 GB RAM. Grafik: DirectX® 9.0c compatible. DirectX: Version 9.0c. Speicherplatz: 3 GB verfügbarer Speicherplatz. Soundkarte: DirectX® 9.0c compatible.
  • Genre: Rollenspiel, Simulation, Narrative
  • Releasedatum: 4. März 2021
  • Spielstunden: ca. 20
  • Spieler*innen-Anzahl: 1
  • Altersfreigabe: jugendfrei
  • Preis: EUR 19,99 (Steam und gog.com) Die ersten beiden Kapitel sind gratis.
  • Bezugsquelle: Steam, GOG.com

 

Fazit

The Life and Suffering of Sir Brante ist ein absolut spielens- und erlebenswertes Spiel. Die mit breitem Strich gezeichneten schwarzweißen Bilder vermitteln toll die Atmosphäre einer Welt im Konflikt. Die endgültigen Lebenspfade, die man mit seinem Charakter einschlagen kann, sind zwar limitiert, und wir werden immer von diesen einem Ausgangspunkt ausgehen müssen, aber spätestens im dritten Abschnitt (Jugend) wird das Spiel wesentlich freier.

Mit knappen 20 Euro macht man hier sicherlich nichts falsch. Die ersten beiden Abschnitte (Kindheit und Adoleszenz) sind übrigens gratis spielbar, falls man mal in das Konzept hineinschnuppern möchte.

Wohin wird dich dein Pfad führen?

  • Ein unverbrauchtes Setting mit der Atmosphäre eines klassischen Spielbuchs.
  • Ein schöner und prägnanter Zeichenstil, …
  • Viele unterschiedliche Ereignisse und Entscheidungen, …
 

  • Man spielt immer nur einen Charakter, Sir Brante.
  • … der sich allerdings bald wiederholt.
  • … die allerdings allzu schnell überlesen werden.

 

Artikelbilder: © Sever
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Maximilian Düngen
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

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