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2018 schuf Felix Mertikat mit Tsukuyumi ein Spiel über Killer-Roboter, Wale und Mond-Dämonen. Das asymmetrische Area-Control-Spiel bekam nun, erneut über Kickstarter, eine Second Edition spendiert, welche die Standees aus der ersten Edition durch detaillierte Miniaturen ersetzt. Und die haben wir uns für euch angesehen.

Dass Tsukuyumi gewisse Vorschusslorbeeren vorauseilten, sah man an der Kickstarter-Kampagne der zweiten Edition: Mehr als viermal so viele Unterstützer*innen und eine fast sechsmal höhere Fördersumme wurden für die Version mit den Miniaturen gewonnen. Nicht wirklich verwunderlich, bei einem Spiel dessen Wertung auf BoardGameGeek quasi von Beginn an immer über 8 rangierte und auch von uns eine gute Bewertung bekommen hat. Doch kann die Second Edition den Erwartungen gerecht werden?

Der Packshot. © King Raccoon Games
Der Packshot. © King Raccoon Games

Da wir in bereits über den Spielablauf berichteten, werden wir uns in diesem Artikel auf das Spielmaterial und die Unterschiede fokussieren.

Inhalt und Unterschiede

Disclaimer: Die Unterstützer*innen des Kickstarters haben sich in den unterschiedlichsten Foren über die Qualität ihrer Lieferungen unterhalten. Viele Backer beklagten, dass die Spielkarten nicht auf dem versprochenen Karton gedruckt wurden und viel zu „labbelig“ sind, dass Miniaturen in der falschen Farbe oder mit unschönen Klebstoffflecken daher kamen und dass Grey Fox Games (der Partner von King Raccoon Games für den Kickstarter), im Laufe der Kampagne generell kein gutes Bild abgegeben hat.

Wir werden in diesem Artikel diese Diskussionen ausblenden und das Produkt bewerten, das uns zur Verfügung gestellt wurde.

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Die Box der Miniaturen-Version ist bis an den Rand voll mit Material. Dies liegt an der beinahe erschlagenden Vielzahl an Markern, Karten und Hex-Feldern, aber vor allem an den Miniaturen und den mitgelieferten Inserts für eben jene Figuren. Drei Lagen mit Minis erwarten uns beim Öffnen der Schachtel, alle feinsäuberlich mit Schutzdeckel. Beim Herausnehmen der Inserts passiert es leider sehr schnell, dass man den Spielkarton von innen verletzt, da die einzelnen Lagen sehr scharfkantig und etwas zu passgenau hergestellt wurden. Doch mit leichtem Biegen ist hier Abhilfe geschaffen und die filigranen Miniaturen bleiben weiterhin sehr gut geschützt.

Unschöne Risse durch die Miniaturen-Inserts. © King Raccoon Games
Unschöne Risse durch die Miniaturen-Inserts.

Die Marker und Hex-Felder haben eine sehr angenehme Haptik. Im Vergleich zur ursprünglichen Version sind die Spielplan-Felder vergrößert worden, um den Miniaturen genügend Platz zu bieten. Positiver Nebeneffekt ist eine bessere Sicht auf die dezenten, aber wirklich hübschen Landschaftsdarstellungen.

Die unterschiedlichen Spielkartentypen haben wieder ein sehr aufgeräumtes Layout und eine gut lesbare Schriftgröße. Der Kartenkarton hätte etwas dicker ausfallen müssen. So kann es leider recht schnell passieren, dass die Karten auch bei sorgfältiger Handhabung einknicken können.

Sehr positiv fällt auf, dass die ehemals als Erweiterung verfügbare Zwei-Personen-Variante von Tsukuyumi in der Second Edition zum Grundspiel dazugehört. Und hier sieht man, wieviel Arbeit in die einzelnen Elemente des Spiels gesteckt wurde. Es ist zwar empfehlenswert, das Spiel mit drei oder mehr Personen zu spielen, aber auch im Duell funktionieren die leicht abgewandelten Mechaniken wie ein geschmiertes Uhrwerk.

Das Regelheft und der Codex wirken sehr wertig. Die Texte sind gut strukturiert und verständlich und das Layout ist stimmig, lenkt aber nicht unnötig mit Schnickschnack vom Sinn einer Anleitung ab. Sehr komfortabel ist auch, dass die Regeln und Erklärungen zu den Kickstarter-exklusiven Inhalten mit in das Hauptbuch integriert sind und man nicht eine weitere Anleitung „rumfliegen“ hat. Der Codex dient erneut als Kompendium aus Hintergrundinfos, Klarstellungen und erweiterten Infos. Vor allem ist er aber ein wichtiger Begleiter, um tiefer in die Welt von Tsukuyumi einzutauchen. Jede Fraktion bekommt einen Comic mit der eigenen Origin-Story spendiert, und eine kleine Infobox klärt uns über die Gedanken der Fraktionen zueinander auf und gibt kleine Tipps, welche Taktik gegen die Konkurrenz helfen könnte. Unser Autor liebt das folgende Nomads-Zitat: „Boarlords … das wird ein großes BoarBQ!“.

Spätestens durch den Codex wird deutlich, wieviel Liebe in die Ausarbeitung der Welt von Tsukuyumi gesteckt wurde, was ja auch in einem Rollenspielbuch mündete.

Die Übersichtskarten der Fraktionen. © King Raccoon Games
Die Übersichtskarten der Fraktionen.

Der größte Unterschied zwischen beiden Editionen ist und bleibt der Wechsel von Standees zu Miniaturen. Und hier hat man sich wirklich Mühe gegeben. Die Minis sind gelungene Adaptionen der zeichnerischen Vorlage von Autor Felix Mertikat und haben einen großen Wiedererkennungsfaktor. Schnell hat man bei den eigenen Armeen durchschaut, welche Miniatur zu welchen Werten gehört. Damit dies auch bei gegnerischen Fraktionen gelingt, gibt es für alle Beteiligten eine Übersichtskarte mit den entsprechenden Werten und Fertigkeiten. Das ist nicht ganz so intuitiv wie die aufgedruckten Werte auf den Standees, aber dennoch sehr gut gelöst.

Praktisch: Für den Fall, dass man eigene Einheiten durch ein besetztes Feld hindurchbewegen möchte (was nur bei mindestens identischer oder höherer Stärke möglich ist), muss man nicht auf die Übersichten schauen, sondern es reicht ein simpler Blick auf die Basen der Minis. Figuren auf dreieckigen Basen haben eine Stärke von 1, rund von 2 und viereckig von 4.

In der uns zur Verfügung gestellten Version gibt es auch einige Exclusives. Dies sind neben den sehr gelungenen Legendären Oni vor allem die Module, die beliebig in das Grundspiel integriert werden können.

Ein paar der exklusiven „Legendären Oni“. © King Racoon Games
Ein paar der exklusiven „Legendären Oni“.

Da gäbe es zum einen für jede Fraktion ein alternatives Ziel, welches statt dem regulären Ziel gewählt werden kann oder Startvorteile, die den Beginn einer Partie gehörig verändern.

Die epischen Ereignisse machen das Spiel deutlich unvorhersehbarer und stellen den Spielverlauf oft vollkommen auf den Kopf. Die Fraktionsereignisse geben den Spieler*innen zusätzliche taktische Möglichkeiten.

Durch die niedlichen Maskottchen für jede Fraktion ist auf Wunsch eine Art „Defend the flag“ in eine Partie integrierbar.

Vor allem aber bekommen die Oni, die neutralen NSC, mehr „Persönlichkeit“ und Varianz. Zum einen haben wir die angesprochenen Legendären Oni, die ihre ganz eigenen Fähigkeiten und Stärken aufweisen und aus der „Masse“ hervorstechen. Und dann gibt es noch die Module der Oni-Machtkarten und Oni-Missionen, die die Kontrolle über die Verteidiger Tsukuyumis noch spielrelevanter werden lassen.

Die harten Fakten:

  • Verlag: King Raccoon Games, Grey Fox Games
  • Autor*in(nen): Felix Mertikat
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: Deutsch
  • Spieldauer: 90–180 Minuten
  • Spieler*innen-Anzahl: 2 3 4 5
  • Alter: 12+
  • Preis: 100 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel

 

Fazit

Braucht man die Miniaturen-Variante von Tsukuyumi, wenn man die Standee-Version bereits besitzt? Nein, nicht händeringend. Die detaillierten Figuren machen aus dem asymmetrischen Area-Controller kein neues Spiel. Durch die größeren Hex-Spielplanfelder benötigt man auch automatisch mehr Platz auf dem Tisch. Aber für all diejenigen, die mit einer Anschaffung des Spiels liebäugeln, kann ich eine klare Empfehlung aussprechen. Spiele, in denen durch Einheiten ausgetragene Konflikte stattfinden und das Besetzen von Territorien elementarer Bestandteil ist, werden durch (gut gemachte) Miniaturen immersiver. Es ist nun mal ein Unterschied, ob man zwei leicht unterschiedlich große Pappaufsteller nebeneinanderstellt, oder ob man kleine Worker neben einem Shogun platziert.

Die Dark Seed sollten sich vor dem Schwert in Acht nehmen. © King Racoon Games
Die Dark Seed sollten sich vor dem Schwert in Acht nehmen. © King Racoon Games

Je nachdem, welche Spielweise man präferiert, muss die Entscheidung getroffen werden, ob Miniaturen oder Standees die richtige Wahl sind. Bevorzugt man die Immersion und Haptik der Miniaturen, oder wird mehr Wert auf die Übersicht durch die Standees gelegt, deren Werte Bestandteil des Layouts der „Figur“ sind, statt einer beigelegten Übersichtskarte entnommen zu werden? Aus der persönlichen Erfahrung heraus ist die Standee-Version das etwas „schnellere“ Spiel, da die Informationen über Truppenstärke sofort auf dem aktuell interessanten Hex-Feld vorzufinden sind.

Ein kleiner Wermutstropfen ist die Qualität des Materials an einigen Stellen. Insbesondere bei den Spielkarten erwarte ich für den Preis dickeres Material. Gerade, wenn man sich ansieht, wieviel Herzblut in die Gestaltung der Miniaturen geflossen zu sein scheint, wirken die Karten im Vergleich etwas billig, und man ist quasi gezwungen, Kartenhüllen zu erwerben. Sehr schade ist auch, dass die Kickstarter-exklusiven Maskottchen und 3D-Marker in neutralem Grau gehalten sind.

Ganz nett, aber ohne wirklichen Mehrwert. © King Racoon Games
Ganz nett, aber ohne wirklichen Mehrwert.

Dass die Fraktion Kampfgruppe 03 in der Miniaturen-Version nur per Erweiterung erhältlich ist, ist schade, vor allem, da in den gelieferten Exclusives die alternativen Miniaturen enthalten sind. Generell ist die Entscheidung aufgrund der teilweise deutlich größeren Miniaturen jedoch nachvollziehbar.

Auch wenn nicht alles Gold ist, was glänzt, ist die Second Edition von Tsukuyumi für Fans von asymmetrischen Taktikgefechten eine absolute Empfehlung. Keine Partie fühlt sich an wie die vorherige, und die Motivation mit der Lieblingsfraktion die perfekte Vorgehensweise zu erdenken, ist riesig. Alleine deswegen kommt diese Spiele-Wuchtbrumme bei unserem Autor sehr gerne auf den Tisch.

Was die Zukunft bereit hält

Das Team bei King Raccoon Games hat noch einiges für Brettspielfans in petto. Zum einen ist für den 7. September 2021 der Start der Crowdfunding-Kampagne zu EOS – Island of Angels geplant. Der ursprüngliche Termin wurde zunächst verschoben, da das Team in vielen intensiven Playtests noch an den Feinheiten arbeiten möchte. Ein sehr lobenswertes Vorgehen, dies im Vorfeld der Kampagne anzugehen, auch wenn unser Autor schon sehr sehnsüchtig auf das Spiel wartet.

Das Boxart von Sunrise Kingdom. © King Racoon Games
Das Boxart von Sunrise Kingdom. © King Racoon Games

Aber auch die Anhängerschaft von Tsukuyumi darf sich auf Nachschub freuen. Mit Sunrise Kingdom erscheint im Oktober 2021 eine neue, große Erweiterung für die Standee-Variante. Sage und schreibe fünf neue Fraktionen erwarten die Spieler*innen in dieser Variante, die als Schauplatz die Südhalbkugel wählt, dort, wo dereinst Australien war. Mit den First Guardians, dem Circle of the Sun, Sisters of Seven, Moon Circus und dem Korallen-Kollektiv erwarten uns noch mehr Asymmetrie und Spielmöglichkeiten als zuvor. Alle fünf kommen mit den Karten für den Zweier-Modus, den Fraktionsereignissen und einem jeweiligen Maskottchen und sind voll kompatibel mit Basisspiel und vorherigen Erweiterungen. Jede Fraktion birgt ihre eigenen Taktiken und unterscheiden sich sehr stark von allen bisher erschienenen Fraktionen. Dennoch schafft es Felix Mertikat, spannende Neuerungen zu integrieren, in die sich erfahrene Spielende sehr schnell einfinden.

Die neuen Fraktionen und Wächter Amaterasus. © King Racoon Games
Die neuen Fraktionen und Wächter Amaterasus. © King Racoon Games

Neben den neuen Fraktionen gibt es auch drei mächtige Wächter, geschickt von Tsukuyumis Schwester, der Sonnengöttin Amaterasus. Diese Wächter unterstützen die Fraktionen im Kampf gegen die Oni und untereinander. Und auch der Mond muss nicht mehr der zentrale Punkt des Schlachtfeldes sein. Portale der alten Zeit öffnen sich auf der ganzen Welt und fügen ein völlig neues taktisches Element hinzu. In den Partien, die wir im Vorfeld spielen durften, ist auf jeden Fall eine große Lust auf die neuen Fraktionen erwacht, und wir können Fans von Tsukuyumi nur empfehlen, mal einen Blick auf die Erweiterung zu werfen.

Artikelbilder: © King Racoon Games
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Dexter Filmore
Fotografien: Tim Billen
Das Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

1 Kommentar

  1. Hey Tim, wieder ein sehr schöner Artikel, vielen lieben dank. Die Kritikpunkte haben wir uns zu Herzen genommen und sind dabei Sie in den nächsten Spielen und Versionen zu berücksichtigen. Wir freuen uns schon auf deinen Bericht bzw. deine Meinung zum fertigen EOS – Island of Angels. LG Liz

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