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Nach dem Phantom bringen Zauberstern Comics den nächsten Klassiker zurück: Mikros ist ein klassisches Superheldentrio aus Frankreich. 1982 brachte Bastei die Reihe als Mykros – Die Kämpfe der Titanen nach Deutschland. Aber können die Helden der 80er sich heute im zweiten Anlauf beweisen? Paul berichtet.

Triggerwarnungen

Sexismus, Chauvinismus

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Die frankobelgischen Comics, die Bezeichnung für die zusammengefasste, französischsprachige Comicindustrie von Frankreich und Belgien, bilden zusammen mit den USA und Japan die drei größten Comicmärkte der Welt. Anders als USA und Japan (in Form von zum Beispiel dem Henshin Hero-Genre wie Kamen Rider oder Sailor Moon) sind frankobelgische Comics aber nicht für Superheld*innen bekannt. Ein französischer Verlag hält jedoch die Super-Fahne hoch: Ende der 1960er versuchte Editions Lug Comics von Marvel nach Frankreich zu bringen. Bis Anfang der 1970er wurden die Versuche jedoch vom französischen Staat abgeschmettert, der die Marvel-Comics, anders als die französischen, als nicht kindgerecht und jugendgefährdend einstufte. Dazu kam, dass Editions Lug kein normaler französischer Comicverlag war.

Französische Comics wurden zur damaligen Zeit von großen, vollfarbigen Magazinen wie Pilote (Asterix), Tintin (Tim und Struppi) oder Spirou dominiert, bevor sich die Industrie in den 1970ern auf die Veröffentlichung in Alben, den bande dessinée (BD), umstellte. Diese Magazine und BDs bilden bis heute die weltbekannte Basis, auf der Comics in Frankreich gesellschaftlich als die „Neunte Kunst“ akzeptiert sind. Es gab jedoch noch eine andere Art frankobelgischer Comics: das sogenannte „petit format“, kleinere Hefte im Taschenbuchformat, meistens schwarz-weiß gedruckt, die mit illustrierten Groschenheften verglichen wurden. Editions Lug war ein solcher petit format Verlag, der sich mit Magazinen wie Yuma, Zembla und Mustang auf damals typische Abenteuergeschichten von Cowboys, Entdeckern und Tarzan-artigen Dschungelhelden spezialisierte.

In den Marvel-Superheld*innen sah Editions Lug etwas neues, um sich eine eigene Nische auf dem französischen Markt zu erschließen. Nachdem die Veröffentlichung endlich an der französischen Zensur vorbeikam, liefen die amerikanischen Importe tatsächlich gut – so gut, dass Editions Lug schließlich beschloss, eigene Superheld*innencomics zu produzieren. Nach einigen fehlgeschlagenen Versuchen wurde das Western-Magazin Mustang zu einem farbigen Superheld*innentitel umgeändert, in dem zwei Reihen begannen: Photonik und Mikros. Damit begann Editions Lug ein eigenes, französisches Superheld*innen-Universum, das heute noch von Hexagon Comics fortgeführt wird.

Handlung

Die Handlung von Mikros verläuft sehr klassisch. Der Autor Marcel Navarro orientierte sich eindeutig an den Marvel-Comics der 70er, die Editions Lug damals verlegte. Mikros handelt von drei Held*innen: Mike Ross/Mikros, Priscilla Conway/Saltarella und Bobby Crabb/Big Crabb sind alle drei hochangesehene Entomologen sowie Sportler. Mike, der klare Anführer des Teams, ist Zehnkämpfer, die anmutige Priscilla Turnerin und der grobe Klotz Bobby ist olympischer Boxer. Dabei sind alle Meister ihrer Fächer: Bobby gewinnt die Weltmeisterschaft im Boxen mit einem Schlag, Mike stellt in jeder Zehnkampf-Disziplin neue Weltrekorde auf und auch Priscilla ist Weltspitze in ihrem Metier. Als Harvard-Studenten sind alle drei außerdem hochintelligent, auch wenn Bobby sich stets wie ein Macho-Proll benimmt.

Mikros beweist Empathie, während Crabb das patentierte Marvel-Melodrama vorführt.

Ein Experiment von Mike, mit dem er Insektenkommunikation in menschliche übertragen will, macht ungewollt Alien-Insekten auf das Trio aufmerksam. Die Aliens, die sich Slizz nennen, sind zwar so klein wie irdische Insekten, verfügen aber über weit überlegene Technologien. Sie schrumpfen und entführen die drei Protagonist*innen, um sie in Mensch-Insekten-Hybriden zu verwandeln, die für die Slizz die Erde erobern sollen. Die drei können allerdings vor Vollendung der Verwandlung fliehen, sodass sie über Superkräfte verfügen, aber noch nicht im Sinne der Invasoren umgepolt wurden.

Mikros 1 erzählt diese Herkunftsgeschichte des Trios und den ersten Kampf gegen die Slizz, der sie bis zum Heimatplaneten der Aliens führt. In Mikros 2 stellen die drei Titanen der Gerechtigkeit (wie sie im Titel, aber nicht innerhalb der Handlung genannt werden) sich eher irdischen Bedrohungen und versuchen vor allem, sich mit ihren neuen Körpern als Ausgestoßene auf der Erde zurechtzufinden. Die Geschichten sind dabei, typisch für die Entstehungszeit, geradlinig, action-orientiert und kompakt erzählt. Ein Handlungsbogen erstreckt sich hier über zwanzig Seiten, nicht sechs Hefte wie in der modernen “decompressed”-Erzählweise. Dafür sind die Figuren aber flach und stereotyp gehalten, noch mehr als im damaligen Marvel-Durchschnitt. Charaktere, Emotionen und Beziehungen sind sehr melodramatisch. Das ist nicht schlecht, aber definitiv ein anderer Ansatz für Genre- und Superheld*innen-Action als der heutzutage übliche.

Inspiration wurde hier im Klassiker Fantastic Four Vol 1 #6 gefunden.
Inspiration wurde hier im Klassiker Fantastic Four Vol 1 #6 gefunden.

Leser*innen sollte bewusst sein, dass Mikros nun mal ein Comic von 1980 ist, woran auch die neue deutsche Übersetzung nichts ändert. Sie orientiert sich am damaligen Sprachgefühl, vor allem die wilden Sprüche von Big Crabb erinnern oft stark an das aus Bud-Spencer-Filmen berühmte Schnodderdeutsch.

Charaktere

Die Charaktere sind, wie erwähnt, nicht allzu komplex geraten. Das namenlose Superteam von Mikros besteht aus Mikros selbst, Saltarella und Big Crabb.

Mikros ist, wenigstens in diesen ersten beiden Bänden, noch eher der Typ Pfadfinder. Als klassischer Heroe ist er körperlich und geistig herausragend und mit einem starken Moralgefühl ausgestattet. Er behält immer die Ruhe und den Überblick. In der Beziehung mit seiner Verlobten Priscilla schiebt er jedoch die Arbeit und die Pflicht, für das Gute zu kämpfen als Gründe vor, warum er sie nicht heiraten kann. Visuell ist er Peter “Spider-Man” Parker wie aus dem Gesicht geschnitten, aber eine modische Haarlocke à la Johnny Hallyday gibt den französischen Einschlag.

Multitasking: Aliens anrufen und gleichzeitig wie Peter Parker aussehen.

Zu Mikros Superkräften gehört eine Steigerung seiner ohnehin fantastischen geistigen und körperlichen Kräfte ins Übermenschliche, fliegen zu können sowie die Fähigkeit, Energie aller Art absorbieren und ausstrahlen zu können. Besonders wichtig sind dabei Hypra-Strahlen. Eigentlich wurden die drei Titanen der Gerechtigkeit ja auf Insektengröße geschrumpft, mithilfe der Hypra-Strahlen kann Mikros sie allerdings wieder auf Menschengröße und zurück bringen. Außerdem vermag er sich auf die kosmischen Schwingungen einzustimmen, was ihm Einblicke in die Zukunft gewährt oder ihn instinktiv die richtige Entscheidung treffen lässt.

Und ja, das Kräfteset der drei scheint eine offensichtliche Mischung aus Ant-Man und Captain Marvel zu sein, inklusive der “Cosmic Awareness” des letzteren. Aber Imitation ist als höchste Form der Schmeichelei an sich nicht verwerflich, vor allem, da in der Umsetzung die Ähnlichkeiten schnell schwinden.

Priscilla alias Saltarella ist Mikes Verlobte. Ebenso wie er ist sie ohnehin schon fast übermenschlich, was sich durch ihre turnerischen Leistungen ausdrückt. Sie ist schwer in Mike verliebt und will ihn lieber früher als später heiraten, sieht jedoch ein, dass der Kampf gegen die Slizz erst einmal Vorrang hat. Leider spielt Saltarella bis jetzt mit Vorliebe Jungfrau in Nöten, ist ansonsten aber emotional relativ geerdet und professionell. Hier orientiert sich das Frauenbild eher an den damals neueren X-Men von Chris Claremont als an den chauvinistischen Darstellungen eines Stan Lee oder Roy Thomas nur wenige Jahre zuvor.

Aus den Nöten helfen dieser Jungfrau auch ihre Kräfte nicht, obwohl sie, wie ihre Kumpane, über übermenschliche Stärke und Ausdauer verfügt. Ansonsten kann Saltarella, wie Mikros, Energie manipulieren, wenn auch in kleinerem Ausmaß. Ihre besondere Fähigkeit sind ihre Flügel, wobei jeder der drei sowieso fliegen kann.

Der dritte im Bunde ist Bobby Crabb. Der grobschlächtige, jähzornige 160-kg Klotz mit Blumenkohlohren interessiert sich hauptsächlich für Essen, Bier und Frauen, in scheinbar beliebiger Reihenfolge. Eine besondere Schwäche hat er für Saltarella, die seine Gefühle aber nur freundschaftlich erwidert.

Superkräfte kommen oft mit unerwarteten Nebenwirkungen.

Crabb hadert besonders mit der Verwandlung in ein menschliches Insekt. Sein Superheldenkostüm sieht nicht nur aus wie eine überpatriotische Stars-and-Stripes Footballuniform, seine rechte Hand hat sich außerdem in eine riesige Krabbenschere verwandelt. Dadurch ist Big Crabb besonders stark und hält am meisten aus, ist aber körperlich am meisten entstellt und passt nicht einmal mehr in Autos, sodass er auf dem Dach fahren muss. Das wirkt sich natürlich auf seine Laune aus, die zwischen Kampfeslust und allgemeinem Verdruss schwankt. Damit ist Big Crabb eine Variation des Dings von den Fantastischen Vier. Auch der Marvel-Held leidet unter seinem monströsen Aussehen, das ihn aus der normalen Gesellschaft ausstößt, und ist charakterlich eher ein „Proll“, der unerwiderte Gefühle für die Frau des Teams hegt, besonders in den ersten Jahren der Comic-Reihe.

Zeichenstil

Jean-Yves Mitton orientiert sich in seinen Zeichnungen deutlich an Marvel-Zeichnern der 70er, bringt aber in manchen Posen und besonders bei Frauen einen französischen Einschlag ein. Besonders nah beeinflusst war er, laut Hexagon Comics: The First 70 Years, von John Buscema. Die französischen Zeichner sahen Buscema stilistisch in der Nachfolge klassischer amerikanischer Abenteuer-Zeitungscomics wie Alex Raymonds Flash Gordon oder Hal Fosters Prinz Eisenherz. Diese amerikanischen Zeitungsstrips waren in Frankreich künstlerisch wertgeschätzt, im Gegensatz zu den amerikanischen monatlichen Comic-Heften.

Hier sieht man die Bandbreite der Inspiration, von geerdetem Frank Miller bis zu kosmischem Steve Ditko und Jack Kirby.
Hier sieht man die Bandbreite der Inspiration, von geerdetem Frank Miller bis zu kosmischem Steve Ditko und Jack Kirby.

An der zeichnerischen Ausführung für sich gibt es wenig zu bemängeln. Es ist ein gelungener Action-Comic im Stil der späten 70er, auch wenn manche Posen noch etwas steif gezeichnet sind. Die einzige Anmerkung wäre auch hier, dass es nun mal ein 43 Jahre alter Comic ist, der entsprechend einem anderen künstlerischen Stil und Gedanken folgt.

Erscheinungsbild

Die Hefte sind im DIN A4-Format gedruckte Softcover. Die Seiten, wie auch das Cover, sind dick und fühlen sich qualitativ wertig an. Die Seiten sind mit einer guten Druckqualität farbig bedruckt und werden gut ausgefüllt. Hier hat sich Zauberstern Comics seit ihrem ersten Phantom-Comic verbessert.

Cover zweiter Band.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Zauberstern Comics
  • Autor*in(nen): Marcel Navatto
  • Zeichner*in(nen): Jean-Yves Mitton
  • Erscheinungsjahr: 2023
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Softcover Magazin
  • Seitenanzahl: 100
  • Preis: 9,99 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel

 

Bonus/Downloadcontent

Auf den letzten Seiten von Heft 1 sind Pin-Ups der drei Held*innen mit kurzen Beschreibungen und in der Mitte gibt es ein Poster mit den Titanen der Gerechtigkeit im Kampf mit einigen Feinden, die in den Comics allerdings noch nicht vorkamen.

Fazit

Mikros ist eine deutsche Neuauflage des französischen Superheld*innencomics Mikros. Anfang der 80er wurde Mikros bereits teilweise vom Bastei-Verlag auf Deutsch herausgebracht. Die Bastei-Version war aber stark geschnitten, um bis zu sechs Seiten der achtzehn Seiten langen Geschichten. Die Auflage von Zauberstern Comics ist also vollständig, dazu noch neu übersetzt und auch schöner gelettert als die Bastei-Version.

Abseits des Nostalgie-Elements ist Mikros eine unterhaltsame Superheld*innengeschichte im Stil der Marvel-70er. Diese Einflüsse lassen sich nicht verbergen, vom Zeichenstil über die Superkräfte, die eine Mischung aus Ant-Man und Captain Marvel sind, bis zur typischen Marvel-Melodramatik. Mikros nur auf die Inspiration zu reduzieren ist aber nicht fair, da das Comic durchaus eigene Einfälle hat und die amerikanischen Inspirationen auf französische Weise verarbeitet. Für Fans von Marvel-Comics aus den 70ern ist Mikros definitiv einen Blick wert. Wer modernere Comics liest, kann durchaus auch einen Blick wagen, muss sich aber bewusst sein, dass Erzählrhythmus und Schreibstil aus einer anderen Zeit stammen. Davon mal ab ist Mikros eine unterhaltsame Neuauflage von Zauberstern Comics, die Interesse an der nächsten angekündigten Reihe des Verlages weckt: Flash Gordon.

  • Superheld*innen aus Frankreich
  • Typische 70er Superheld*innen-Abenteuer
  • Klassische US/FRA Zeichenstil-Kombination

 

  • Etwas altmodisch

 

Artikelbilder: © Zauberstern Comics
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Alexa Kasparek
Fotografien: Paul Menkel

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