Geschätzte Lesezeit: 11 Minuten

Es beginnt immer mit einem Leuchtturm. Ein Leuchtturm, der mitten aus dem Meer in die Nacht hinaufragt. Ein Leuchtturm, der der Eingang in eine andere Welt ist – in eine Stadt, die von Idealen und Manie gebaut wurde. Es beginnt immer mit einem Leuchtturm …


Unsere liebsten Videospielreihen:


2K Boston, das Studio, welches später zu Irrational Games werden sollte, hatte seinen Anfang mit einer Fortsetzung. Unter der Leitung von Ken Levine schufen sie das bis heute kultige Cyberpunk-Spiel System Shock 2 im Jahr 1999. Ein Spiel des 0451-Genre – First Person Shooter, die eine Geschichte mithilfe ihrer Umgebung erzählten.

Das Studio produzierte auch über die nächsten Jahre einige weitere Spiele, doch Ken Levine hatte die ganze Zeit eine Idee im Kopf, die ihn nicht losließ: Ein spiritueller Nachfolger zu System Shock, der sich mit verschiedenen philosophischen Konzepten auseinandersetzen sollte und eher dem Genre Biopunk angehören würde.

So bekam er schließlich die Chance, diese Idee mit einem verhältnismäßig kleinen Team umzusetzen. Daraus wurde das erste Spiel der Reihe, die wir heute als Bioshock kennen. Eine Reihe, die drei Spiele, einen sehr umfangreichen DLC und außerdem einen Roman umfasst. Doch es begann alles mit Rapture …

Bioshock

Das erste Spiel der Reihe sollte im Jahre 2007 das Licht der Welt erblicken. Es erschien für PC und die damals gängigen Konsolen und war – wie bei einem Spiel, das nicht nur ein First Person Shooter, sondern auch ein Horrorspiel ist, zu erwarten – mit der Altersfreigabe „Ab 18“ versehen. In diesem Spiel entführt uns Irrational Games unter das Meer.

Willkommen in Rapture

Es ist das Jahr 1960, als wir uns in einem Flugzeug über dem Atlantik befinden. Wir haben ein Paket bei uns, das wir erst in der Luft öffnen sollen. In dem Paket finden sich zwei Sachen: Eine Nachricht und eine Pistole. Dann stürzt das Flugzeug ab und wir können uns zwischen den brennenden Wrackteilen irgendwie auf eine Insel retten – eine Insel mit einem Leuchtturm. Doch es ist, was wir in diesem Leuchtturm finden, das den Weg ins Abenteuer bereitet. Es erwartet uns eine Statue eines Mannes und ein Banner: keine Könige, keine Götter, nur Menschen. Als wir tiefer in den Leuchtturm vordringen, finden wir ein kleines U-Boot, das wir besteigen und so in eine fremde Welt gebracht werden.

© Take-Two Interactive Software, Inc.

Denn unter den Wellen des Atlantiks befindet sich die Utopie, die sich Andrew Ryan gebaut hat. Rapture, eine Stadt, in der es keine Zensur für Künstler*innen, keine moralischen Abwägungen für Forscher*innen und keine Grenzen für Industrielle gibt. Doch was von außen schön anzusehen ist, stellt sich als ein absoluter Albtraum heraus. Im Inneren der Stadt warten durchgedrehte Mutanten auf uns, die alles angreifen, was sie sehen. Rapture ist schon lange gefallen und wenn wir an die Oberfläche zurückwollen, müssen wir der Sache auf den Grund gehen.

Und Atlas zuckte mit den Schultern

Wer sich ein wenig mit philosophischen Strömungen in den USA auskennt, wird schnell bemerken, dass die ganze Philosophie von Andrew Ryan an die amerikanische Philosophin Ayn Rand angelehnt ist, die als Begründerin des Objektivismus gilt. Objektivismus glaubt nur an Dinge, die nachweisbar sind, und verachtet daher Religion. Mehr aber noch ist Objektivismus eine neoliberale Philosophie, die auf unkontrollierten Kapitalismus setzt und der Grundlage der Meritokratie folgt. Laut dieser haben alle reichen Menschen ihren Reichtum verdient, weil sie eindeutig klüger und besser sind, als arme Menschen.

Da eine solche Gesellschaft jedoch nicht einmal in den USA – die fraglos mit das Land sind, das am nächsten an diese Ideale herankommt – möglich war, baute Andrew Ryan Rapture, wo all diese Dinge möglich sein sollten. Genau wie in Ayn Rands Buch Atlas warf die Welt ab, sollte Rapture ein Rückzugsort für die Elite der Gesellschaft werden.

Als solches zeigt jedoch das zerstörte Rapture, das wir als Spieler*innen erleben, genau die Schwächen des Objektivismus. Absoluter Reichtum ist nur zu erhalten, indem andere Menschen ausgenutzt werden und eine extreme Hierarchie zwischen Arm und Reich besteht. Auch Rapture konnte nicht existieren, ohne eine verarmte Unterschicht, die von den Reichen wiederum für ihre Zwecke manipuliert wurde.

Auch sehen wir, wie ungebremste Kunst und Wissenschaft schnell menschenverachtend werden. Die Little Sisters zeigen uns, wie eine ungebremste Wissenschaft unmenschliche Versuche durchführt – zu Lasten der Armen. Sander Cohen wiederum zeigt, wie unmoralisch eine ungebremste Kunst wird.

Und natürlich wird klar, dass das Experiment Rapture keine 20 Jahre gehalten hat, ehe es zu einer Ruine wurde, die in erster Linie von selbstbeherrschungslosen Splicern bewohnt wird.

Bioshock 2

Nach dem Erfolg des ersten Bioshock-Titels wurden gleich zwei Fortsetzungen des Spiels beschlossen. Während Ken Levine seinerseits anfing, am dritten Teil der Reihe – Bioshock Infinite – zu arbeiten, machte sich ein anderes Team an die direkte Fortsetzung des ersten Teils: Bioshock 2. Dieser hat zugegebenermaßen im Fandom eine eher kritische Position, da er sich in Länge und auch Inhalt eher wie ein DLC anfühlt.

© Take-Two Interactive Software, Inc.

Du als Big Daddy

Es ist Neujahr 1958, der Tag an dem Rapture fallen sollte. Als Big Daddy begleiten wir unsere Little Sister, Eleanor, durch die Gänge von Rapture, als sich Menschen an der Little Sister vergreifen wollen. Wir beschützen sie, werden aber von einer Frau aufgehalten. Diese Frau nimmt Eleanor an sich und bringt uns dazu, uns zu erschießen.

Zehn Jahre später wachen wir auf. Noch immer in Rapture. Ryan und Fontaine sind schon lange tot, wie auch ein Großteil der Bevölkerung der Stadt. Die Überbleibsel, die weiterhin existieren, haben sich zu einem großen Teil unter der Psychologin Eliza Lamb zusammengetan und töten jeden, der es wagt, sich ihnen entgegen zu stellen.

Lamb vertritt eine Ideologie, die genau entgegen der Andrew Ryans steht. Sie predigt von der Selbstaufgabe für einen höheren Zweck – und genau für diesen höheren Zweck will sie auch ihre Tochter Eleanor opfern. Als ihr Big Daddy sind wir immer noch an sie gebunden und machen uns so auf den Weg, Lamb aufzuhalten und Eleanor zu retten.

Absoluter Utilitarismus

Bioshock 2 geht mit seiner Philosophie in die entgegengesetzte Richtung vom ersten Teil. Antagonistin Eliza Lamb und ihr Kult vertreten absoluten Altruismus und Utilitarismus, wie sie beispielsweise von dem Philosophen John Stuart Mill befürwortet wurde. Laut diesem Modell sollte jede Handlung darauf ausgerichtet sein, das größte Glück für die meisten Leute zu erreichen – selbst wenn es für einen selbst Unglück bedeuten würde.

So ist es unter anderem auch Lambs Endziel, Eleanor zu einer ultimativen ADAM-Fabrik zu modulieren, was die komplette Aufgabe von Eleanor als Mensch wäre. Natürlich wurde Eleanor nie gefragt, ob sie damit einverstanden ist, was eben den Widerspruch in Lambs Philosophie zeigt. Denn statt selbst den Pfad zu wählen, mit dem sie das meiste Glück für andere erzeugen kann, wählt sie die Pfade anderer aus, in denen sie den größten Nutzen sieht.

Was allerdings ein wenig seltsam wirkt, ist, dass jemand wie Lamb überhaupt in Rapture gelebt hat. Schließlich hat Andrew Ryan die Stadt in erster Linie mit Menschen gefüllt, die seine objektivistischen Ansichten teilen. Wie dabei jemand in die Stadt gekommen ist, deren Ansichten dem kompletten Gegenteil entsprechen, wird nie erklärt und ist auch ein Kritikpunkt, der diesem Spiel entgegengebracht wird.

Bioshock Infinite

Der dritte und letzte Teil der Bioshock-Reihe ist Bioshock Infinite, das Spiel, an dem Ken Levine während der Produktion von Bioshock 2 gearbeitet hat. Dieses Spiel ist nicht länger unter dem Meer angesiedelt und findet sich stattdessen über den Wolken wieder. Ursprünglich sollte das Spiel dabei Open World werden, was am Ende jedoch nicht umgesetzt werden konnte.

© Take-Two Interactive Software, Inc.

Über den Wolken

Wir sind Booker DeWitt, ein Pinkerton Detective mit massiven Schulden. Eines Tages erscheinen zwei seltsame Gestalten bei uns und machen uns ein Angebot: „Bring uns das Mädchen und lösch damit deine Schuld aus.“ So finden wir uns in einem Sturm auf dem Weg zu einem Leuchtturm wieder. Bereits im Leuchtturm finden wir Hinweise auf einen brutalen Mord, der hier geschehen ist, doch am Ende schießt uns eine Kapsel an der Spitze des Turms in den Himmel und über die Wolken hinauf. Auf einmal finden wir uns in Columbia wieder.

Auf den ersten Blick wirkt Columbia wie eine Utopie. Wir sehen spielende Kinder, eine Parade und einen paradiesischen Garten, doch rasch können wir auch erkennen, was sich darunter verbirgt. Denn alle Menschen, die wir so sehen, sind weiß, während Schwarze Menschen, asiatische Menschen und Iren als unterdrückte und ausgenutzte Arbeiterklasse existieren.

Dann finden wir das Mädchen, das in der Statue des Engels Columbia gefangen gehalten wird: Elizabeth. Sie ist nicht das, was wir erwartet haben. Auch hat sie eine besondere Fähigkeit: Sie kann Durchgänge in andere Realitäten, in parallele Dimensionen öffnen. Scheinbar wird sie genau deshalb geheim gehalten.

Wir müssen sie von Columbia herunterbringen, doch geraten wir dabei mitten in den Kampf zwischen den Soldaten des Herrschers der Himmelsstadt, Cumstock, und den rebellischen Vox Populi hinein.

Kopf oder Zahl?

Bioshock Infinite bringt zwei verschiedene philosophische Aspekte mit in die Diskussion: Zum einen die Bedeutung von Entscheidungen, wenn wir doch am Ende in einem Multiversum existieren, zum anderen aber auch religiös-patriotischen Autoritarismus, der ähnlich wie Ryans Objektivismus zum logischen Extrem getrieben wird.

Ein zentrales Thema in diesem Spiel sind die verschiedenen Dimensionen, die es gibt, und wie diese von unterschiedlichen Entscheidungen beeinflusst werden. Die beiden Luteces haben eine Möglichkeit gefunden, Tore zwischen den Welten zu öffnen und haben dadurch die Geschichte erst in Gang gesetzt. Dabei stellt das Spiel allerdings in Frage, inwieweit die verschiedenen Figuren in ihrer Handlung überhaupt einen freien Willen haben. Bei der Frage „Kopf oder Zahl“ wird jeder Booker dieselbe Antwort geben und sie wird jedes Mal falsch sein. Denn wir sind nicht der erste Booker DeWitt, den die Luteces nach Columbia gebracht haben. Genau aus dieser Wahllosigkeit unseres Pfades ergibt sich, dass wir in diesem Spiel kaum eine Wahl bekommen, wie wir spielen. Selbst die – zugegebenermaßen kleine – Auswahl, die in den ersten beiden Teilen existierte, die Wahl die Little Sisters zu retten oder zu ernten, existiert in diesem Spiel nicht, was aktiv kommentiert wird.

Derweil haben wir auch noch Cumstocks Ideologie, die zentral auf US-amerikanischen Konservatismus aufbaut. Er ist sehr religiös, aber auch idealisierend, was die US-amerikanische Geschichte angeht. Die Gründerväter werden als Heilige in Cumstocks Religion von Columbia verehrt und haben natürlich keinerlei Fehler begangen, weshalb in Cumstocks Ideologie auch Sklaverei und Rassismus absolut valide sind. Der Wohlstand in Columbia baut dabei nicht nur auf den Rücken der Marginalisierten auf, sondern auch auf denen der Armen, die ebenso ausgenutzt werden.

Problematisch wird die Philosophie des Spiels jedoch an der Stelle, an der die aktive Rebellion der Vox Populi beginnt. Diese sind vor allem die nicht-weißen Menschen von Columbia, die sich gegen ihre Unterdrückung auflehnen. Für die Spieler*innen werden sie jedoch schnell generische Gegner*innen, die sich von Comstocks Soldat*innen nur in der Farbe ihrer Rüstung unterscheiden. Damit impliziert das Spiel deutlich, dass jene, die sich gegen ihre Unterdrückung wehren, letzten Endes nicht besser sind, als ihre Unterdrücker*innen, was eine recht problematische Schlussfolgerung ist.

© Take-Two Interactive Software, Inc.

Burial at Sea

Abgeschlossen wird die Bioshock-Reihe durch den DLC Burial at Sea. In diesem folgen wir einem Booker DeWitt, der als Privatdetektiv in Rapture lebt und Elizabeth helfen soll, ein verschwundenes Mädchen zu finden. Dabei kommt er mit einigen der einflussreichsten Menschen Raptures in Verbindung – kurz bevor dieses komplett in den Ruin fällt.

Anders als die Hauptteile der Bioshock-Reihe, arbeitet Burial at Sea jedoch weniger mit philosophischen Konzepten, sondern dient nur dazu, die Handlung von Bioshock Infinite mit der von den ersten beiden Spielen zu verknüpfen und ein paar offene Fragen rund um die Geschichte Raptures zu klären.

Egoshooter mal ganz philosophisch

Die Bioshock-Reihe ist ein Klassiker der 0451-Spiele. Man kann sich über Details in den Spielmechaniken lange streiten, aber letzten Endes funktionieren diese gut und machen bei jedem Playthrough Spaß. Einzig das Balancing ist in keinem der Spiele wirklich perfekt – selbst auf schwerster Einstellung und während man die Little Sisters rettet, ist der erste Teil zu schaffen, ohne groß ins Schwitzen zu kommen.

Allerdings sind es nicht die Spielmechaniken, die Bioshock zu etwas Besonderem machen, sondern die Tatsache, dass die drei Spiele verschiedene Philosophien untersuchen und bis ans logische Extrem führen. Dabei wird den Spieler*innen jedoch nie vorgekaut, wie sie darüber zu denken haben, sondern es wird genug Freiheit gelassen, um zu seinem eigenen Schluss zu kommen. Auch wenn das bedeutet, dass einige Leute aus dem ersten Teil den Schluss gezogen haben, dass totalitärer Objektivismus funktionieren würde.

Gerade aber wegen der thematischen Dichte der Spiele ist die Frage, ob eine etwaige Fortsetzung der Reihe ihr Ziel erreichen könnte. Viele Fans sehen dieser Aussicht mit der großen Sorge entgegen, dass ein weiterer Teil einfach nur ein generischer Shooter werden könnte, der allerhöchstens die ästhetischen Elemente wiederbelebt.

Artikelbilder: © 2K Games
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Katrin Holst

1 Kommentar

  1. Schöner Überblick auch wenn ich gestehen muss dass die philosophoschen Ansätze in der angesprochenen Tiefe an mir vorbei gegangen sind. Infinite wirkte auf mich btw. jetzt schon relativ generisch mit den Gegnerspawns, den „Arenen“ etc. Da hatten 1 & 2 spannendere Umgebungen.

    Kleine „redaktionelle“ Anmerkung zum Infinite-Teil: Der Mann heisst Comstock, nicht Cumstock. Euch sind da ein paar Mal die falschen Vokale entfleucht.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein