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Spielercharaktere haben es häufig mit Vorgesetzten zu tun. Sei es ein adliger Auftraggeber oder die Chefin einer Gang – irgendjemand will immer Ergebnisse sehen. Was passiert aber, wenn sich das Verhältnis umdreht und die SC in der Hierarchie aufsteigen? Die Teilzeithelden haben die Beförderung akzeptiert und sind dieser Frage nachgegangen.

Vor einem knappen Jahr fand sich auf dieser Seite ein Artikel, der sich mit der Frage beschäftigte, wie Nichtspielercharaktere als Vorgesetzte funktionieren können. Andersherum ist natürlich immer interessant, was passiert, wenn die Spielercharaktere selbst zu Vorgesetzten werden. Was ändert sich an der Gruppenkonstellation, im Umgang mit NSC und in der generellen Spielweise? Dieser Artikel wird einige exemplarische Situationen schildern und Tipps geben, wie man mit etwaigen Problemen umgehen und Chancen nutzen kann.

Die Leiter zum Erfolg

Nicht selten ist es das Ziel selbstgestalteter Kampagnen, dass die SC irgendwann am oberen Ende der Nahrungskette angelangen. Vor allem in Fantasy-Spielwelten ist dies ein gängiges Ziel, hin und wieder auch im Science-Fiction-Genre. Sehr selten kommt dies im Cyberpunk vor, gegebenenfalls können die SC dort aber an die Spitze einer kriminellen Vereinigung aufsteigen. Das Ziel, im Management aufzusteigen und schließlich Konzernboss zu werden, dürften eher wenige Spieler haben. So gut wie nie ist es das Ziel eines Horror-Abenteuers, dass die SC dabei in Amt und Würden gelangen.

Diesen Weg auszuspielen, kann durchaus Spaß machen. Mit jeder Sprosse auf der Karriereleiter kommen neue Aufgaben und Herausforderungen hinzu. Müssen sich die SC zuerst vielleicht noch beweisen, um überhaupt Zugang zu einer Organisation oder Herrschaftsstruktur erlangen, erledigen sie im späteren Verlauf der Kampagne verantwortungsvolle Aufgaben und übernehmen schließlich die Führung.

Wer ganz oben, oder zumindest nah an der Spitze, angekommen ist, wird andere Abenteuer erleben, als Charaktere, die sich in den unteren Rängen bewegen. Das kennt jeder aus dem eigenen Leben. Die Bauleitung greift selten selbst zum Spachtel, die Geschäftsführung eines Konzerns spricht allenfalls bei besonderen Anlässen zu ausgewählten Kunden. Die Regierung verwaltet nicht persönlich einzelne Kommunen, die Chefredaktion schreibt nur gelegentlich Beiträge.

Macht abgeben oder behalten?

Wer die Rangleiter nach oben stieg, muss sich fragen, wie er das erreichen konnte © jamesteohart
© jamesteohart

„Delegieren“ heißt das Zauberwort. Aufgaben werden weitergegeben, an geeignet scheinende Personen übertragen. Aber ist es nicht die besondere Herausforderung des Rollenspiels, sich selbst diesen Aufgaben zu stellen, anstatt sie anderen aufzudrängen? Szenarien, in denen die SC mit diesem Umstand konfrontiert werden, beinhalten deswegen oft die besondere Herausforderung an die Spielleitung, das Spiel trotz des vermeintlichen Stubenhockens spannend und abwechslungsreich zu gestalten.

Dieses Problem wird in der Regel zwar angesprochen, aber nicht immer zufriedenstellend gelöst. Wer in einer Fantasy-Spielwelt über eine Burg herrscht, mag sich den ein oder anderen Ausritt erlauben können, muss sich dann aber auch folgende Frage stellen: Warum bin ich überhaupt Herrscher geworden, wenn ich weiter ungezwungen auf Abenteuer ausziehen will? Anders und generell gefragt: Was ändert sich überhaupt im Spiel, wenn ständig Gelegenheiten geschaffen werden müssen, welche die SC von ihrem eigentlichen Aufgabenfeld wegführen?

Dies ist natürlich dann verlockend, wenn nur ein SC in der Rangleiter aufsteigt und die anderen außen vor bleiben. Eine gemeinsame Aufgabe stellt sicher, dass die Gruppe nicht getrennt wird. Allerdings müssen sich dann auch alle Beteiligten die Frage stellen, was sich überhaupt am Spiel geändert hat, wenn der Auftraggeber und Vorgesetzte nicht mehr ein NSC, sondern ein mitreisender SC ist, der selbst weitreichende Entscheidungen treffen muss.

Diese Situationen dürfen niemals aufgesetzt wirken und müssen zudem in der Spielwelt spürbare Auswirkungen haben. Der Grund, warum sich die Vorgesetzten auf einmal selbst die Hände schmutzig machen, muss nachvollziehbar sein. Wenn die Entscheidungstragenden sich selbst an die Front begeben, muss dies auch Konsequenzen haben. Bekommt zum Beispiel die Konkurrenz Wind davon, dass einflussreiche Personen oft auf Reisen sind oder in jedem Gefecht in die erste Reihe stürmen, liegt es nahe, dass die Machtbasis in deren Abwesenheit attackiert wird oder sie in Kampfsituationen gezielt ins Visier genommen werden.

Vorgesetzte an die Front?

Eine Erklärung könnte sein, dass die Vorgesetzen aufgrund ihrer Fähigkeiten aufgestiegen sind und die einzigen bleiben, die den entsprechenden Aufgaben gewachsen sind. Hierbei kann es helfen, bereits im Moment der Machterlangung Grenzen zu ziehen und Situationen zu definieren, in denen ein persönliches Eingreifen notwendig wird. Dies kann auch dramaturgischen Mehrwert haben, wenn solche besonderen Situationen tatsächlich eintreten. Gelangen untergebene NSC an ihre Grenzen, verleiht dies einem Konflikt besondere Brisanz, wodurch eine gewisse Dringlichkeit erzeugt wird.

Untergebene NSC stellen für die Spielleitung schließlich eine ganz eigene Herausforderung dar. Bei ihnen handelt es sich weiterhin um eigenständige Persönlichkeiten, auch wenn sie vielleicht auf den Input ihrer Vorgesetzten warten. Sie können zum Beispiel eine eigene Agenda haben, so wie auch ein Abteilungsleiter gegenüber der Geschäftsführung eigene Interessen vertreten kann. Diese Konflikte mögen deutlich stimmigere Szenarien ermöglichen als jene weiter oben genannten, in denen die SC mehr oder weniger ihr bisheriges Tun fortsetzen.

Nicht übertreiben sollte die Spielleitung es mit dem Einfluss beratender NSC. Diese dürfen niemals die geheimen Vorgesetzten der SC und bloße Handlungsmotoren werden. Sie sollen Möglichkeiten aufzeigen und können als Ansprechpartner dienen, die einen Überblick geben oder dabei helfen, Abläufe zu definieren, die im weiteren Spielverlauf relevant werden. Niemals sollten sie dafür verwendet werden, die SC offensichtlich zu lenken. Zwar kann die Spielleitung durch sie subtile Hinweise streuen, was mögliche weitere Verläufe der Handlung sein könnten, wenn diese oder jene Entscheidung getroffen wird, aber es sollte nie der Eindruck entstehen, sie wären das bloße Sprachrohr der Person hinter dem Spielleiterschirm.

Sind Untergebene bloß Marionetten oder die tatsächlichen Strippenzieher © SvetaZi
Sind Untergebene bloß Marionetten oder die tatsächlichen Strippenzieher? © SvetaZi

Wer sind die Untergebenen?

Glaubwürdigkeit sollte auch generell eine Eigenschaft der untergebenen NSC sein. Denn nur dann, wenn sie mehr als eindimensionale Platzhalter sind, wird es den SC möglich, Aufgaben an sie zu delegieren. Die trotteligen Figuren aus dem Maschinenraum oder die kauzigen Verwaltungsangestellten mögen für kurzzeitige Erheiterung sorgen, werden deswegen aber bei Problemen vermutlich nicht für voll genommen.

Dementsprechend sollten die NSC manchmal auch eigenwillig reagieren dürfen. In diesem Punkt ist besonderes Fingerspitzengefühl nötig. Das Klischee will es, dass Meckerköpfe irgendwann entweder Verräter werden oder von korrekten Aktionen der SC eines Besseren belehrt werden müssen. Ebenso geraten Ja-Sager schnell in den Verdacht, etwas im Schilde zu führen oder unfähige Speichellecker zu sein. Die Spielleitung sollte also versuchen, solche Klischees bewusst zu brechen oder nur in wohldosierten Mengen einzusetzen. Ansonsten entsteht schnell der Eindruck, dass die SC ohnehin die einzig fähigen Figuren der Geschichte sind und gerade deswegen viele Aufgaben übernehmen müssen, die eigentlich einem anderen Rang zustünden.

Dies kann natürlich auch dann geschehen, wenn die SC als Vorbilder vorangehen wollen. Wer jedoch zu oft in die Bresche springt, sieht sich schnell dem Vorwurf ausgesetzt, ein Kontrollfreak zu sein. In diesem Punkt sollte die Spielleitung die SC ruhig einmal überraschen. Entweder ist ein Problem bereits gelöst, wenn diese am Konfliktort eintreffen, oder – weniger frustrierend – sie bekommen direkt mitgeteilt, dass sich schon jemand darum gekümmert hat.

Was bleibt an Aufgaben?

Was können die SC nun aber selbst tun, wenn sie als Vorgesetzte ohnehin alles delegieren können? Wie auch sonst im Rollenspiel sind der Fantasie in diesem Zusammenhang keine Grenzen gesetzt. Wichtig ist nur, sich vorab zu überlegen, welche passenden Aufgaben es gibt. Dies hängt nicht zuletzt auch vom eigentlichen Setting ab. Handelt es sich bei den SC und den NSC zum Beispiel um eine Schiffsbesatzung zur See oder im All, sind die SC in der Regel ohnehin direkt vor Ort und bekommen alle Probleme hautnah mit, falls das Vehikel nicht gigantischen Ausmaßes ist. Üben sie ihren Posten aber aus der Distanz aus, können sie nicht andauernd wie oben beschrieben von einem Brennpunkt zum anderen eilen, ohne dass es ermüdend wirkt.

Der Spielleiter steuert das Ambiente, das Charakterblatt die Fähigkeiten, die Würfel das Schicksal – auch das des Dialogs.

Höherrangige SC können mit ganz eigenen Problemen konfrontiert werden. Zum Beispiel können dies Intrigen sein, die das Spiel um die Macht unweigerlich mit sich bringt. Auch ganz offene Angriffe auf ihre Position können Spannung erzeugen, wie zum Beispiel in zahlreichen Hollywood-Filmen zu sehen ist, in denen US-PoltikerInnen selbst zu Actionhelden werden.

Nicht zuletzt sind es aber rollenspielerische Szenen, die in der sozialen Interaktion ihren ganz besonderen Reiz entfalten. Je höher die Position, desto weitreichender die Entscheidungen. Der Kniff liegt darin, das eigene Ensemble der SC im Blick zu behalten. Die Auswirkungen der Entscheidungen müssen nicht unbedingt die gesamte Gruppe betreffen, sollten aber zumindest für einzelne SC spürbar werden. Als Beispiel soll ein Vergleich der Serien Sons of Anarchy und Designated Survivor dienen. Bei der ersteren geht es um eine Motorrad-Gang und insbesondere deren Anführer, in zweiterer um einen Mann, der scheinbar zufällig US-Präsident wird, und dessen Team. Das Machtgefälle zwischen diesen beiden Gruppen ist natürlich enorm, doch in der Dramaturgie zeigen sich Parallelen.

Jede Entscheidung hat Auswirkungen auf die jeweilige Gruppe, und so sollte es sich auch im Rollenspiel verhalten. Der Zehnt wird erhöht? Vielleicht betrifft dies ja einen SC oder dessen Familie. Der Bereich, in dem Schutzgeld eingetrieben werden soll, wird vergrößert? Die Racheaktion einer betroffenen Gang könnte einen SC treffen, der diese Entscheidung vielleicht sogar kritisiert hat. Das Raumschiff soll mit doppelter Geschwindigkeit fliegen? Ein SC im Maschinenraum könnte die Folgen der Überhitzung spüren.

Gleicher Rang für alle?

Reizvoll kann es vor diesem Hintergrund auch sein, wenn sich die Gruppe über das gesamte Machtspektrum verteilt. Eine gemeinsame Überlegung zu den handelnden SC ist deswegen äußerst sinnvoll. Wenn sich die Spielleitung, wie weiter oben beschrieben, von dem Konzept einer Gruppe löst, die gemeinsam – und vor allem gleichberechtigt – Abenteuer erlebte und dies nun möglichst weiterhin tun soll, dann eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten. Statt die Gruppe als stets eingeschworene Gemeinschaft der SC darzustellen, lässt sich dadurch deutlich einfacher eine plausible Geschichte entwickeln.

In einer Serie wie Babylon 5, die sich mit dem Schicksal einer Raumstation beschäftigt, ist das Machtgefälle zwischen den Figuren ein wichtiges Element. Auch in vielen Star Trek-Serien ist der unterschiedliche Rang der Figuren nicht bloß schmückendes Beiwerk, sondern durchaus auch ein Auslöser von Handlungssträngen.

In Star Trek ist die Rangordnung oft Auslöser von Handlungsfäden © Paramount Pictures
In Star Trek ist die Rangordnung oft Auslöser von Handlungsfäden © Paramount Pictures

Was ist das Ziel?

Es ist wichtig, sich vorher darüber im Klaren zu sein, was eine Kampagne abbilden soll. Wenn die SC in ihrem Verlauf in Machtpositionen gelangen sollen, ergibt es Sinn, dann einen Schlussstrich zu ziehen, wenn sie diese erreicht haben. Zumindest sollte die Gruppenkonstellation dann noch einmal überdacht und die weitere Handlung entsprechend an sie angepasst werden. Die Entscheidungen der SC sollten wichtiger sein als vorgegebene Vorstellungen der Spielleitung, wie sie handeln sollen, damit die Handlung plangemäß weitergeht. Ein „Weiter so!“ ist nicht sinnvoll. Der Status als Vorgesetzter sollte nicht nur ein nettes Gimmick sein, sondern auch entsprechende Veränderungen mit sich bringen.

Beginnt eine Kampagne mit den SC in Machtpositionen oder haben sie diese in einer vorhergehenden Kampagne erlangt, stellt sich die Ausgangslage für die Spielleitung natürlich anders dar. Gerade in diesem Fall sollte die Überlegung im Vordergrund stehen, welche Probleme im Speziellen auf solche Gruppen zukommen, die mit ihren Entscheidungen vieles beeinflussen können. Dabei wäre es sogar sinnvoll, regelmäßig den Plot anzupassen, damit die Auswirkungen auch spürbar und das Spiel in einer Machtposition weiterhin reizvoll bleibt. Denn nichts wäre frustrierender als Macht, die letztlich sinnlos bleibt.

Wo kann ich das spielen?

© Mantikore Verlag
© Mantikore Verlag

Sollen sich die SC direkt von Anfang an in einflussreichen Positionen befinden, gibt es einige Beispiele, in denen die oben angesprochenen Konzepte ausprobiert werden können. Das Rollenspiel zur Romanreihe Das Lied von Eis und Feuer erfordert nicht nur die Erstellung eines eigenen Adelshauses, sondern beinhaltet auch Mechaniken zum Ausspielen von Intrigen, die gleichberechtigt neben den rein individuellen Regeln zum physischen Kampf stehen.

Auch im Warhammer-40K-Rollenspiel Freihändler übernehmen die SC bereits zu Beginn leitende Funktionen. Das in diesem Artikel besprochene Dilemma wurde auch in unserer damaligen Rezension angesprochen: „Die höchste Herausforderung besteht wohl darin, überhaupt Aufhänger zu finden, die die Charaktere mehr oder minder begeistern können. Sie haben Geld, sie haben Macht, sie haben ein Raumschiff, einen Freihändlerbrief, haben etliche Untergebene – da lockt einen nicht mehr ganz so viel.“ Packende Aufhänger, die von Standard-Abenteuern einer SC-Gruppe abweichen, müssen also erst einmal gefunden werden.

Im Endzeit-Rollenspiel Mutant: Jahr Null kann ein SC unter Umständen direkt als Boss in der Überlebendensiedlung beginnen. Dies bringt die oben angesprochene Herausforderung mit sich, Aufgaben zu finden, die mit der gesamten Gruppe gelöst werden können. Dass ein Boss mit dem Rest der Gruppe ständig zu Erkundungsreisen ins Ödland aufbricht, muss sorgsam durchdacht werden, wenn es stimmig bleiben soll.

Wer also vorhat, seine SC mit einer Machtposition zusammenzuführen, sollte sich darüber im Klaren sein, ob dies das Ziel einer Kampagne oder deren Ausgangspunkt ist. Soll diese Stellung von Bedeutung sein, müssen sich Spielweise und Handlung daran anpassen. Auch die Darstellung von NSC sollte überdacht und gegebenenfalls verändert werden. Der Kniff, die SC zu Vorgesetzten zu machen, verpufft ansonsten wirkungslos.

Artikelbilder: depositphotos | ©fffranzzz, © jamesteohart, © SvetaZi

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