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Immer mehr Spieleverlage sorgen dafür, dass auch mit der nachrückenden Generation „lebendigere“ Spiele gespielt werden können und es somit nicht nur für die „Großen“ Alternativen zu Klassikern gibt. Wir schauen auf Die Chroniken von Avel, welches uns verspricht, mit unseren Kids Abenteuer erleben zu können.

Viele Verlage haben es erkannt: Die Nerds von gestern … sind immer noch Nerds, aber mittlerweile auch Eltern. Und es wäre umso schöner, wenn der Nachwuchs die Leidenschaft zu Nerdstuff teilen würde. Daher kommen immer mehr Produkte auf den Markt, welche die Jüngsten behutsam an Phantastik und Co heranführen.

Das Spielfeld für zwei Personen.

So gab es mit Zombie Kidz und Zombie Teenz Evolution schon Ableger, die das Zombicide-Thema aufgriffen, oder auch Spiele, die eine bestehende Marke kindgerecht aufbereitet haben wie Andor Junior oder My little Scythe.

Der Spieleautor Przemek Wojtkowiak hat mit Die Chroniken von Avel nun ein Spiel ersonnen, um altersgerecht das Königreich Avel vor der Bestie des Dunkelmondes zu beschützen. Die Spielenden verkörpern alle einen selbsterschaffenen Charakter, um das Juwel der Heilung vor der Zerstörung durch die bösen Horden zu bewahren. Dabei gilt es, neue Orte zu entdecken, Ausrüstung zu sammeln und natürlich Monster zu verkloppen. Wie sich das Ganze dann spielerisch darstellt, haben wir uns für euch angesehen.

Spielablauf

Ein großer Reiz und einer der charmanten Pluspunkte des kooperativen Spiels ist die Charaktererstellung. Diese beginnt (fast) bei Null und gibt den Spielenden zunächst eine Seite wie aus einem Ausmalbuch. Hier kann der Fantasie freien Lauf gelassen werden, und neben dem Ausmalen des Charakters kann auch ein eigenes Wappen gezeichnet werden. Auch das Namensfeld ist gänzlich frei, um sich Austoben zu können. Sollte es doch einmal an der Kreativität mangeln, bietet Die Chroniken von Avel die Möglichkeit, das Schicksal und die Sterne entscheiden zu lassen. Hierzu wird eine Seite der doppelseitigen Sternenkarte genommen und zwei Würfel werden auf Sie geworfen. So hilft uns der Rat der Sterne bei der Suche nach unserem Namen. Cookie die Wütende und Diomandras Zauselhaar haben schon jetzt einen großen Platz in unserem Herzen.

Die Sternenkarten.

Sind diese kreativeren Schritte der Vorbereitung erledigt, geht es nun an die Brettspiel-typischen Startaufbauten wie Meeple aufstellen, Marker nehmen und Startausrüstung bekommen. Doch auch das mit der Ausrüstung ist hier charmanter und „erlebender“ gelöst: Alle Ausrüstungsgegenstände wie Helme, Waffen, Schilde und Tränke befinden sich in einem großen Ausrüstungsbeutel. Statt einen Gegenstand nach Gutdünken auszuwählen, darf man für fünf Sekunden in dem Beutel herumwühlen, um einen Marker zu ziehen. Diese unterscheiden sich in ihrer Kontur und so kann man versuchen, einen bestimmten Typen zu erwischen. Um diese fünf Sekunde nicht nur stumpf herunterzuzählen, bietet das Spiel den Vorschlag, den folgenden Satz zu rezitieren:

Schlag erst das Monster kurz und klein, dann greife in den Beutel rein.

Die so erlangte Ausrüstung kann dem eigenen Charakter angelegt werden, indem man den Marker auf dem passenden Körperteil platziert. Oder man legt überschüssige Ausrüstung, Tränke und Gold in den eigenen Rucksack auf dem Charaktertableau. Doch Obacht: Durch das Double-Layer-Board muss im Rucksack genau geschaut werden, was noch passt, also fast wie in digitalen Rollenspielen. Wenn es nicht mehr reinpasst, fliegt es raus. Nicht nachvollziehbar ist es, warum es im Grundspiel keine Schuhe gibt. Den Platz leer zu lassen, kann schnell zu enttäuschten Kinderaugen führen, wenn sonst der eigene Charakter endlich so aussieht, wie man ihn gerne hätte, und nur die Barfüßigkeit stört.

Das Tableau blanko und mit Ausrüstung. Nicht alles passt ins Inventar.

Nun kann das eigentliche Spiel beginnen. Je nach Spielendenzahl wird eine bestimmte Anzahl an Runden gespielt bis das Astrolabium, welches als Rundenanzeiger dient, die Ankunft des Biestes verkündet. Die Held*innen gewinnen, wenn alle Monster und das Biest besiegt wurden, oder sie verlieren, wenn ein Monster das Feld der Burg erreicht.

Um dies zu verhindern und sich für den finalen Showdown zu wappnen, stehen für die Spielenden verschiedene Aktionsmöglichkeiten zur Verfügung, von denen man zwei pro Zug ausführen darf.

Man darf sich mit der Bewegen-Aktion auf ein benachbartes Feld bewegen oder zwischen zwei Feldern mit einem Abkürzungssymbol. Mit Ausruhen regeneriert man zwei Ausdauer und mit Ortsaktionen bieten sich die unterschiedlichsten Möglichkeiten. Man kann Ausrüstung kaufen (Bedenkt das Fünf-Sekunden-Zitat!) oder verbessern, Burgmauern errichten, um einmalig Monster vom Eindringen abzuhalten, Monsterverstecke versiegeln oder Fallen für das Biest stellen.

Die Orte mit besonderen Aktionen.

Die letzte Aktionsmöglichkeit ist, gegen ein Monster auf dem eigenen Feld zu kämpfen. Die Kämpfe bestehen aus maximal drei Kampfrunden, in denen die Würfel rollen und uns das Glück hold sein muss. Die Ausrüstung bestimmt, wie viele und welche Würfel geworfen werden dürfen. Bei den Monstern steht es auf ihrem Marker. Beide Parteien würfeln nun und vergleichen ihre Ergebnisse. Auch dieses Kampfsystem ist altersgerecht simpel gehalten. So haben die Würfel von Gut und Böse jeweils Symbole für „Treffer“, „Block“ und „Fehlschlag“ (auf höheren Leveln für die Spielenden gibt es auch einen Joker). Beide Seiten vergleichen „Treffer“ und „Block“ und fügen sich gegenseitig Schaden zu. Die Spielenden haben die Möglichkeit, durch Tränke oder Ausrüstungsfähigkeiten Würfelergebnisse zu modifizieren. Sollte das Monster nach drei oder weniger Runden besiegt sein, erhält der kämpfende Charakter die jeweilige Belohnung. Sollte jedoch der Charakter besiegt werden, wird die Figur auf die Burg-Ortstafel zurückgestellt, verliert alle Münzen und eine Ausrüstung.

Die Bestie und seine Armee.

Die Ausdauer wird wiederhergestellt und der eigene Zug endet sofort. Sollte nach drei Runden niemand das Zeitliche gesegnet haben, endet die Aktion und das Monster behält seine Schadensmarker. Monster können niemals einen Kampf aktiv auslösen. Der Kampf gegen das Biest läuft exakt gleich ab. Dies erspart eine unnötige Regelflut.

Haben alle ihre zwei Aktionen erledigt, endet die Runde und das Astrolabium wandert weiter und löst einen Effekt aus (entweder heilt es die Gruppe oder alle herrenlosen Monsterverstecke erhalten einen Monster-Marker). Erst wenn das Ende der Leiste erreicht ist und das Biest erscheint, erweitert sich das Prozedere des Rundenendes.

Ab sofort bewegen sich alle Monster auf dem kürzesten Weg in Richtung der Burg, um diese einzunehmen, gestärkt durch die Anwesenheit des Biestes. Ab sofort gilt es für die Gruppe: Retten wir Avel oder gewinnen die Horden des Dunkelmondes?

Ausstattung

In Sachen Material und Aufmachung macht das Spiel so gut wie alles richtig. Das Spielmaterial ist wunderschön farbenfroh und hat an allen Stellen ein sehr altersgerechtes Artwork. Von der Box bis zum Insert ist sofort zu erkennen, wieviel Liebe in das Spiel geflossen ist.

Schon bei der Box wurde viel Liebe investiert.

Die Anleitung ist hervorragend geschrieben und gegliedert. Alle Schritte sind nachvollziehbar, die Beispiele sind sehr gut greifbar und für das Durchstöbern mit den Kindern sind die Tipps vorrangegangener Held*innen zu einzelnen Abschnitten sehr förderlich für die Immersion schon im Regelstudium. Diese wird noch weiter gesteigert, weil man dem Spiel noch ein kleines Begleitheft mitgegeben hat, welches zum einen die Geschichte des Dunkelmondes erzählt, zum anderen aber auch als umfangreiches Bestiarium für die verschiedenen Monster herhält. Das schafft ein wohliges Gefühl, dass selbst „Klischee“-Biester wie Goblins oder Golems mehr Persönlichkeit erhalten, obwohl sie „nur“ als Marker im Spiel vorkommen. Mit ein bisschen Kreativität benötigt Immersion keine Miniaturorgien. Ein winziger Wermutstropfen war, dass die Begleit-App in der Anleitung schon beworben wurde, aber nicht verfügbar war. Sie ist erst nach unserer Testphase in den App-Stores erschienen. Daher entfällt eine Bewertung der Begleit-App.

Der Großteil des Spielmaterials ist aus dickem Karton und gut zu handhaben. Lediglich die Ausdauerherzen, die Burgmauern und die Spielfiguren sind aus Holz. Die sehr wertigen Charaktertableaus in Kombination mit den Markern für die Ausrüstung bieten ein lustiges „Spiel im Spiel“ mit dem Puzzeln für die maximale Auslastung des eigenen Rucksacks.

Holzmarker und Würfel.

Die Würfel liegen gut in der Hand und sind dennoch nicht zu schwer (wieder gut mitgedacht für die Kids). Erneut wurde viel Liebe ins Detail gesteckt, denn auch wenn die Würfel für Spielende und Monster grundsätzlich dieselben Effekte auslösen können, sehen Treffer, Blocks et cetera je nach Seite anders aus. Bei den Menschen ist ein Schwert ein Treffer, bei den fiesen Viechern sind es Krallenspuren. Geblockt wird entweder mit dem Schild oder mit einem zerbrochenen Schwert. Die gesamte Ikonografie des Spiels ist sehr gut durchdacht und macht das Spiel (fast) sprachneutral. Ein Nachschlagen in der Anleitung war bei den Symbolen nach dem ersten Regelstudium nicht mehr nötig.

Copyright: © Asmodee

Die harten Fakten:

  • Verlag: Rebel Studio, Asmodee
  • Autor*in(nen): Przemek Wojtkowiak
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: Deutsch
  • Spieldauer:
  • Spieler*innen-Anzahl: 1 2 3 4
  • Alter: ab 8 Jahren
  • Preis: ca. 40 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

 

Bonus/Downloadcontent

Das Spiel bietet zwei Mini-Erweiterungen, die (Stand 15.03.2022) nicht auf Deutsch verfügbar sind. Jedoch sind die Anleitungen auf der Webseite von Asmodee zum Download in deutscher Sprache verfügbar. Somit ist es möglich, das ansonsten sprachneutrale Material auch in ausländischen Shops bedenkenlos zu beziehen. Dann kann auch endlich dem eigenen Charakter das passende Schuhwerk angelegt werden.

Mit der Erweiterung Adventurer‘s Toolkit gibt es auch endlich Schuhe. Copyright: © Rebel Studio

Ebenfalls befinden sich auf der Webseite die PDF-Dateien für die Spielregel, die kurze Spielübersicht und das Begleitheft.

Auf Thingiverse gibt es von User Declon ein schönes Insert zum Ausdrucken, das die Box gut ergänzt und Platz für die beiden oben genannten Erweiterungen bietet.

Fazit

Die Chroniken von Avel macht alles richtig, was ich von einem Abenteuer-Spiel für die ganze Familie erwarte. Die Regeln sind eingängig und schnell erklärt, das Artwork und die grundsätzliche Aufmachung des Spiels sind absolut liebevoll und kindgerecht. Durch das erstmal etwas unscheinbare Begleitheft, welches im ersten Moment wie ein paar herausgefallene Seiten aus der Anleitung wirkt, wird wesentlich mehr für die Immersion getan, als eigentlich nötig gewesen wäre. Doch gerade das Vorlesen von „Der Aufstieg des Dunkelmondes“ hilft, die jüngeren Held*innen in die Geschichte eintauchen zu lassen. Der Kampfmechanik kann man natürlich vorwerfen, sehr glückslastig zu sein durch das recht puristische Würfeln. Das System ist mit Sicherheit nichts für erfahrene Spielende, um einen Wow-Effekt auszulösen, aber für die Zielgruppe ist das ein absolut passender Mechanismus. Das Spiel hat einen sehr angenehmen, anpassbaren Schwierigkeitsgrad, der fordert, aber niemals frustriert.

Alles in allem ist Die Chroniken von Avel ein sehr gelungenes Erlebnis, um die Jüngeren an diese Art von Spiel heranzuführen. Klare Kaufempfehlung.

  • Perfekter Einstieg für die junge Generation
  • Bezauberndes Artwork
  • Liebevolles World-Building
 

  • Ohne Kinder etwas zu seicht
  • Die fehlenden Stiefel

 

Artikelbilder: © Asmodee
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Saskia Harendt
Fotografien: Tim Billen
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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