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Es gibt unzählige Systeme für Pen-and-Paper Rollenspiel. Für jeden Geschmack ist etwas dabei. Leider unterscheiden sich Geschmäcker deutlich voneinander und man muss beim Spielsystem der Wahl manchmal einen Kompromiss eingehen. Wenn man dann während des Spielens herausfindet, dass das System nicht die Erwartungen erfüllt, muss ein besser passender Ersatz her.

Dieser Artikel berichtet von einer persönlichen Erfahrung mit meiner eigenen Spielrunde. Wir haben ein selbstgebautes System gespielt. Die dabei entstandenen Probleme haben mich zu diesem Bericht inspiriert. Ich hoffe, die daraus gezogenen Schlüsse können auch euch helfen.

Einleitung – eine Kampagne auf Abwegen

Ich spiele nie wieder ein selbstgebautes System mit dir.“ – Eine Spielerin zu mir.

Ich mag die Welt der Elder Scrolls. Als alter Morrowind-, Oblivion– und Skyrimspieler habe ich nicht wenige Stunden meiner Kindheit (möge sie noch lange andauern) in diesen fantastischen Welten verbracht. Es lag also nahe, dass ich im Laufe der Jahre zweimal den Versuch gestartet habe, in eben dieser Welt auch P&P zu spielen.

Ich habe vor Jahren ein selbstgebasteltes System für die Rollenspieladaption der Elder Scrolls und Fallout Reihe von Bethesda gebaut (so wie vermutlich viele andere Spielleitungen irgendwann ein eigenes System bauen). Während die Falloutkampagne nach einigen Jahren erfolgreich zu Ende ging, wurde die erste Vvardenfellrunde leider im Streit abgebrochen. Dieses Mal sollte es wieder auf den Inselkontinent der Dunmer gehen – nur besser, toller und schöner als zuvor.

Schnell waren fünf Spieler*innen gefunden, die ebenfalls in dieser diversen hochmagischen Welt spielen wollten – eine Orkschmiedin, ein Khajiitmagier, ein Dunkelelfengassenjunge, ein Hochelfenmagier und eine entlaufene Argoniersklavin. Eine breit aufgestellte Truppe mit vielen Talenten. Magie und Nahkampf sowie diebische Künste waren gut abgedeckt, und somit konnten wir uns ins erste Abenteuer begeben.

Bereits nach ein paar Abenden war leider klar, dass es so nicht weiter gehen konnte.

Aus mehreren Gründen – vor allem wegen der Unausgewogenheit der Charaktere beim Steigern und beim Kämpfen – war das System leider zusehends frustrierend für manche Spieler*innen. Das Problem verschärfte sich noch weiter, als die Charaktere schon ein paar Mal steigern durften und sich somit die (vor allem) empfundenen Stärken der Charaktere immer weiter auseinanderzogen. Zusätzlich ist ein Eigenbausystem, an dem noch gearbeitet wird, immer anfällig für etwas zu viel Meister*innenwillkür (auch, wenn ich mit dem Systemschreiben angefangen hatte, damit ich genau diesen Fehler weniger oft begehe, die Gefahr ist leider immer da).

Manchmal muss ein Wechsel sein. | 72soul © depositphotos
Manchmal muss ein Wechsel sein. | 72soul © depositphotos

Nun saßen wir da. Die Spieler*innen samt Meister waren durchaus gewillt, in dieser Welt zu spielen, aber die Regeln mussten ersetzt werden. Wir hatten somit folgende Anforderungen: Das System sollte…

  • sowohl hochmagische als auch mundane Charaktere gleichermaßen ansprechen
  • Kämpfe gefährlich, aber machbar darstellen können
  • Beschwörungs- und Artefaktmagie haben
  • fordernd, aber zugänglich sein
  • Charaktere sollten nicht zu schnell Halbgött*innen werden (also eine klare Absage an das klassische Dungeons and Dragons)
  • es sollte kein reines Storytellersystem wie Itras By werden – wir mögen das Geräusch von fallenden Würfeln zu sehr
  • wenn möglich, ein W100-System sein (eine Reminiszenz an das originale Morrowind – ein „wäre nett, aber kein Muss“ für mich)

 

Man sieht an dieser Liste schon, dass es nicht ganz einfach war, ein passendes System zu finden. Auf jeden Fall sollte das Regelsystem auch das „Gefühl“ der Elder Scrolls Reihe unterstützen. Was in gewissem Sinne kaum möglich ist, da die drei mir bekannten Ausgaben der Elder Scrolls Serie Singleplayerspiele waren und somit unsere Abenteuer zwangsläufig ein anderes Spielerlebnis bieten würden. Ich wollte es aber auf alle Fälle versuchen.

Die Suche nach einem neuen System

Da ich das Glück hatte, dass meine Runde aus routinierten Vereinsrollenspieler*innen besteht, kamen wir sehr bald zu mehreren Vorschlägen, was für unsere Runde passend sein könnte.

Savage Worlds wurde als eines der ersten Systeme vorgeschlagen und wurde auch in unserem Verein schon irgendwann gespielt. Abgesehen davon, dass man angeblich so gut wie alles damit anstellen kann, habe ich bis heute keine Ahnung von dem System. Da ich kein besonderer Fan von zu generischen Systemen bin, ließ ich mir dies als letzte Möglichkeit offen, ohne recht davon überzeugt zu sein.

Das Schwarze Auge. Eines der am meisten gespielten, wenn nicht das meistgespielte und bekannteste System im deutschsprachigen Pen-and-Paper Rollenspiel. Ein alter Bekannter für uns, hatten wir doch die Editionen 1, 4 und 5 ausgiebig gespielt. „Normalos“ sind hier gut spielbar, aber auch Beschwörer*innen und Kampfmagier*innen sind möglich. Theoretisch. Zwar sind hochmagische Klassen in Das Schwarze Auge durchaus kreierbar, leiden dann aber doch sehr unter dem im Vergleich zu anderen Systemen mangelnden magischen Reservoir – ein*e feuerballschmeißende*r Magier*in ist zwar in den Elder Scrolls wunderbar spielbar, ist hier allerdings wohl bald am Ende seiner*ihrer Kräfte.

So viele Systeme, jedes auf seine Art unpassend. | depositphotos © AlphaBaby
So viele Systeme, jedes auf seine Art unpassend. | depositphotos © AlphaBaby

Pathfinder. Ursprünglich einmal aus der Idee heraus entwickelt, dass man Dungeons and Dragons 3.5 doch einfacher gestalten könnte, hat sich dieses Regelwerk mittlerweile ebenfalls sehr aufgeblasen (Das Schwarze Auge winkt freundlich herüber) und schien uns daher auch wenig geeignet. Noch dazu scheute ich den Aufwand, mich in dieses Komplexitätsmonster einzuarbeiten.

Wir blieben dann als Spielrunde beim Klassiker Dungeons and Dragons 5. Zwar kann man mit diesem System „Normalos“ nicht ganz so leicht abbilden (so wurde die Schmiedin zur Kriegerin, der Gassenjunge zum Schurken et cetera), aber die hochmagischen Möglichkeiten sprachen eindeutig dafür, diesem System eine Chance zu geben.

Nach einigen Anpassungen spielt es sich zwar nicht mehr ganz so, wie ich es mir zu Beginn vorgestellt hatte, aber man muss manchmal Kompromisse eingehen. So haben wir beispielsweise das im Selbstbausystem aus Oblivion übernommene Alchemiesystem zunächst weiterhin benutzt, bis wir es schließlich wegen der Praktikabilität aufgegeben haben. Dass jeder Trank aus bis zu vier Zutaten gebraut werden kann und die Zutaten zunächst von den Spieler*innen entdeckt werden müssen, war zwar sehr spaßig und für die Charaktere ein Anreiz, im Wald nach Zutaten zu suchen, allerdings nicht passend auf Dungeons and Dragons übertragbar. Es fühlt sich trotzdem wie die Elder Scrolls an (die Tatsache, dass wir uns mittlerweile weit außerhalb der von mir gespielten offiziellen Spielwelten von Morrowind, Oblivion und Skyrim befinden, mag hier auch helfen, etwas Neues selbst zu entwickeln – seien es Ortschaften, Charaktere oder andere Bestandteile der Welt). Solange alle am Spieltisch Befindlichen Freude am Spiel haben, hat man etwas richtig gemacht.

Gelernte Lektionen

Es gibt Spieler*innen, die partout nicht mit einem Setting oder System warm werden können. So habe ich schon Spieler*innen erlebt, die absolut keine W100-Systeme spielen möchten, oder Spielende, die Storytellersystemen ohne Würfel nichts abgewinnen können. All diese Personen unter einen gemeinsamen Hut zu bringen, ist schwierig genug. Diese aber noch gemeinsam zu einer von allen akzeptierten Alternative zu überreden, ist ein umso größerer Drahtseilakt.

Was will die Gruppe erleben? Viele Kämpfe gegen eine große Bandbreite unterschiedlicher Gegner*innen? Politische Intrigen mit nur seltenen physischen Konfrontationen? Hauptsächlich Rätsellösen mit nur wenigen Kämpfen und Kabalen?

Man sollte den Argumenten seiner Mitstreiter*innen gegenüber immer aufgeschlossen sein. | depositphotos © AndrewLozovyi
Man sollte den Argumenten seiner Mitstreiter*innen gegenüber immer aufgeschlossen sein. | depositphotos © AndrewLozovyi

Seid drauf gefasst, dass man beim gemeinsamen Spielen, aber auch bei einem Systemwechsel Kompromisse finden muss (oder, anders gesagt: wenn jede*r bei einem Kompromiss ein wenig unzufrieden ist, ist das ein Zeichen dafür, dass der Kompromiss gerecht ist). Vielleicht ist es dieses Mal nicht das persönlich bevorzugte System.

Ein neuer Anfang mit einem frischen System kann aber auch eine gute Gelegenheit sein, die Rolle des gespielten Charakters neu zu überdenken – bin ich als Tank, als Heiler*in, als Schurk*in glücklich? Oder möchte ich mich vielleicht lieber in eine andere Richtung entwickeln?

Ein neues System bedeutet möglicherweise eine tolle Auffrischung für alte Charaktere, wenn man einen geliebten Charakter weiter spielen möchte, ihn aber nur in einem längst vergessenen und nicht mehr gespielten System gespielt hat. Schließlich ist sogar Gandalf der Graue nach seinem Tod wieder in Weiß zurückgekommen, um seinen Freunden zu helfen.

In einer laufenden Kampagne hört sich ein Wechsel zwar unerfreulich an, aber mit ein wenig Anpassungswillen kann man vielleicht ein schöneres, passenderes Erlebnis haben. Nicht jedes System passt auf jede Gruppe.

Fazit

Ausgetretene Pfade müssen überwunden werden. | depositphotos © sergeybitos
Ausgetretene Pfade müssen überwunden werden. | depositphotos © sergeybitos

Wir Rollenspieler*innen sind oftmals Gewohnheitstiere. Wenig muss sich so hart durchsetzen wie das Neue, das Ungewohnte. Umso notwendiger kann es manches mal sein, die eigenen Gewohnheiten zu hinterfragen und durchzulüften. Das kann mit einer neuen Kampagne, einem neuen Setting, einer*m neuen Spielleiter*in oder neuen Spieler*inne*n schon reichen. Warum also nicht mal ein neues System auch während einer laufenden Kampagne ausprobieren, wenn die Teilnehmer*innen damit zufriedener sind?

Beim Nachdenken über das eigene Spiel kommt man immer wieder auf neue Ideen und Möglichkeiten, was man anders machen kann und sollte. Unterschiedliche Systeme bieten neue Anregungen, was den Spieler*innen alles geboten werden könnte. Gerade beim Basteln des Eigenbausystems (und den Gründen, warum es letzten Endes für diese Spielrunde schief ging) konnte ich wieder Einblicke in das eigene Meistern und die Ansprüche ans Rollenspiel finden. Dinge, die mir absolut nicht wichtig sind, haben eventuell für meine Mitspieler*innen mehr Gewicht. Diesem Umstand ist Rechnung zu tragen – sind die Spieler*innen unzufrieden, geht das Spiel einfach nicht gut. Der Kompromiss bestand am Ende darin, dass wir ein erprobtes System nehmen, und möglichst viele Elemente aus dem alten Spiel mit hinüber retteten. Damit konnten alle leben und wir konnten gemeinsam weiterspielen. Und das war schließlich das wichtigste.

Viel Erfolg bei euren Wechseln!

Artikelbilder: © depositphotos, wie gekennzeichnet
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Susanne Stark

1 Kommentar

  1. Naja, es hat schon einen Grund, das RPG Systeme über mehrere Jahre getestet werden.
    Ohne Deine Dedignkünste abwerten zu wollen, aber Dein homebrew Sytem muss wahrscheinlich noch länger iterativ Test und Designphasen durchlaufen.

    An bestehenden Systemen scheint mir der Runequest Ableger Mythras ein gutes System für die von Dir geschilderten Parameter zu sein.
    Um einiges düsterer wäre auch Zweihänder als System denkbar.
    Ein wunderbares Toolkit stellt auch Worlds without Number dar
    Monte Cook Cypher System lässt sich ebenfalls leicht anpassen.

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