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Computerspiele als Brettspielumsetzung – davon gibt es mittlerweile eine ganze Menge, wie beim Spiel des Jahres 2023 Dorfromantik oder großen digitalen Rollenspiel-Krachern wie Divinity Original Sin. Platformer versucht sich daran, ein Jump’n’Run-Gefühl aufs Brettspiel zu übertragen. Ob das gelingt, lest ihr hier.

Mirakulus ist ein Spieleverlag aus der Happyshops-Gruppe, der uns via Spieleschmiede viele hochwertige und gute Titel nach Deutschland holt, wie Dungeon Drop, Helden müssen draußen bleiben, Eila und das glitzernde Etwas und das phantastische Wonderland’s War. Mit Platformer unternehmen sie einen Versuch, ein Jump’n‘Run-Erlebnis als Brettspiel umzusetzen. Hüpfen wir mal rein.

Triggerwarnungen

Keine typischen Trigger

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Spielablauf

Es geht hoch hinaus, von Plattform zu Plattform auf die vierte Ebene, um dort der gefürchteten Medusa den finalen Schlag zu versetzen und wem das gelingt, gewinnt bei Platformer. Auf dem Weg lauern Monster, aber wir gewinnen auch Gold, mit dem wir Gegenstände und Tränke kaufen können, sowie Kristalle, die unsere Aktionen verstärken.

Wird die obere Reihe einer Karte erreicht, wird die nächste Ebene offenbart.

Alle Spielenden verkörpern ein*e vorgefertigte*n Held*in mit bestimmter Ausdauer (Lebenspunkten), je einer einzigartigen Fähigkeit sowie unterschiedlichen Effekten für die Stern-Seite der Würfel. Der Reihe nach werden die fünf Aktionswürfel sowie der Monsterwürfel geworfen. Nachdem die Monster agieren (nach links oder rechts gehen oder umliegende Felder angreifen), liegt der Hauptteil des Spiels darin, das Würfelergebnis in Aktionen umzusetzen. Hierbei gibt es folgende Aktionen/Würfelseiten:

Stiefel: Hier wird die Figur ein Feld in eine beliebige Richtung bewegt, solange dort ein Weg ist.


Schwert:
Ein Schwert macht einen Schaden an einem benachbarten Monster. Um ein Monster zu besiegen, muss der Schaden in Höhe der Lebenspunkte in einer Runde, also gleichzeitig zugefügt werden. Dann gibt es als Belohnung Gold und/oder Kristalle.

Münze: Jedes Münzsymbol gewährt direkt eine Münze.

Totenschädel: Hiermit dürfen Monster ein Feld bewegt werden, zu uns, unseren Mitspielenden oder auch in Abgründe.

Stern: Jeder Charakter hat eine eigene Kombination der oberen Aktionen, die mit dem Stern genutzt werden können.

Zusätzlich haben alle je einen Spezialwürfel, auf dem ein Ergebnis für künftige Runden gespeichert werden kann.

Aktionswürfel (grün), Spezialwürfel (rot) zum Speichern und der Monsterwürfel (blau) für die Monsteraktion.

Mit diesen Aktionen bewegen sich die Charaktere über verschiedene Ebenen (Level), wobei jede Ebene aus zwei Karten besteht, die jeweils drei mal vier Felder besitzen. Nach oben geht es über Leitern, aber es kann auch gesprungen werden: so hoch, wie Stiefel vorhanden sind. Am Ende des Zuges allerdings ruft die Schwerkraft und die Figur fällt so lange, bis sie wieder Boden unter den Füßen hat, ohne Schaden zu nehmen. Schaden gibt es nur wenn ein aufgedrucktes Fallenfeld betreten wird, wenn ein Monster angreift oder wenn sich ein Charakter neben einem Monster bewegt. Die Schwerkraft kann man auch jederzeit zwischen Würfelaktionen selbst aktivieren, was ein interessanter Mechanismus ist, um sich und Monster geschickt zu platzieren.

Auf den Karten gibt es auch direkt Münzen, wie bei Computerspielen üblich, sowie auch Kristalle, zu denen wir später kommen. Münzen können in den ebenfalls aufgedruckten Shops dann gegen dauerhafte Gegenstände oder einmalig nutzbare, dafür sehr mächtige Tränke getauscht werden. Mit diesen können Würfel neu geworfen oder direkt gedreht, Charaktere geheilt, mehr Schaden ausgeteilt oder aber Regeln (wie die Schwerkraft) ausgeschaltet werden. Der Fliegende Teppich erlaubt das dauerhafte Ignorieren der Schwerkraft und die Ninja-Ausrüstung ermöglicht es, sich jede Runde durch eine Plattform nach oben zu bewegen.

Sobald jemand die oberste der drei Reihen einer Ebene erklommen hat, wird die darüberliegende Ebene aufgedeckt. Hat jemand die dritte Ebene erreicht, wird die unterste abgeräumt. Alle Monster, Gold und Kristalle werden entfernt und andere Charaktere werden bewusstlos. Das heißt jedoch nur, dass der Charakter bei Beginn des eigenen Zugs auf der untersten noch existierenden Ebene wieder mit vollen Hit-Points ins Spiel kommt, allerdings ohne den eigenen Spezialwürfel. Wem die Ausdauer ausgeht, wer also zu viel Schaden genommen hat, blüht das gleiche.

Auf jeder Karte warten zwei Monster des jeweiligen Levels, Schaden und Ausdauer, Loot und Effekt – wie man es kennt.

Bosskampf

Im Boss-Level angekommen, können dann auch nur Monster im Boss-Level beeinflusst werden. Bosse teilen mit ihrem speziellen Kartenset zusätzlich zum Monster-Würfel ordentlich aus mit unterschiedlichen Mechaniken, für die es auch bestimmte Marker (wie Gift oder Hellebarden) gibt. Hier gilt es dann nicht mehr bloß zwei bis drei Schaden auszuteilen, um einem Monster den Garaus zu machen, sondern direkt acht oder zehn. Das ist mit fünf plus einem Würfel natürlich nicht zu schaffen und auch die wenigen schadenssteigernden Waffengegenstände helfen nur ein Stück weiter. Hierfür werden vorher Kristalle gesammelt. Denn jeder Würfel kann verstärkt werden. Ein Kristall gewährt den ersten Bonus; für ein +2 braucht es dann allerdings bereits zwei weitere Kristalle. Wer drei Schwerter besitzt und fünf Kristalle, kann dann folglich zwei Schwerter einmal und das letzte zwei Mal verstärken für zwei plus zwei plus drei, also sieben Schaden.

Das kann beim ersten Wurf gelingen, aber der eigene Charakter muss ja auch erst einmal zum Boss und wurde vielleicht in einer früheren Runde bewusstlos. Das Spielprinzip, welches sich zu Beginn noch relativ dynamisch anfühlt, während darauf gewartet wird, dass die anderen ihre Züge optimieren, und einem Gold, Kristalle, Gegenstände und Monster wegschnappen oder gar auf den Hals hetzen, kippt spätestens hier. Vorher gab es unterschiedliche Stärken, manche können sich viel schneller bewegen und holen sich so die benötigten Währungen, andere sind besser darin, Monster zu verprügeln. Doch hier geht es um reines Würfelglück, modifiziert durch die Fähigkeit, reinen Schaden zu verursachen und die besten Gegenstände zu haben. Klingt vielleicht nicht so ungewöhnlich – nur entscheidet hier letztlich eben exakt ein Wurf.

Mit den Ninja-Sternen zum Beispiel muss man nicht am Boss stehen und kann aus der Ferne kämpfen, sehr mächtig, wenn es nicht notwendig ist, mehrere Bewegungen zu brauchen, um überhaupt an den Boss ranzukommen. Hier merkt man auch einen deutlichen Unterscheid zwischen dem Spiel zu zweit oder zu viert. Da der Monsterwürfel im Spiel zu viert doppelt so oft geworfen wird, ist der Boss entweder weit weg oder nimmt einen schnell auseinander, bis man das nächste Mal am Zug ist.

Spielvarianten

Um die Wiederspielbarkeit zu erhöhen, sind im Spiel zwei verschiedene Sets Dungeon-Karten enthalten: das Waldverlies und das Schattenverlies. Beide bieten je 14 Karten, von denen immer nur sechs zum Einsatz kommen, zusätzlich zu den Bosslevel-Karten. Im Schattenverlies warten jeweils noch Portale, die auf jeder Ebene miteinander verbunden sind. Das modulare Spielfeld ist sicherlich eine gute Idee, aber am Ende bieten fast alle Karten die gleichen Merkmale.

Ebenfalls sind zwei Bosse enthalten, die Medusa, sowie Ikee, ein schwebendes, vierarmiges Wesen, das noch Begleiter herbeiruft. Ebenso gibt es für jedes der drei Level je zwei Monster-Typen. Wer also nicht mischt, sondern lediglich alles mal sehen will, ist dann nach dem zweiten Durchgang bereits durch. Alternativ können noch Artefaktkarten hinzugenommen werden, die eine ganz interessante Mechanik besitzen, da man sie erhält, wenn man eine bestimmte Kondition erfüllt. So nimmt man sie sich beständig weg, was das Spiel deutlich dynamischer und gemeiner macht.

Natürlich darf auch eine Solo-Variante nicht fehlen, bei der Ereignisse ins Spiel kommen, die Rundeneffekte mit sich bringen, die das Spiel mal erleichtern, mal erschweren.

Im alternativen Setting Schattenverlies gibt es noch Teleportationsfelder (blau).

Ausstattung

Es ist schön. Niedlich-bunt in grellen Farben zeigt Krysztof Piasek, der sich auch für Flick of Faith verantwortlich zeichnet, sein Können. Die Handelsversion kommt mit einigen Abstrichen gegenüber der Gamefound-Variante. Optionale Miniaturen für Held*innen und Bosse oder Standees sind nicht erhältlich, ebenso wie das Acryl-Figuren und -Token-Upgrade. Dass Monster letztlich nur Pappscheiben sind, statt mit Standees auf uns zu warten, wirkt für den Preis schon wenig nachvollziehbar. Besonders aber, dass nicht alle zwölf Monstertypen der Gamefound-Variante Einzug in die Retail-Version gefunden haben, drückt ganz ordentlich auf den Wiederspielfaktor.

© Mirakulus

Die harten Fakten:

  • Verlag: Mirakulus, Awaken Realms Lite
  • Autor*in(nen): Artur Lutyński, Łukasz Włodarczyk
  • Illustrator*in(nen): Krysztof Piasek
  • Erscheinungsjahr: 2023
  • Sprache: Deutsch
  • Spieldauer: 60 Minuten
  • Spieler*innen-Anzahl: 1 2 3 4
  • Alter: 12+
  • Preis: ca. 50 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, idealo

 

Bonus/Downloadcontent

Auf der Seite von Awaken Realms Lite findet man die englischen Regeln, aber leider nur die Ankündigung zur Kampagne, in welcher der Name Platformer 1 darauf deuten lässt, dass es mal eine Serie werden sollte.

Zu Anfang macht es noch Spaß und hübsch ist es ja, aber…

Fazit

Es tut immer besonders weh, wenn ein Spiel mit einer innovativen, aber unzureichend umgesetzten, Idee daherkommt, besonders wenn es dann auch so hübsch in Szene gesetzt ist. Doch Spaß-Titel, die irgendwas mit Katzen, Einhörnern oder anderen Tieren zu tun haben, sind dann wenigstens schnell vorbei. Platformer kann das auch sein, fühlt sich aber, gerade nach hinten heraus meist unglaublich zäh an und kommt dann für mich eher daher wie eine Partie Munchkin. Beide Spiele dauern länger, als sie sollten, und am Ende ist man nur froh, dass irgendjemand das Spiel beendet. Während manche die ganze Zeit wissen, dass sie keine Chance haben werden und nur noch halbherzig mitspielen, kann es doch zu kleinen, lustigen Überraschungsergebnissen kommen. Dann können sehr unwahrscheinliche Würfelwürfe wirklich interessante und effiziente Züge ermöglichen.

Es soll lustig sein, haben sie gesagt … Aber vor allem sollte es sich dynamisch anfühlen, denn es geht darum, das Chaos eines Jump’n’Runs zu verkörpern. Es finden sich einige gute Ideen und auf den unteren Ebenen ist der Game-Flow auch zumindest solide. Aber am Ende geht es darum, in einem einzigen Wurf, möglichst viele Sechsen (hier Schwerter) zu würfeln. Manche sind da bereits so abgehängt, dass ihre Gewinnchance fast null ist, aber auch bei den anderen kann das so einige Würfe lang dauern. Ab da spielt einen das Spiel, denn man weiß sofort beim Blick auf den Wurf, auch dieses Mal reicht es nicht, muss aber reihum die eigenen Züge und die der Monster abarbeiten und immer mal wieder sterben.

Vielleicht muss man sich einfach eingestehen, dass eine Jump’n’Run-Umsetzung in einem rundenbasierten Spiel auch einfach nicht möglich ist. Dann geben wir dem gerade angekündigten Monstervania für ein bis zwei (kooperativ) Spielende mal die nächste Chance. Platformer gelingt es jedenfalls nicht, der Idee gerecht zu werden. Daher gibt es von uns zwei von fünf eher müden Zombies.

  • Hübsch-quietsch-bunt

 

  • Spätestens beim Bosskampf ist der Spaß vorbei
  • Zu wenig Abwechslung für mehr als ein-zwei Spiele
  • Relativ teuer für die Ausstattung


Artikelbilder: © Mirakulus

Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Hendrik Pfeifer
Fotografien: Daniel Hoffmann

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